|
[101] Hier auf der Kanone will ich ruhn,
Auf den eisenbeschlagenen Rädern;
Ist freilich kein Lager von Eiderdun',
Mit Matratzen und stählernen Federn.
Doch schlief vielleicht schon mancher Held
Vor der Schlacht in der nämlichen Weisen
Und später noch tiefer – im blutigen Feld,
Auf dem Leib, statt drunter dein Eisen.
Erzähle mir nun, du eherner Mund,
Von deinen glorreichen Tagen,
Wie du einst zu schwerer Schlachtenstund'
Die Reveille munter geschlagen.
Bei Jena oder bei Austerlitz,
Gen Moskau oder gen Kassel,
Wo flammte zuletzt dein tötlicher Blitz,
Wo rollte dein letztes Gerassel?
Oder bist du gar dem alten Fritz
Schon gefolgt zu rühmlicher Frone?
Nein, hier am Zündloch, wo ich sitz',
Steht ein N. mit Lorbeer und Krone.
Den Namen, den Lorbeer kenn ich wohl,
Die Zeugen deiner Blüte;
Nicht wahr, da brummtest und summtest du hohl,
Da glühte dein Leib und sprühte?
Es flog das Rad auf bezwungener Erd'
Über Lebende und über Leichen,
Zusammen stürzte die bange Herd'
Unter deinen gewaltigen Streichen.
Du gabst den Takt zu dem Waffentanz,
Hoch hüpfte dein Herz, das beherzte,
Und schön zu der Panzer, der Schwerter Glanz
Stund dein Antlitz, das pulvergeschwärzte.
Jetzt bist du blank, jetzt bist du zahm,
Und lahm ist deine Lafette,[102]
Dein Kupfergesicht hochrot vor Scham
Und feist, als ob's gealtert hätte.
Nun, schäme dich nicht, du elektrischer Aal,
Hast ja noch einen wackeren Posten,
Wenn auch da drüben im Arsenal,
Dein Futter, die Kugeln rosten.
Ertönst du nicht vom Walle herab
In die bebenden Niederungen,
Wenn ein armer Sklave aus seinem Grab,
Aus seinen Ketten entsprungen?
Wenn ein Krämerhaus in Flammen gerät,
Zur Friedensrevue vor den Toren,
Zum Namenstag Seiner Majestät,
Und so oft ein Prinzeßchen geboren?
Geduld! Vielleicht kannst du wiederum, –
Und bald! – in die Feinde hageln;
Bis dahin, mein Veteran, sei stumm,
Daß sie dir das Maul nicht vernageln!
Ausgewählte Ausgaben von
Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters
|
Buchempfehlung
»Was mich einigermaßen berechtigt, meine Erlebnisse mitzuteilen, ist der Umstand, daß ich mit vielen interessanten und hervorragenden Zeitgenossen zusammengetroffen und daß meine Anteilnahme an einer Bewegung, die sich allmählich zu historischer Tragweite herausgewachsen hat, mir manchen Einblick in das politische Getriebe unserer Zeit gewährte und daß ich im ganzen also wirklich Mitteilenswertes zu sagen habe.« B.v.S.
530 Seiten, 24.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro