Das Nachtmahl

[40] Es ward aufgetragen, man speiste, man scherzte auf Monimens Kosten; alle Damen[40] sagten ihr auf den Kopf zu, ihr Kleinod habe zuerst geredet. Sie würde diesem Bündnisse erlegen gewesen sein, wenn der Sultan nicht ihre Verteidigung übernommen hätte: »Monime hat vielleicht ebenso viele Liebhaber als Zelmaide,« sprach er, »nur halt' ich ihr Kleinod für verschwiegener. Überdem, wenn sich Mund und Kleinod eines Frauenzimmers widersprechen, wem soll man glauben?« »Gnädigster Herr,« antwortete ein Höfling, »ich weiß nicht, was die Kleinode in der Folge sagen werden; bis jetzt aber haben sie nur ein Kapitel berührt, das Ihnen sehr geläufig ist. Solange sie die Klugheit beobachten, um von dem zu reden, was sie verstehn, glaub ich ihnen wie Orakelsprüchen.« »Es gibt zuverlässigere Orakel,« sagte Mirzoza. »Madam,« versetzte der Sultan, »was könnte diese bewegen, eine Unwahrheit zu sagen? Nur ein Wahn von Ehre vermöchte sie dahin zu bringen, aber solch einen Wahn hat ein Kleinod nicht. Das ist nicht der Ort, wo Vorurteile gedeihen.« »Ein Wahn von Ehre!« rief Mirzoza. »Vorurteile![41] Wäre Ihre Hoheit den nämlichen Unzuträglichkeiten ausgesetzt wie wir, Sie würden fühlen, daß unser guter Name kein leerer Wahn ist.« Diese Antwort der Sultanin machte alle Damen dreist; sie behaupteten, es sei überflüssig, sie auf eine gewisse Probe zu stellen. Mangogul gestand, diese Probe sei wenigstens immer sehr gefährlich.

Unter solchen Gesprächen kam der Champagner, man trank, man fühlte ihn, die Kleinode wurden warm. Diesen Augenblick hatte Mangogul ausersehn, mit seiner Tücke wieder anzufangen. Er drehte seinen Ring gegen eine junge fröhliche Dame, die ihm zur Seite und ihrem Gemahl gegenübersaß. Da erhob sich unter dem Tisch eine klagende Stimme, schwache, weinerliche Töne: »Ach! ich bin am letzten! ich kann nicht mehr! Ich sterbe!« »Bei der Pagode Pongo Sabiam!« rief Husseim, »da spricht das Kleinod meiner Frau! Was kann es zu sagen haben ...?« »Das werden wir gleich hören,« antwortete der Sultan. »Erlauben Sie mir, gnädigster Herr,« versetzte[42] Husseim, »seiner Rede aus dem Wege zu gehn. Denn wenn ihm irgendwelche Dummheiten entschlüpften, was sollte Eure Hoheit davon denken ...« »Ich denke, Sie sind verrückt,« erwiderte der Sultan, »wenn Sie sich über das Geschwätz eines Kleinodes beunruhigen. Was es sagen wird, wissen wir bereits zum größten Teil, und das Weitere erraten wir. Bleiben Sie sitzen und suchen Sie sich zu unterhalten.«

Husseim setzte sich wieder, und das Kleinod seiner Frau plauderte wie eine Elster; »Soll ich den vierschrötigen Valento ewig behalten?« sprach es. »Andre Männer hören doch einmal auf, aber der ...« Bei diesen Worten geriet Husseim in Wut, ergriff ein Vorlegemesser, stürzte herüber auf die andere Seite der Tafel und hätte seine Frau durchbohrt, aber die Nachbarn hielten ihn zurück. »Husseim,« sagte der Sultan, »wenn Sie toben, versteht man kein Wort. Ist denn das Kleinod Ihrer Frau allein nicht gescheut? Was würde aus diesen Damen werden, wenn ihre Männer so dächten wie Sie! Sie geraten[43] um ein elendes bißchen Abenteuer in Verzweiflung? Weil Valento nicht wieder aufhört. Bleiben Sie ruhig an Ihrem Platze, finden Sie sich in Ihr Schicksal, wie ein kluger Mann. Mäßigen Sie sich und bedenken Sie, was Sie einem Fürsten schuldig sind, der Sie teil an seinen Vergnügungen nehmen läßt.« Husseim unterdrückte seine Wut, stützte sich auf eine Stuhllehne, verschloß die Augen und verdeckte das Gesicht mit der Hand. Der Sultan drehte unmerklich seinen Ring, das Kleinod fuhr fort: Valentos junger Bursche würde mir besser gefallen, aber wer weiß, wann er anfangen wird? Bis dieser beginnt und jener zu Ende kommt, ergeb' ich mich in Geduld dem Brahminen Egon. Er ist häßlich, das ist wahr; aber weiß doch aufzuhören und wieder anzufangen. »O, die Brahminen sind geschickte Leute!«

