10.

[219] Stirb, Engel, stirb in meinen Armen plötzlich!

Im Kuß laß Deinen roten Mund erkalten,

Im Kuß den letzten Seufzer sanft zerfließen!

Dann soll mein Herz Dein Bildnis unverletzlich,

Wie Sarg und Grab, in seinem Schreine halten

Und über ihm in treuen Finsternissen

Sich stark und ewig schließen.

Mich quält, daß andre nach mir Dich umfassen

Und Deiner Liebe volle Rosen pflücken,

Drum möcht ich Dich dem Tode überlassen

Und scheidend in sein Witwer-Bett Dich drücken.

Der Tod ist treu, in seinem Haus ist Frieden,

Und Treu und Frieden eine Lüg hienieden.

Quelle:
Franz von Dingelstedt: Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters, Tübingen 1978, S. 219.
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Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters (Deutsche Texte)