32.

[223] Doch eine Nacht kommt, da drohn die Weiten;

da hat der Mond Macht. Grausig rein

erleuchtet sein erlauchtes Licht den Hain.

Und das Weib schluchzt auf, wild auf wie vor Zeiten:


Ich trag ein Kind – o Du, von Dir –

ich tu meine Schwachheit auf vor dir!

Du hast meine Seele von mir befreit,

nun kommt leerer als je die Einsamkeit!

Wenn du gehst, und ich taste nach einer Hand

in meiner jammervollen Stunde –


Und sie wirft sich an ihn mit stammelndem Munde,[224]

und mit schmerzgekrümmten Fingern umspannt

seine lahme Rechte sie hart wie Stahl

und rafft sie auf aus ihrer Qual:


Dann laß mein Töchterchen bei dir stehn!

Dann wirst du stark sein! laß sie es sehn!

sehn, wie das Mutterwehe dich schüttelt!

daß sie's mit heiligem Schrecken durchrüttelt!

daß sie bei Zeiten lernt, sich dem Leben

opferherrlich hinzugeben!

daß unsre Kinder einst einfach handeln,

wo wir noch voller Zwiespalt wandeln,

einfältig lieben oder hassen,

mit ganzem Willen die Welt umfassen,

sich heimisch fühlen selbst zwischen den Sternen

und mit jedem Feuer spielen lernen!

Und wehrt mir der Tod, euch wiederzusehn,

dann laß mich in Dir verklärt auferstehn!

Und lebt dir ein Sohn, dann lehr ihn mit Lachen

aus jeder Not eine Tugend machen!

Und unsre Mädchen, die leite an:

das Recht der Frau ist der rechte Mann!

Allen Beiden aber leg ins Herz

die Macht der Liebe über den Schmerz!


Und es leuchtet wie seines ihr Gesicht.

Zwei Menschen sehn sich eins mit allem Licht.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 223-225.
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