4.

[88] Ein Nachtwächter hat so gut ein Herz

Wie ein schmachtender Held der Frauen,

Auch er fühlt Liebeslust und Schmerz

Wenn die Kater im Märze miauen.

Drum, wann ich abends auswärts geh'

Und mein Weib in der ganzen Nacht nicht seh',

Verlangt mich's nach Mariandel sehr;

Ja, wenn sie nur nicht so garstig wär'!


Sie ist eine gute, alte Haut

Mit mehr Runzeln als just notwendig,

Ihr Vater hat sie mir angetraut

Mit Haus und Gerät vollständig;

Das Amt und dreihundert Gulden dazu, –

Gott schenke dem Alten ewige Ruh'!

Ich liebte auch seine Tochter mehr,

Ja, wenn sie nur nicht so garstig wär'!


Wir leben wie zwo Engelein

Im Paradies vor dem Falle;

Keine Ehe kann so glücklich sein,[89]

Als unsre, ein Muster für alle.

Sie schläft des Nachts, ich schlaf' am Tag,

Sie nimmt den Schluck, den ich nicht mag,

Das einigste Pärlein weit umher,

Ja, wenn sie nur nicht so garstig wär'!


So oft ich Nachts in mein Haus geguckt,

War's ruhig allerwegen.

Noch nie hat's mich an der Stirne gejuckt,

Wie so viele meiner Kollegen;

Bei denen geht's wie ein Taubenschlag,

Hinein bei der Nacht, heraus am Tag,

Und ein Nachtwächter hält doch auch auf Ehr',

Ja, wenn sie nur nicht so garstig wär'!

Quelle:
Franz von Dingelstedt: Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters, Tübingen 1978, S. 88-90.
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