Ein Maskenball und seine Folgen

[375] Die ausgelassensten Kleinode von Banza unterließen nicht, dem Ruf der Freude zu folgen. Sie kamen in ihren eignen Kutschen, in Mietwagen und sogar zu Fuß. »Ich würde kein Ende finden,« sagt der gelehrte Afrikaner, dessen Schleppenträger ich zu sein die Ehre habe, »wenn ich alle Streiche umständlich erzählen wollte, die Mangogul ihnen spielte. In dieser einzigen Nacht gab er seinem Ring mehr zu tun, als seit der ganzen Zeit, da er ihn vom Genius erhielt. Bald drehte er ihn gegen die, bald gegen jene, bald gegen zwanzig auf einmal; dann entstand ein schönes Lärmen.« Ein Kleinod schrie mit kreischender Stimme: »Geiger, bitte, den Kotillon von Dünkirchen!« Ein anders mit heiserem Ton: lieber die Saubriots! Ein drittes: nein, die Tricolets. Und eine Menge rief auf einmal nach Baureé, Quatre Faces, Le Pictolet, La Marieé und anderen abgeleierten Kontertänzen. Dazwischen gab es eine Million Possen von jeder Art. Hier[376] rief eins: »Fort mit dem Taugenichts, man muß ihn in die Schule schicken!« Dort: »Ich soll also heimkehren, ohne eine Probe abzulegen?« An anderer Stelle: »wer zahlt mir meine Kutsche?« und drüben: »fort ist er, aber so soll er mir nicht entwischen!« und wieder wo anders: »nur gut! morgen früh! aber zwan zig Louis, sonst ist nichts zu machen!« Und so verriet jedes Wort entweder Willen oder Tat.

In diesem Getümmel erkannte eine junge niedliche Bürgerin den Sultan, verfolgte ihn, redete ihn an, neckte ihn und trieb es so lange, bis er seinen Ring gegen sie drehte. Sogleich hörte man ihr Kleinod ausrufen: »Warum fliehen Sie? Halten Sie doch, schöne Maske, seien Sie nicht unempfindlich gegen die Glut eines Kleinods, das für Sie brennt!« Den Sultan verdroß diese verwegene Liebeserklärung, er beschloß, die Unverschämte dafür zu bestrafen. Sogleich verschwand er, suchte unter seiner Leibgarde jemanden aus, der ungefähr von seiner Größe war, gab ihm seine Larve und seinen Domino und überließ ihn den Verfolgungen[377] der kleinen Bürgerfrau, die immer durch den Schein getäuscht, dem, den sie für Mangogul hielt, tausend Torheiten zu sagen fortfuhr.

Der falsche Sultan war kein Narr; der Mann wußte durch Zeichen zu reden. Ein Zeichen von ihm lockte die Schöne an einen abgelegenen Ort, wo sie sich eine Stunde lang für die Favorit-Sultanin hielt, und Gott weiß, was für Pläne in ihrem Hirnchen reiften. Aber der Zauber dauerte nicht lange. Als sie den angeblichen Sultan mit Liebkosungen überhäuft hatte, bat sie ihn, sich zu entlarven. Das tat er und zeigte ihr ein Gesicht mit zwei riesigen Zähnen, die dem Sultan wahrlich nicht gehörten. »O pfui!« rief die kleine Bürgerfrau, »pfui!« – »Wasch fehlt dir, jungsch Wibel?« sagte der Schweizer. »Hon i dir nit guet gnu augewartet, dasch du bösch uf my schyescht?« Aber seine Göttin hielt sich mit keiner Antwort auf, entschlüpfte ihm schnell unter den Händen und verlor sich im Gedränge.

Den Kleinoden, die nicht nach so hohen Ehren trachteten, gelang es, Genuß zu[378] finden, und alle kehrten sehr vergnügt über diesen Ausflug nach Banza zurück.

Die Redoute ging zu Ende, als Mangogul zwei seiner höchsten Offiziere heftig miteinander reden hörte. »Es ist meine Geliebte,« sagte einer, »mein seit einem Jahr, und Sie sind der erste, dem es einfällt, mir ins Gehege zu gehen. Warum wollen Sie mich stören, wo ich bin? Nasses, lieber Freund, wenden Sie sich doch an eine andere. Sie werden hundert Damen finden, die sich nur zu glücklich preisen werden, Ihnen anzugehören.« »Ich liebe Amine,« antwortete Nasses, »sie allein gefällt mir. Sie hat mir Hoffnung gemacht, und Sie werden erlauben, daß ich dieser Hoffnung Raum gebe.« »Hoffnungen?« fragte Alibey. – »Ja, Hoffnungen.« – »Bei Gott, das ist nicht wahr.« – »Es ist wahr, mein Herr, und Sie werden mir auf der Stelle Genugtuung dafür geben, daß Sie mich Lügen strafen.« Sogleich gingen sie die Haupttreppe hinunter. Schon waren ihre Säbel gezuckt, und der Streit wäre auf eine tragische Weise ausgetragen worden, wenn[379] nicht der Sultan unter sie trat und ihnen verbot, sich zu schlagen, bevor sie ihrer Helena den Zwist vorgelegt hätten.

