LII. Brief

An Fanny

[129] Heute, meine gütige Fanny, kann ich Dir schon etwas Mehreres von meinem Schiksal sagen. Der liebe Oheim will in Zukunft für meinen Unterhalt sorgen. Doch wünschte er mich in dem stillen Aufenthalt eines Klosters zu sehen. Ich bin seinem Wunsche gar nicht entgegen; mich verlangt selbst nach Einsamkeit, nach Ruhe. Nur fürchte ich, daß die Stille des Klosters zu stark auf meinen lebhaften Geist wirken wird, und daß sich meine Leidenschaften erst dann zu empören anfangen werden, wenn der Mangel an Freiheit sie aufwekt. Dieser Aufenthalt wird mir Anfangs ein Grab scheinen, wo man leblos den Freuden der Natur entsagt, und sich der Schöpfung nur verstohlner Weise in den traurigen Winkeln der Zellen freuen darf. Nie würde ich mich entschließen, ein Mitglied dieses unsinnigen Vorurtheils zu werden. Aber so als Zuschauerin, als Beobachterin dieser heimlich Unzufriedenen auf einige Zeit einen solchen Aufenthalt zu wählen, dient[129] mir zur Menschenkenntnis. Da mich mein Oheim nicht dazu zwingt, so ist meine Neugierde die Triebfeder meines freien Willens. Man wollte mich versichern, daß es in solchen Gefangenschaften eben so viel Zufriedene, als Unzufriedene gebe.– Dies kann ich unmöglich glauben; bald sollst Du hierüber mein Urtheil aus Erfahrung hören. Der Mann meiner Wohlthäterin hat nun meine Lage durch ein Ungefähr erfahren. – Dieses und die fortdauernde Liebe des Fräuleins mit meinem Vetter B*** hat ihn so sehr in Harnisch gejagt, daß er mir es derb fühlen ließ. Seine Frau wußte diesem Groll vorzubeugen, und gab mich in das Haus ihrer Schwester. Das Fräulein und ihre Mama eiferten freilich wider meine Klostergedanken – und haben mir zu einer Heirathsabsicht die Bekanntschaft eines Mannes angezettelt, der jezt eine ansehnliche Stelle beim hiesigen Hofe begleitet. Dieser Mann hat Talenten, stund ehedessen in spanischen Diensten als Offizier. Er hat Amerika, Spanien, Portugal, Frankreich, Italien und mehrere Länder durchreist. – Das stille bürgerliche Leben will nun freilich seinem unruhigen Geiste nicht behagen, er wird nächstens in andere Kriegsdienste treten, und dieser junge Mann buhlt um meine Liebe. Sein Blik ist etwas finster und untersichgeschlagen, er hat Lektur genug, um von Moral zu plaudern. Was übrigens für Leidenschaften in ihm herrschen und wie sein Herz aussieht, weis ich nicht, denn er ist mehr verschloßen, als offen in seinem Wesen. – Frau von D***, das Fräulein und meine Hausfrau loben ihn übrigens mit vielem Affekt. Er scheint in seinen Briefen einen fliegenden Enthusiasmus zu behaupten, denn er schrieb mit feurigem Schwung der Liebe wegen meiner an meinen Oheim. – Wenn ich mich je entschließen könnte, so ein Band zu knüpfen, so wäre meine liebe Schwester die Hauptursache davon. Denn ich muß das Mädchen bald in meine Arme rufen, sie ist es satt, eines Kerkers satt, den sie aus[130] Zwang wählen mußte. – Indessen bleibt mein Entschluß für jezt fest, mich auf einige Zeit nach A*** ins Kloster zu begeben. Vielleicht entscheidet die Vorsicht bald mein Schiksal, wenn mein Freier mit Standhaftigkeit auf meine Liebe dringt. Er hat zwar nicht vollkommen das an sich, was die Eitelkeit eines Mädchens befriedigen könnte. Doch ist er ohne häßlich zu seyn, nur etwas steif und kalt, nach spanischer Art. – Wenn ich nun sein Herz besser kennen lernen wollte, so müßte das meinige weniger gut seyn, denn eben dieses zu gute Herz macht mir bei jeder kritischen Anmerkung einen Dunst vor die Augen, der am Ende mein Unglük machen könnte. – Ich bin durchaus nicht im Stande Menschen zu untersuchen, weil es mir an Erfahrung und hinlänglicher Kälte fehlt, die Menschen zu erforschen. Ich finde aus angeborner Gutheit überall mein Echo, bis die leidige Ueberzeugung von Menschenfalschheit mich leider zu spät immer vom Gegentheile überführt. – Noch warte ich deine Antwort ab, und dann fort ins Kloster. Bis dorthin


Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 129-131.
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