XLVI.

Von der Entdeckung des Umlaufs des Geblüts, und der Transfusion oder der Ableitung des Blutes eines Menschens oder Thieres in die Blutgefässe eines andern.

[94] Gereichet es den heutigen Aerzten zur Schande, oder ist es den Alten eine Ehre, daß die Entdeckung des Umlaufs des Geblütes in der Heilkunst keinen beträchtlichen Unterschied verursachet hat? Ist die Kenntniß der kreismaßigen Bewegung des Blutes der Grund, auf welchem die ganze Arzneykunst beruhet, und ohne welchen selbige nichts als eine blinde Quacksalberey seyn kann? Wenn es dem so ist, wie kommt es dann, daß die Arzneykunst in unsern Händen noch keinen merklichern Fortgang gemachet hat? Warum schöpfen wir denn fast alle unsere Kenntniß aus den grossen Geistern, die sich der Kunst beflissen haben, welche dem Hyppocrates die Unsterblichkeit erworben hat?


Die Entdeckung des Umlaufs des Blutes gleichet einem Gebäud welches nach und nach entstanden ist; Harvei, dem man fast allezeit die Ehre dieser Erfindung zuschreibet, und der A. 1628. das Werk herausgabe, in welchem solche festgesetzet und eingeführet wurde, hat gleichwohl das[95] Verdienst nicht, daß er wirklich den Grund dazu geleget hatte. Er hat den Entwurf davon schon in den Schriften des berühmten Servet, der, ob er wohl selbst ein Schwärmer war, doch gleichwohl dem Haß eines andern Schwärmers1 aufgeopfert wurde, gefunden; und die Arbeiten des Realdus Columbus, wie auch des Cesalpins, gaben ihm Mittel an die Hand, solche völlig gar ins Reine zu bringen. Seine Erfindung jetzte einige Gelehrte in Verwunderung, welche wohl einsahen, daß dieser vortrefliche Mann, indem er den Vorhang weggezogen, welcher, wie ein berühmter Schriftsteller sich ausdrücket, fast alle Geheimnisse der thierischen Beschaffenheit verborgen hatte, der Vernunft dadurch einen Leitfaden, gegeben hatte, der sie ohne Beyhülfe der Sinnen anführen konnte: Demungeachtet empörten sich fast alle Aerzte, weil sie den Begriffen der Alten gar zu sehr ergeben waren, wider eine neue Wahrheit: Harvei war in ihren Augen nichts andersts, als ein Insecten- Frösch- und Schlangen-Zergliederer; die alten Practici konnten gar nicht begreifen, daß ihnen noch etwas zu lernen übrig seyn sollte; sie starben vergnügt mit ihrer Unwissenheit: vernünftigere Leute aber suchten durch neue Erfahrungen neue Beweise auf;[96] unter welchen die Transfusion die berühmteste ist. Den ersten Begrif davon hat man dem Liba vius zu danken; diese besondere Operation hat vielen Lärmem verursachet, und soll, wie man gesagt hat, von ihm nach der Fabel der Medea erfunden worden seyn. »Man nehme, sagte er, einen gesunden und starken Menschen, und einen andern ausgezehrten Körper, dem kaum noch einiger Lebenshauch übrig ist, an; nehmet zwey silberne Röhren, machet in die Ader des vollkommen gesunden Menschen eine Oefnung und stecket eine Röhre in diese Ader, öfnet auf eben solche Art die Ader des Kranken, stecket die andere Röhre in dieses Gefäß, und verbindet die beyden Röhren so genau miteinander, daß sich das Blut des gesunden Menschen in den kranken Körper ziehet; so wird solches eine neue Lebensquelle hinein bringen, und alle Gebrechen werden verschwinden.«


Ein so zuversichtlich und von einem schon in Ansehen stehenden Mann vorgebrachter Satz muste nothwendig einen oder den andern verleiten; Es fehlet unter den Aerzten niemals an solchen, die sich von der Neuigkeit dahin reisen lassen, und es giebt genug willfährige Geister, welche die Gefahr, die zu besorgen ist, wenn die Sachr mislingt, nicht[97] eher untersuchen, als wenn es schon zu spät ist, die Klippe zu vermeiden.


Das was Libavius vorschluge, wurde in kurzen versuchet. Man ließ das Blut eines Thieres in eines andern Adern laufen. Zwey beständig aufeinander eifersüchtige Nationen machten sich einander den ersten Versuch dieser Erfindung strittig. Man betrachtete sie, wie der berühmte Herr Senac saget, als ein Hülfsmittel wider alle Krankheiten: ja man sahe so gar die Versicherung der Unsterblichkeit ganz deutlich in dieser Transfusion.