Sie gehorchten und verfügten sich zu Aminen, wohin Mangogul ihnen folgte. »Ich bin ermüdet von der Redoute,« sagte sie. »Mir fallen die Augen zu. Sie sind sehr grausam, meine Herren, daß Sie jetzt zu mir kommen, da ich gerade zu Bette gehen will. Aber Sie sehen beide so seltsam aus. Darf ich fragen, was Sie zu mir führt?« »Eine Kleinigkeit,« antwortete Alibey. »Der Herr dort«, und er zeigte auf seinen Freund, »rühmt sich, und sogar sehr laut, daß Sie ihm Hoffnungen gaben. Ist das wahr, gnädige Frau?« Amine öffnete den Mund, aber der Sultan drehte in diesem Augenblick seinen Ring gegen sie. Sie schwieg, und ihr Kleinod antwortete an ihrer Statt: »Herr Nasses dürfte sich irren. Nein, auf ihn hat es meine Gebieterin nicht gemünzt. Doch hat sie nicht einen stattlichen Bedienten, der mehr wert ist als er? Wie einfältig sind doch die Männer, zu glauben, daß Würde, Rang und Ehrenstellen,[380] daß Titel, Namen und sinnlose Worte auf Kleinode Eindruck machen! Jeder hat seine Philosophie. Und die unsrige besteht hauptsächlich darin, das persönliche Verdienst, das wahre von dem eingebildeten zu unterscheiden. Herr von Claville mag mir's nicht übelnehmen, davon versteht er weniger als wir. Das will ich Ihnen beweisen.«

»Sie kennen beide,« fuhr das Kleinod fort, »die Marquise Bibicosa. Sie wissen um ihre Liebe zu Cleander und ihr Unglück, und wie sie sich jetzt hoher Andacht weiht. Amine ist eine treue Freundin; sie hat ihre Verbindung mit Bibicosen nicht aufgehoben und fährt fort, ihr Haus zu besuchen, wo man Brahminen von aller Art antrifft. Einer von ihnen drang einmal in meine Gebieterin, ein gutes Wort für ihn bei Bibicosa einzulegen.« »Was soll ich von ihr verlangen?« antwortete Amine. »Die Frau ist zugrunde gerichtet, sie kann für sich selber nichts. Sie würde Ihnen wahrlich Dank wissen, daß Sie ihr noch Einfluß bei Hofe zutrauen. Weder Fürst Cleander noch[381] Mangogul werden ihretwegen etwas tun, und Sie könnten sich in den Vorsälen der Großen ein Bein erfrieren.« »Aber gnädige Frau,« antwortete der Brahmine, »es kommt hier nur auf eine Kleinigkeit an, die unmittelbar von der Marquise abhängt. Sie hat ein kleines Minarett in ihrem Palaste angelegt, unstreitig, um Sala darin lesen zu lassen. Dazu braucht sie einen Iman, diesen Posten möcht' ich gern bekleiden.« »Was sollte sie einen Iman brauchen?« versetzte Amine. »Sie braucht nur einen Marabu, den sie von Zeit zu Zeit rufen läßt, wenn es schlecht Wetter ist, oder wenn sie vor Schlafengehen Luft hat, Sala zu hören. Aber Bibicosa kann sich keinen Iman halten, der in ihrem Hause wohnt, ißt und trinkt, gekleidet wird und Gehalt bekommt. Ich kenne ihre Verhältnisse. Die arme Frau hat nicht sechstausend Zechinen Einkommen, und Sie verlangen, sie solle zweitausend an einen Iman verwenden? Das ist ein schöner Vorschlag!« – »Bei Brahma! das tut mir leid,« erwiderte der heilige Mann. »Denn sehen Ihre Gnaden nur,[382] wär' ich erst ihr Iman gewesen, so hätt' ich mich bald noch unentbehrlicher machen wollen, und hat man es erst so weit gebracht, dann regnet's Geld und Gnadengehälter. Wie Sie mich hier sehen, bin ich aus Monomotapa und kenne meine Pflicht recht gut.« »Ach!« sagte Amine mit zitternder Stimme, »Ihre Angelegenheit ist dennoch nicht unmöglich. Schade, daß das Verdienst, von dem Sie reden, sich nicht ohne Prüfung voraussetzen läßt!« »O, wer sich meiner Landsleute annimmt,« sprach der von Monomotapa, »läuft keine Gefahr. Aber entscheiden Sie selbst!« Und in diesem Augenblick gab er Aminen den vollständigen Beweis seiner so bewundernswürdigen Geschicklichkeit, daß Sie in diesem Augenblick die Hälfte des Werts verloren, den sie Ihnen sonst beilegte. »Ach, es leben die Leute von Monomotapa!«

Alibey und Nasses schnitten lange Gesichter und sahen sich an, ohne ein Wort zu sagen. Endlich erholten sie sich von ihrem Erstaunen, umarmten sich, warfen einen verächtlichen Blick auf Aminen und sanken[383] dem Sultan zu Füßen, um ihm zu danken, daß er sie von dieser Frau geheilt und ihnen Leben und wechselseitige Freundschaft erhalten habe. Sie kamen gerade an, als Mangogul zur Favorite zurückgekehrt war und ihr Aminens Geschichte wiedererzählte. Sie lachte darüber und gab deswegen nichts mehr auf die Damen des Hofes und auf die Brahminen.

Quelle:
Denis Diderot: Die geschwätzigen Kleinode. München 1921, S. 375-384.
Lizenz:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldsteig

Der Waldsteig

Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon