24.

[207] Doch erdschwer stockt die weiche Luft und läßt

noch manch verblichnes Blatt zu Boden schauern;

der alte Hain steht bis ins Mark durchnäßt,

der Nebel trieft vom Moos der Mauern.

Das Weib, die Hände unters Herz gepreßt,

unterdrückt ein fröstelnd Trauern:


Du meinst, du hast mehr Willen als ein Baum?

Und lernte nun dein eigen Kind uns hassen

mit unserm herrischen Freiheitstraum?

Lux – unser Eichkätzchen – dir zeigt sie's kaum –

weiß sich vor Heimweh nit mehr zu lassen!

Ich hätt's im zehnten Jahr auch schlecht ertragen,[208]

so jählings in ein ander Land verschlagen;

wir aber können allerorten bestehn.

Du kannst jedwedem Erdfleck Zukunft spenden;

und halt ich erst mein Mutterglück in Händen,

dann laß uns heim in Deine Heimat gehn!


Sie sieht, er nickt – schwer, ohne aufzusehn;

er streicht den grauen Fleck in seinen Haaren –


Meinst du, mir sei dies Leid nie widerfahren?

Bei deinen Worten hört'ich fern am Rhin

die Schnitter ihre Sensen dengeln

und sah zum Hammerschlag gleich Engeln

die Nebel durch die Haide ziehn.

Ich lief vor Heimweh noch mit fünfzehn Jahren

fünf Meilen weit in einer Nacht nach Haus.

Da, Morgens, trat mein Vater zur Tür heraus:

Du?? Marsch, zurück! – Und da – ich hab's halt müssen –

da lernt'ich zähneknirschend mit wunden Füßen

in jedem Straßenbaum die Heimat grüßen;

und so – so muß auch mein Kind durch die Welt!

Ihr kleiner Wille möge sich nur bäumen;

dann wird sie einst wie Wir so herrisch träumen,

so frei von Weiberlaunen – gelt?!


Er sieht, sie nickt – sie atmet auf im stillen.

Zwei Menschen baun auf ihren Willen.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 207-209.
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