2.

[223] Was haben Dichterworte zu bedeuten,

Was soll ein Lied, das keiner Laune fröhnt?

Und, wenn es weder schmeichelt noch verhöhnt,

Wie findet es den Weg zu fremden Leuten?

In diesen Tagen, den gewitterschwülen,

In dieser Zeit, der bangen, überreifen,

Wer wird, um seine Sorgen wegzuspülen,

Nach dem Pokale des Poeten greifen?

Ein deutsches Mägdlein mag von Bechern nippen,

Die fader Maitrank füllt; seit meine Lenze

Von dannen flogen, ist, was ich kredenze,

Kein Honigseim für jungfräuliche Lippen.

Ich komme nicht als ungestümer Dränger,

Als Waffenherold oder Minnesänger,

Verlasse selten mein bequemes Zelt.

Wohl sah ich einst, aus hoher Fensterbrüstung,[223]

In Jugendübermut, in voller Rüstung,

Durch Morgennebel in die weite Welt;

Jetzt aber ist es innerste Betrachtung,

Die mir allein geziemt; von mir entfernt

Ist des Genusses Kelch; was ich gelernt:

Entsagung; Selbstbezwingung, Selbstverachtung,

Was ich erhofft, erfleht, was ich gewonnen,

Hat sich in der Gedanken Feueresse,

In meines tiefsten Wesens Flammenbronnen

Langsam geformt zu einer Totenmesse.

Nicht ganz erloschen war, was einst so mächtig

In mir gebrannt, was sich als Glut bewährte,

Die keiner schüren wollte, keiner nährte,

Und was ich selbst entfachte – doch bedächtig.

Poetenherz! aus deiner Asche sprühn

Die Funken hoch empor – es sind nicht viele –;

Der Winter naht, wir stehen bald am Ziele,

Und mich bedünkt, daß eitel mein Bemühn,

Daß mich die Außenwelt, die glatte, kalte,

Verdammen muß, weil du zu rasch geschlagen.

O Herz, ich höre Stimmen, die dir sagen:

Du bist das gleiche noch, du bist das alte!

Wohlan, verloren sei mein letzter Pfeil!

Verklingen mögen meine Melodien,

Wenn siegesstarke Sänger für das Heil

Der Menschen vor der Wahrheit niederknien!

Tod! du erschütterst meines Wissens Schranken;[224]

Doch ungestillte Sehnsucht reißt mich fort;

Nicht mir gebührt das priesterliche Wort,

Das rechte Wort für zündende Gedanken;

Ich beuge willig mich vor Geistesfürsten,

Und ich ersehne ihren Götterwein

Für alle, die in ihrer Herzenspein

Nach Himmelsnektar, nach Erkenntnis dürsten.

Quelle:
Ludwig Ferdinand Schmid: Dranmor’s Gesammelte Dichtungen, Frauenfeld 41900, S. 223-225.
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