LXXV.

Was den Boerhave veranlaste, sich der Arzneykunst zu widmen, und einige andere Umstände seines Lebenslaufes.

[163] Unter allen Aerzten, die sich besonders hervor gethan haben, verdienet unstreitig der berühmte Boerhave vorzüglich, daß wir unsere Aufmerksamkeit auf ihn richten, und einige besondere Umstände seines Lebens betrachten; Dieser grosse Gelehrte, dessen Leben in den Jahrbüchern der Kunst einen so merkwürdigen Zeitpunct ausmachet, der alle Theile der Arzneykunst so sehr bereichert, und allenthalben Kennzeichen der tiefsten und unermeßlichsten Gelehrsamkeit hinterlassen hat, stammet seinem Ursprung nach aus den französischen Niederlanden her. Er war zum Dienst des Altars bestimmet, und sollte seinem Vater nachfolgen, welcher[163] ein Priester in einer protestantischen Kirche in einem holländischen Dorf war, und ein Priester venrichtete diese Absicht. Ein Geistlicher traf den Boerhave eines Tages an, und unterhielte sich mit ihm; es wurde die Religion von ohngefähr der Gegenstand ihrer Unterhaltung; ein Gegenstand, bey welchem sich die wenigsten Gemüther in Schranken zu halten wissen; die beyden Gottesgelehrten kamen von dem Gottesdienst auf den GOtt, der solchen fodert, zu reden; man sprach von GOtt, und Boerhave wurde, weil er solchen in der ganzen Natur erkannte, in den Augen des Geistlichen für einen Atheisten angesehen, der ihn darauf auf eine allzuunchristliche Art für einen Spinozisten ausschrie, und dieser übertriebene Eifer war Schuld, daß er sich der Arzneykunst widmete.


Die allerglücklichste Sendung hat bisweilen keine so glücklichen Wirkungen nach sich gezogen. Boerhave, der als ein Diener des Evangelii solches vieleicht einigen hundert Holländern, die es schlecht genug verstanden und noch schlechter in Ausübung gebracht hätten, gelehret hätte; hat, da er ein Arzt wurde, einigen tausend Menschen das Leben wieder gegeben, und mehr als tausend Menschen mit seinen Einsichten erleuchtet. Diese Betrachtungen werden die Unbilligkeit derer jederzeit widerlegen, die eine Veränderung verdammen,[164] durch welche er zu dem grösten Ansehen gelangte, zu welchem sich ein Mensch jemals Hoffnung machen kann. Er bekam einstmalen ein Schreiben aus China mit der Aufschrift: An den Herrn Boerhave, Arzt in Europa: es ist ganz sicher, daß an den Boerhave, Geistlichen zu Voorhout keines dergleichen so weit her würde gekommen seyn.


Wenn er bisweilen den Neid erregte (denn dieser Rost hängt sich an das Verdienst am unfehlbarsten an, weil es am durchdringensten ist) so erregte er auch im Gegentheil weit mehrere vortheilhaftere Denkungsarten. Er hatte Bewunderer; er hatte Freunde; einer seiner zärtlichsten Freunde bezeigte einen solchen Eifer, und zwar auf eine Art, die ein merkwürdiges Aufsehen verursachte, gegen ihn, daß solches allerdings hier angeführt zu werden verdienet; er erfande nämlich in seinen Untersuchungen eine neue Art einer Pflanze, welche sein Herz dem Boerhave zu Ehren zueignete, und bey den Botanickern unter dem Namen der Boerhavia bekannt wurde. Sternseher würden diesen ehrwürdigen Namen einem neuen Trabanten beygeleget, Reisende würden ihn einem neuen Land oder einer entdeckten Insel; und ein Poet einer Gottheit gegeben haben: der Botanicker giebt ihn einer Pflanze; diese Ehrenbezeigung ist eben[165] so groß, schmäuchelhaft und dauerhaft, und man kann die Worte des Virgils: ipsa sonant arbusta; Deus, Deus ille, ganz wohl hieher anwenden.


Daß die Werke des göttlichen Boerhave allenthalben bekannt und ausgebreitet sind; daß seine medicinische Institutiones über die Gränzen unsers Europa hinausgehen, bis nach China kommen und daselbst Bewunderung erregen; daß dieses vortreffliche Buch so gar einem Mufti bekannt und von ihm geschätzet wird, und sich dieser es für eine Ehre achtet, solches zu übersetzen; allen diesen Ruhm und diese Ehre verdienen seine Schriften: daß aber die Anatomie des Wundarztes Dionois in die tartarische Sprache übersetzet, und ein so mittelmäßiges Werk das Handbuch der chinesischen Aerzte wird, ist ein Umstand, dessen man sich ohne Aergerniß über die Unwissenheit des dienstfertigen Jesuiten Parennins nicht erinnern kann. Dieser Glaubensbote, welcher, da ihn der Kaiser Camhi von China auftruge, das beste anatomische Werk aus Europa zu übersetzen, ohne Anstand den Dionois übersetzte, würde, wenn man das beste Journal von dieser Materie aus Europa von ihm verlanget hätte, gewiß nicht unterlassen haben, das Journal von Trevoux zu übersetzen.


Man kann wohl sagen, daß seit dem Hyppocrates kein Arzt weder so gelehrt, noch so bekannt,[166] noch so reich als dieser berühmte holländische Arzt gewesen, welcher den 23. Septembris A 1738. zu Leyden in einem Alter von 70. Jahren weniger drey Monate und zehen Tage verschiede.

Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 163-167.
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