V. Brief

An Fanny

[15] Liebe, gute Fanny! unsre Abreise ist nach Verfluß einiger Tage festgesezt. Freue Dich! Das ist nun seit zwei Jahren der erste Brief, den ich Dir mit leichtem Herzen schreibe. Mein Gefühl ist also der Freude noch offen? Aber wenn mein Ausschnaufen nur ein Anschein von Erholung wäre, und wenn sich alles das bald wieder ins Trübe zöge! Unglükliche sind doch gegen alles mistrauisch! – Mein Vater überließ einen Theil seiner Güter den Gläubigern, und der Ueberrest ist für seine noch übrigen Tage bestimmt! Klein und rasch ist diese[15] Erholung! Doch, wenn er sich von diesem Wuste losreißt, so kann uns kein hülfloses Elend drohen. Glüklicher Entschluß, der Himmel hat dich gezeugt! Jezt scheint mir der gute Mann nicht mehr so finster, seine Zärtlichkeit wirkt übernatürlich auf mein Herz. Er zürnt nicht mehr, und fährt mich auch nicht mehr so hizig an. Wenn schon mein ganzes Wesen ihm zu lebhaft scheint, so lächelt er und zankt nicht. Mich dünkt es, als ob er sich über meine Haspelei freute, und, wenn ich mich nicht irre, so sieht er meine Lebhaftigkeit für eine gute Grundlage an. Mehrmal nennt er mich einen kleinen Husar, und ich säume gar nicht, diesen Namen zu verdienen. Zu Dir im Vertrauen! Oft dacht ich bei mir selbst: ein wakrer Junge möchte ich gar zu gerne seyn! Das ist ein Wunsch, den ich beständig im Kopf herumjage und dessen Grund ich kaum angeben kann. Wenn ich mich oft so selbsten frage: warum? dann bleibt meine Antwort über dem Zwang unsres Geschlechts stehen. Kann etwas Unbemerkteres auf der Welt seyn, als ein Weibergeschöpf, und giebt es was Elenderes, wenn sie zu stark bemerkt wird? Sind wir nicht ein wahres Schlachtopfer eines gewissen Vorurtheils, und ist dieses Vorurtheil bei unsrer Erziehung nicht nöthig um unsre Eitelkeit zu schrökken und der Männer Herrschsucht ihr Opfer zu bringen? Das ist doch allerliebst! Was uns zum Laster angerechnet wird, das ziert ihre Freiheit, und wenn es ihnen gleichwohl keinen Ruhm macht, so bestraft oder beschnarcht sie doch Niemand darüber, am wenigsten aber sie sich selbsten untereinander. Sie reizen uns zu Fehltritten, wir geben ihnen Gehör, und wenn es alsdann fehlschlägt, so fällt die ganze Last nur auf uns. Sie nennen uns schwach, und wir sind doch in gewissen Fällen weit stärker als sie. Ueberhaupt finde ich sie in vielen Stükken äußerst ungerecht, und gäbe es unter uns nicht so viele leere, hirnlose Puppen, ich würde die erste[16] Rebellin werden, alle andere zur gesunden Vernunft aufzuhezzen. Daß man uns so fad erzieht, und daß sich so wenige von uns auszeichnen und zu regieren wissen, das mag wohl die Ursache eines so strengen Gesezzes seyn; und da haben die Männer Recht. Denn dumme Weiber sind oft aus Nothwendigkeit tugendhaft, und gescheide Weiber schweifen aus Eitelkeit aus. Bei einem andern Anlaß ein Mehreres über diesen Punkt. Gute Nacht, Liebe!


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 15-17.
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