LI.

Ausserordentliche Blutflüsse.

[110] Das Blut hat sich bisweilen durch solche Theile einen Ausgang gemachet, die zu Blutflüssen[110] gar nicht aufgelegt zu seyn scheinen. Eine Dame, die nach Spa in das Bad verreiste, um sich von der Gelbsucht zu heilen, verlohr einstens aus dem kleinen Finger ihrer rechten Hand mehr als zwölf Pfund Blut, ohne daß man nach diesem so wunderbaren Abgang einige Wunde an dem Finger sehen konnte. Man konnte aller angewandten anziehenden Mittel ohngeachtet, das Blut nicht stillen. Diese Dame, welche schon zu Brüssel einigemal diesen ausserordentlichen Blutfluß gehabt hatte, kehrte wieder nach Haus, ohne daß sie von ihrer Gelbsucht befreyet wurde, und starb daselbst einige Zeit nachher an der Wassersucht.


Henr. Hecr. Observat. 23.


Ein Mensch von drey und vierzig Jahren empfände in dem rechten Arm einen grossen Schmerzen. Der Arm war davon ganz ausserordentlich erhitzet, und die Hand war ganz roth. Bald darauf bemerkte er an der Spitze des Zeigfingers eine Geschwulst mit einem schwarzen Punct, als wenn er sich einen Dorn eingestossen hätte, wofür er es auch wirklich hielte, und da er sich deswegen den Finger aufritzte, um ihn heraus zu ziehen, so gieng ein Zug Geblüt heraus, der erst nach einigen Stunden aufhörte. Aber kurz darauf fieng das Blut wieder an zu laufen, und hielte ganzer vier und zwanzig Stunden lang an, bis der Kranke endlich[111] in Ohnmacht fiele. In den zwölf Jahren über, die er nach diesem noch lebte, begegnete ihm dieser Zufall vielfältig, und jedesmal verlohr er ungefähr dabey vier Pfund Geblüt. Wenn man es aufhielte, so empfande er so unleidentliche Schmerzen in dem Arm, die ihm kein Mittel lindern konnte. Je mehr er Wein trank, je häufiger kamen ihm diese Zufälle, und er wurde endlich so sehr davon geschwächet, daß er daran sturbe.


Trans. Philos. 1685. p. 989.


Eben diese Transactiones berichten einen beynahe ähnlichen Umstand. Ein junger Mensch von vier und zwanzig Jahren hatte von seiner Kindheit an einen Blutfluß an dem Daumen seiner linken Hand, ans welchem das Blut ordentlich alle Monate zur Zeit des Vollmonds, zur rechten Seite des Daumens bey dem Nagel liefe, und zwar ohne daß er am Kopf oder sonst irgend einige Schmerzen spürte. Es gieng dessen insgemein bis auf vier Unzen in unterschiedlichen Zügen, die mit vieler Heftigkeit schossen, heraus. Als dieser junge Mensch das sechzehende Jahr erreichet hatte, verlohr er bey einem halben Pfund Blut, und befand sich dieses Abgangs ungeachtet, beständig wohl auf, und spürte keine Entkräftung. Als er endlich vier und zwanzig Jahr all war, so stieß er, weil ihm entweder diese Zufälle zu verdrüßlich waren, oder weil[112] er sahe, daß das Blut nicht mehr so leicht laufen wollte, ein heises Eisen an seinen Daumen und hemmte dadurch den Lauf des Blutes; es kam ihm dieses aber theuer zu stehen: denn er befand sich seit dieser Zeit niemals mehr wohl auf, sondern bekam vielmehr öfteres Blutauswerfen, heftige Colicken, grosse Schwachheiten, und unterschiedliche andere Krankheiten, die seine Kräften erschöpften. Dieses lehret uns, daß wir die Natur wirken lassen, und wenn sie bisweilen ausserordentliche Mittel gebrauchet, sie nicht stöhren sollen, um Krankheiten zu vertreiben oder solchen vorzukommen.

Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 110-113.
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