Bei diesem Ausruf des Kleinods errötete Husseim, daß er sich um ein Weib hatte betrüben können, die es nicht verdiente, und stimmte in das Gelächter der Gesellschaft mit ein. Aber seiner Gemahlin[44] schenkte er darum nichts. Da die Tafel aufgehoben war, fuhr jedermann nach Hause, Husseim aber brachte seine Frau in ein Nonnenkloster und ließ sie dort einsperren. Mangogul hörte von ihrer Strafe und besuchte sie. Er fand das ganze Haus beschäftigt, sie zu trösten, oder vielmehr, die Ursache ihrer Verbannung von ihr herauszulocken. »Ich bin einer Kleinigkeit wegen hier,« sagte sie. »Gestern abend gab uns der Sultan ein vertrauliches Nachtessen. Der Champagner strömte, der Tokaier floß, niemand wußte mehr, was er sagte, und so fing auch mein Kleinod an zu schwatzen. Was es geredet haben mag, weiß ich nicht, aber mein Gemahl hat's ihm übel genommen.«

»Daran tut er sehr unrecht, gnädige Frau,« sagten die Nonnen; »wer wird über solche Lumperei böse werden? Wirklich? Ihr Kleinod hat gesprochen? Spricht es noch? Ach, wenn wir doch so glücklich wären, es sprechen zu hören! Das muß allerliebst witzige Einfälle haben.« Sie wurden erhört. Der Sultan drehte seinen[45] Ring gegen die arme Eingesperrte, und das Kleinod dankte den Umstehenden für ihre Höflichkeit, versicherte aber übrigens, diese Gesellschaft sei ihm zwar ungemein erfreulich, doch würde es die eines Brahminen unendlich vorziehn. Der Sultan benutzte diese Gelegenheit, über das Leben der Nonnen einige Einzelheiten zu erfahren. Sein Ring befragte das Kleinod einer jungen Schwester, Namens Celeanthis, und das sogenannte Jungfernding beichtete zwei Gärtner, einen Brahminen und drei Kavallerieoffiziere. Es erzählte, wie es durch Hülfe einer Mixtur und zweier Aderlässe allem Ärgernis vorgebeugt habe. Zephirine gestand durch den Mund ihres Kleinods, sie verdanke dem Klosterverwalter den ehrenvollen Namen Mutter. Was aber den Sultan besonders in Erstaunen setzte, war, daß die wohlverwahrten Kleinode sich so unanständig ausdrückten und daß die Jungfrauen, denen sie angehörten, zuhörten, ohne zu erröten. Das brachte ihn auf die Vermutung, daß, wenn man in dieser Einsamkeit auch wenig[46] praktische Übung habe, man doch im theoretischen Wissen sehr gut beschlagen wäre.

Um sich dessen zu versichern, drehte er seinen Ring gegen eine fünfzehn bis sechzehnjährige Novize. »Flora«, ließ sich ihr Kleinod vernehmen, »hat einen jungen Offizier mehr als einmal durchs Gitter mit dem Glase betrachtet. Ich weiß gewiß, er gefällt ihr. Das sagt mir ihr kleiner Finger.« – Arme Flora! Ihre Vorgesetzten verurteilten sie dafür zu zweimonatlichem Schweigen und Disziplin. Sie ordneten Gebete an, den Himmel zu bewegen, daß er die Kleinode des Stifts verstummen lasse.

Quelle:
Denis Diderot: Die geschwätzigen Kleinode. München 1921, S. 40-47.
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