2. Amaryllis

[204] Gräser blühen und sprießen empor

Hier, wo du liegst in dem schwarzen Schrein,

Und es ruht auf duftendem Blumenflor

Deiner Haare goldener Schein.


Nun, da versiegt meiner Thränen Flut,

Zeigen im schimmernden Morgentau

Deinen süßen Mund mir des Mohnes Glut,

Deine Augen der Veilchen Blau.


Kann die lichte Gestalt, die mich umschwebt,

Vergehn als herbstlicher Nebel Raub,

Sie, deren Hauch diese Halmen belebt

Und der Bäume welkendes Laub?


Holde Geliebte! so lange schon

Unter den Veilchen schläfst du allein –

Doch durch ihn, den wonnespendenden Mohn,

Bist selbst im Grabe du mein.

Quelle:
Ludwig Ferdinand Schmid: Dranmor’s Gesammelte Dichtungen, Frauenfeld 41900, S. 204-205.
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