CXXI.

Von einem Mädchen, der fast alle Gebeine an ihrem Leib durch eine innerliche Ursache brachen.

[254] Den 8. Merz 1690. kam ein Mädchen von ohngefähr dreysig Jahren in den Kranken-Spital, welche seit vier Monaten an ihrem ganzen Leib ausserordentliche Schmerzen empfande, ohne daß doch einiger Anschein eines Fiebers vorhanden war. Sie konnte aber doch ungehindert gehen und andere Bewegungen machen: wenn man sie aber nur anrührte, so fühlte sie grossen Schmerzen. Drey Monat nachher, da sie das Bett hüten muste, weil sie nicht mehr gehen konnte, brachen alle ihre Gebeine dergestalt, daß man sie nicht berühren konnte, ohne einen neuen Bruch zu verursachen, und ihre Schmerzen wurden immer heftiger. Man öffnete sie, und fande, daß die Oberschenkel, die Schienbeine, die Arme, die Schlüsselbeine, die Ribben, die Wirbelbeine, und die Hüftbeine zerbrochen, und kein Bein an ihrem ganzen Leib ganz geblieben war. Sie waren so dünn und zart, daß man sie nicht zwischen den Fingern halten konnte, ohne daß sie in kleine Trümmer zerbrachen, die so weich wie eine feuchte und faule Baumrinde, und mit einem röthlichen Mark so stark angefüllet waren, daß sie in dieser Gestalt völlig zu zerschmelzen schienen. Die Beine der Hirnschale fielen wie die Hirnschale eines[255] vierzehentägigen Kindes, unter den Fingern zusammen; die Knorpeln und die Gelenke hatten keinen Schaden gelitten. Die innern Theile waren ganz gesund, und man konnte in ihrem ganzen Körper kein Kennzeichen einer vorhergegangenen Krankheit finden. Man weis zwar, daß die Franzosen die Beine anfressen können, diese waren aber im Gegentheil wie zerschmelzet, und erweichet; wie war aber die Art der Auflösung beschaffen? Fiat lux.


Journ. des Sav. 5. Fev. 1690.

Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 254-256.
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