Nachschrift

[159] Ich falle vor Ermüdung zusammen, der Schrecken umgiebt mich, und der Schlaf flieht mich. Ich habe diese Aufzeichnungen, die ich in aller Hast schrieb, noch einmal in ruhiger Stimmung durchlesen und bemerkt, daß ich mich, ohne die geringste Absicht dazu zu haben, auf jeder Zeile so unglücklich gezeigt habe, wie ich es wirklich war, dabei aber viel liebenswürdiger, als ich bin. Sollte das daher kommen, daß wir die Männer für die Schilderungen unserer Schmerzen weniger empfänglich glauben, als für das Bild unserer Reize? Und daß wir uns in der Hoffnung wiegen, sie noch leichter zu verführen, als zu rühren? Ich kenne sie zu wenig, und habe mich selbst nicht genügend studiert, um das zu wissen. Ich bin ein Weib, vielleicht ein wenig kokett, was weiß ich, doch ich bin es von Natur aus, ohne jede gesuchte Künstelei.

Quelle:
Denis Diderot: Die Nonne. Stuttgart 3[o. J.], S. 159.
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