Die ersten Versuche geschahen nach dem Bericht einiger Schriftsteller in Frankreich; aber die erste mit Umständen erwiesene Transfusion wurde A. 1658. von dem Hansheau angestellet. Lower ein engelländischer Zergliederer, der sich durch einen wohlabgefasten Tractat von dem Herzen bekannt gemacht hat, brachte diese Operation A. 1665. zu mehrerer Vollkommenheit. Ein Jahr nachhero wollte Her Denis, ein Arzt, der sich mehr mit den Glücksspielen als mit den Spielen der Thierischen Maschine beschäftigte, sich auch dadurch hervorthun, daß er in die Fusstapfen des Lowers trate. Die Herren Rnig und Coxe, englische Aerzte, folgten diesem Beyspiel. Das Geschrey, welches diese Versuche verursachten, brachte eben diese Neugierde nach Italien; Herr Caßini war zu Bologna,[98] und Herr Grissoni in einer andern Gegend, Zeuge einiger neuer angestellten Versuche.


Herr Denis war noch verwegener, und wagte es, mit einem Menschen einen solchen Versuch zu machen, den er beredete, das Blut eines Thieres in seine Adern einzunehmem. Lower und Rnig ahmten dem Herrn Denis hierinnen bald nach. Die Italiener waren in kurzem eben so verwegen: sie wiederholten A. 1688. die Transfusion bey unterschiedlichen Menschen. Biva und Manfredi nahmen diese Operation vor. Ein Arzt, Namens Sinibaldus, wollte solche an sich selbst versuchen. Man fand endlich allenthalben bis in Flandern Transfusores. Aber wie waren die Erfolge dieser Operation bey den Menschen und Thieren? Die Thiere starben, nach dem Bericht des Herrn von Senac, an der von Lower versuchten Transfusion nicht. Herr Rnig hatte die Erfahrung gemachet, daß ein Schaf, welches das Blut einer Kuh in seine Adern bekommen, behend und lebhaft wurde. Herr Core ließ das Blut eines räudigen Hundes in die Gefässe eines gesunden und recht muntern Hundes laufen, bey diesem Hund bemerkte man keine Veränderung, der andere wurde aber durch den Abgang des Blutes von der Räude curiret, der Appetit schiene bey den Hunden, denen man ein neues Blut gab, auch nicht benommen zu seyn.[99] Einer derselben erhielte dadurch den Gebrauch der Werkzeuge seines Gehöres wieder: ein anderer schien wieder ganz jung zu werden, ein Pferd von sechs und zwanzig Jahren bekam durch das Blut eines Schafes seine Lebhaftigkeit wieder.


Bey einigen Menschen war der Erfolg gleichfals nicht unglücklich: als Herr Denis das Blut eines Schafes in die Adern eines Schlafsüchtigen liese, so ermunterte solches diesen Kranken von seiner Trägheit, welche die Folge eines Fiebers war. Eben dieses Mittel verschafte einer Frau, welche von den Aerzten schon war aufgegeben worden, ihre Gesundheit wieder. Eine Mannsperson, deren Gemüth durch die Liebe in Unordnung gerathen war, erhielte innerhalb zweyen Monaten durch das Blut eines Thieres ihren guten Verstand wieder: einige Zeit nachhero verfiel dieser Mensch wieder in seine vorige Thorheit, man brauchte ohne allem Scheu das nämliche Mittel, der Tod war nachhero die Folge davon. Ein Schweb, Namens Bond, starb an einem hitzigen Fieber nach dieser nämlichen Operation. Die Weisheit des Parlements thate endlich einer Verwegenheit Einhalt, die ansteckend werden wollte.


Derjenige Mensch, an dem man die Transfusion in Engelland versuchte, erfuhre keinen widrigen Zufall nach dieser Operation: In Italien füllte[100] sich ein Lungensüchtiger vergebens die Lungen mit fremden Blut an, er starb: aber die andern Kranken, die zu diesem so ungewöhnlichen Mittel ihre Zuflucht nahmen, wurden von dem Fieber befreyet; diese Erfolge wollten aber gleichwohl vernünftigen Aerzten nicht entscheidend genug vorkommen. Man ist übrigens nicht berechtiget ein Mittel, das bisweilen gute Wirkungen gehabt hat, aus den Mitteln wegzustreichen, die man zur Heilungskunst anwenden kann.

Fußnoten

1 Calvin ließ ihn zu Geneve den 27. Octobr. A. 1553. in einem Alter von 44. Jahren wegen eines theologischen Streits lebendig verbrennen.


Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 94-101.
Lizenz:

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon