[Das Taggerüst steht jetzt in Flammen]

[128] Das Taggerüst steht jetzt in Flammen,

Die Ordnungswelt scheint zu verlohn,

Profile, die von Phoebos stammen,

Entweichen vor Hephaistos Thron.


Den Marmor haben Abendstrahlen

Im Zirkus bis aufs Blut verletzt,

Und allseits wird von Marterqualen

Voll grauser Lüsternheit geschwätzt.


Ein Schiffer spricht dabei von Feuern,

Die man auf Masten oft erblickt,

Er sagt, dann muß man furchtsam steuern,

Da sie ein Gott zur Warnung schickt!
[128]

Auf einmal scheint es auch, als schwirrten

Arenaflammen ringsumher,

Sie fallen auf und einige Hirten

Erschreckt ein irres Lichterheer.


Das Abendblut ist abgewaschen,

Der Himmel sieht getigert aus,

Die Nacht wird alles überraschen,

Doch lahmt sie nicht den Zirkusbraus.


Es suchen Viele mit dem Schmuck zu protzen

Und halten Werthsachen ans Licht,

Geschmeide, die von Feuer strotzen,

Sind ringsum lange noch in Sicht.


Auf einmal wird der Himmel röther,

Die Sterne scheucht ein Glanz zurück,

Doch schimmern nur die Christentödter

In ihrem Ruhm und Schlächterglück.


Ein Morgen graut am Firmamente,

Im Zirkus blickt sich niemand um,

Jedoch die letzten Erdmomente

Der Opfer machen Viele stumm.


Die Hatz hat noch nicht ausgewüthet,

Nun ist die Blutgier voll erwacht,

Es dünkt sich niemand ganz vergütet

Und eher um sein Geld gebracht.


Noch immer lechzt man nach dem Kampfe,

Der bringt der Menge wahre Lust,

Sie liebt das wüthende Gestampfe

Der Bestien auf des Opfers Brust.
[129]

Der Zirkus weckt die Kriegsbegierden,

Die Lust zu plündern lodert hell,

Der Mensch hängt trotz Manier und Zierden

An Schlächtereien und Bordell.


Er will am Abend Lust erreichen,

Er ist durch wilde Brunst erhitzt

Und mancher denkt sich einzuschleichen,

Weil er kein Kaufgeld mehr besitzt.


Im Zirkus sterben ringsum Christen,

Unglaublich steigt die Leichenzahl,

Verreckte giebt es mehr als Kisten,

Und noch fließt Blut durchs Marmorthal.


Schon schwelgen die Patrizierkinder

Im Vorgefühl vom Bacchanal,

Sie sind obszöne Lustempfinder

Und treffen für die Nacht die Wahl.


Die Weiber, die mit Lümmeln flüstern,

Sind ringsum meistens bleich und dick

Und haschen mit dem Buhlen lüstern

Noch einen letzten Christenblick.


Das letzte Augenlichtgeflacker

Erfreut sie, weil es Wuth aufwühlt,

Dann wird beim Bacchanal der Racker

Und Metzen Sinnenlust gekühlt.


Es sind der meisten Menschen Züge

Bereits verthiert und schweißbedeckt,

Doch keiner sah noch zur Genüge

Wie Tiger Menschenblut geleckt.
[130]

Im Zirkus liegen lauter Leichen,

Die Opfer haben ausgezuckt,

Die satten Bestien aber schleichen

Durch Leiber, die sie halb verschluckt.


Es schließt das Leid in Liebestriften

Des Jenseits unsere Lust mit ein,

Das Unheil, das wir boshaft stiften,

Macht unsere Opfer wehmuthsrein.


So zieht denn hin, Ihr tapfern Christen,

Dem Märtyrer ist Licht bestimmt!

Wozu ein blasses Leben fristen,

Wenn dort, in Euch, das Lamm erglimmt?


Die Menschen sind verlorene Schafe,

Die der Zerstörer wild zerstreut,

Dort ferne, hinterm Grabesschlafe,

Erscheint der Hirth, der uns erfreut.


Die Freiheit und die Zucht sind Geister,

Die man auf Erden blind verjagt,

Das Jenseits hilft dem edlen Meister,

In dessen Kunst die Wahrheit tagt.


Ihr Christen, Euer weißes Sterben

Ist wirklich ein beherztes Werk,

Ihr mußtet Euch in Rom verfärben

Und glänzt dafür auf Zions Berg.


Auch Euren Feinden wird verziehen,

Sie gehn mit Euch bei Jesum ein,

Es wurde ihnen Wuth verliehen,

Um Eurer Unschuld Hort zu sein.
[131]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 128-132.
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Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe)
Theodor Däubler - Kritische Ausgabe / Das Nordlicht

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