XVII. Brief

An Fanny

[33] Beßte, theuerste Freundin! Wieder ein neuer Auftritt, und für mich ganz neu. Meine Base, die Thörin, ist auf mich eifersüchtig. Was wird mein Vater sagen, wenn ihm das tolle Weib im Taumel ihrer Leidenschaft schreibt? Doch er kennt mich, wird nichts schlimmes glauben. Gewis, Freundin, ich bin unschuldig. Ich konnte ja die kleinen Gefälligkeiten ihres Mannes nicht mit Gewalt von mir abwenden. Oft stund mir der Schweis auf der Stirne, wenn er so[33] auf mich lauerte und nach jeder Gelegenheit haschte, um mir seinen Eifer zu zeigen. Bis jezt kann ich Dir in Rüksicht seiner keinen Bescheid geben, denn wenn er nicht dringender wird, so mag es noch immer hingehen. Indessen kümmert mich doch diese Avantüre, denn zu was ist wohl eine eifersüchtige Frau nicht fähig? Ich wünschte Dich bei mir, um von Dir zu lernen, wie man dergleichen Auftritte mit Vernunft ausharren muß. Jezt noch ein Bischen von meinen hiesigen Verrichtungen: Du weist, daß meine Mutter ein Vermögen hinterlies, so für uns Kinder in Verwahr genommen worden. Du kannst leicht denken, wie es aussehen mag, da mein Vater schon seit zwei Jahren keine Rechnung von unserm Vormunde erzwingen kann. Stelle Dir vor, ich bin hier, um meinen rohen, fühllosen Vormund zur Gewissenhaftigkeit zu zwingen, und das mag wohl eine nicht kleine Unternehmung seyn, denn mein Vormund sieht einem geizigen Advokaten ähnlich, der unter dem Schein der Rechtschaffenheit seinen Beutel spikt. – Er empfieng mich mit einer Staatsmine die an Barbarei gränzt. In wenig Tagen mehr von diesem Toffe. – Jezt rufen mich Geschäften. Lebe wohl, meine Fanny!


Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 33-34.
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