10.

[97] So oft ich dieses Gäßlein gehe,

Wohl später noch als Mitternacht,

Hält dort in respektabler Höhe

Ein eifersüchtig' Lämpchen Wacht.


Da droben wohnt ein Versedrechsler,

Ein Reimeschmied, ein Bücherwurm,

Hoch sitzt er, der Gedankenwechsler,

Wie Klas auf dem Kathrinen-Turm.


Und zählt die Füße, feilscht um Silben,

Und putzt die alte Ware rein,

Und frißt wie zähe Käsemilben

Sich in papiernen Quark hinein.


Verdammter Kerl! Wenn ich nur wüßte,

Wer ihn zur Wacht berufen hat,

Und ob er mit mir hüten müßte,

Als angestellter Mann, die Stadt?


Es tut's ihm niemand kommandieren,

Er treibt's für seinen eignen Spaß,

Das Predigen und Schrein und Schmieren,

Und niemand weiß so recht für was?


Die drunten können ihn nicht riechen,

Sie fliehn ihn alle wie die Pest,

Am Tag seh' ich umher ihn kriechen

Scheu, wie ein Spätzchen, fern vom Nest.
[97]

Sie schelten ihn Poet und Barde,

Sie schütteln stark und zischeln sacht,

Doch er auf seiner Leibmansarde

Hat, scheint es, dessen wenig acht.


Mag wohl in seinem Oberstübchen

Nicht allzurichtig mit ihm sein,

Sie sperren mir das arme Bübchen

Am End' noch ein auf Sonnenstein.


Wär' schad' um seine Gab' zu wachen,

Und kennt' ich ihn, den tollen Christ,

Wollt' ich ihn zum Nachtwächter machen,

Wenn er dazu noch brauchbar ist.

Quelle:
Franz von Dingelstedt: Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters, Tübingen 1978, S. 97-98.
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Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters (Deutsche Texte)