LXXVII. Brief

An Fanny

[201] O meine gutherzige Freundin! – Das war wieder für mich ein entsezlicher Auftritt! – Ein Auftritt, der jedes warme, fühlende Menschenherz zum innigen Mitleiden hinreißen muß! – Ich will Dir ihn schildern diesen Auftritt, wenn ich es vermag: – Vor einigen Tagen mußte mein Mann einen Transport Mannschaft nach G.... liefern. – Mein Oheim befürchtete diese Mannschaft möchte in den Händen der Unteroffiziere eben nicht am sichersten seyn. – Aus diesem Grund rieth er meinem Mann, er möchte aus Vorsicht selbst mitreiten.[201] – So sauer nun diese kleine Reise meinen Mann ankam, so durfte er meinem Oheim doch nicht widersprechen, und es geschah. – Er machte sich nebst seinem Bedienten auf den Weg, gerieth aber auf der Rükreise in eine Spielgesellschaft und – Gott erbarme sich seiner und meiner! – – Er verspielte in eben dieser Gesellschaft Pferd, Geld und alle übrigen Kostbarkeiten, die er bei sich führte. – Ha! – Meine Fanny! Wie erschrak ich, als sein Bedienter mit dieser Nachricht bei mir anlangte! – Der Kerl versicherte mich, daß Verzweiflung auf dem nächsten Dorf sich seines Herrn bemächtigt hätte! – Starrend, staunend sah ich dem Burschen ins Gesicht, konnte weder denken noch handeln, alle Faßung hatte mich verlassen! – – Es war mir unmöglich dieses Elend meinem Oheim anzukündigen! – Ich sah jezt seine Wuth, seine Verwünschungen zum voraus! – Und konnte ich es ihm verdenken diesem guten Manne, der sein ganzes Vermögen, seine Ruhe, seine Gesundheit an einen lüderlichen Spieler gewagt hatte? Ja, Fanny, Alles, Alles, blos aus Liebe zu mir, aus Menschenfreundlichkeit, aus Hofnung, daß er sich bessern würde. Er gab diesem Undankbaren was er nur immer entbehren konnte; und nun betrogen, von einem Elenden, dessen Aufführung ihm und seiner Ehrenstelle bald öffentliche Schande gedroht hätte! – Jesus Christus! Ich komme fast von Sinnen, wenn ich die Folgen bedenke, die unserer Familie zur ewigen, unauslöschlichen Beschimpfung durch diesen Leichtsinnigen noch bevorstehen. Trostlos kämpfte ich lange mit fürchterlicher Bangigkeit, unentschlossen irrte ich im Hause herum, mehr als zehen Mal nahte ich mich der Treppe, um diese Nachricht meinem Oheim zu bringen; aber umsonst, es war mir geradezu unmöglich! – Was? – den größten Wohlthäter unter den Sterblichen soll ich so schröklich beugen! – Dies fuhr mir dann wieder durch den Kopf. – Endlich fieng ich an zu rasen, zu wüten, mit den Zähnen zu[202] knirschen, warf mich aufs Bett, rang die Hände, bis meine sinnlose Betäubung meine Qual einschläferte. – Ich phantasirte, rief meinem Mann mit gräßlicher Stimme – so viel erzählte man mir nachher – Rette dich, armer Sünder! – schrie ich – rette dich – vor den Händen der Henker! – Siehst du, wie sie dich pakken wollen! – Siehst du! Haltet ein! um Gotteswillen haltet ein! – Hier ergriff ich den Bedienten beim Halse, der jammernd an meinem Bette stund, und riß ihm in der Verzweiflung seinen Halskragen in Stükke. – Der arme Junge wand sich von mir los, und lief mit Angstschweis bedekt nach Hofe zu meinem Oheim. Gott! wie dieser gefühlvolle Mann zusammenfuhr, wie er hereilte zu meinem Krankenbette! – Mit aller Wärme eines leidenden Freundes bemühte er sich lange umsonst, mich ins Leben zurükzurufen. Gräßlich schwer drükte der Anblik meines so schnelldrohenden Todes sein blutendes Herz! – Dieses ängstliche Gefühl schien den Eindruk zu lindern, den er durch die pflichtvergessene Aufführung meines Mannes tief empfunden hatte. – Wenn mehrere Leiden auf den Sterblichen zusammenstürmen, sagte er mir nach der Hand, so sind doch immer diejenigen am stärksten, wofür sich die Stimme des Bluts verwendet! – Meine kalte, konvulsivische Erstarrung dauerte noch so lange, bis die Thränen und Küße meines Oheims mich wieder zum Leben erwekten. – In seinen Armen öffnete ich meine Augen, an seinem Herzen fühlte ich das meinige wieder zum ersten Male klopfen. Hoch pochte mein Busen auf, aber sprachlos war meine Zunge, bis mein Oheim mich versicherte, daß er von Allem unterrichtet wäre. Jezt fieng bei dieser Erklärung neuer Schrekken an durch meine Glieder zu schaudern; alle Umstehenden zitterten vor einem Rükfall der Krankheit, und mein Oheim beschwor mich um seiner Liebe willen, ruhig zu seyn! – Die Natur hatte sich ermattet, ein schwermüthiger Schlaf gab mir die wenigen[203] Kräften wieder, die sich noch in meinem kränkelnden Körper zu neuen Leiden befanden. – Als mich nun mein Oheim etwas stärker glaubte, fieng er mit Männerkraft an über die Zügellosigkeit jenes Ehrvergessenen auszubrechen: Er ist ein Betrüger! – Er mordet dich und mich! – Wir wollen dieses Ungeheuer der menschlichen Gesellschaft verabscheuen! – Fliehe ihn, meine Tochter! Fliehe ihn! – Er hat muthwillig, mit Vorsaz alle Bande zerrissen! – Ach! um seines Seelenheils willen, mein Oheim, nur diesmal noch Verzeihung! – Nur diesmal! – Heilige Mutter Gottes, hilf mir bitten! – Nur diesmal noch! – Strafbares, zu gutherziges Weibchen, versezte er, soll ich seine Laster durch neue Unterstüzzung nähren? – Soll ich mich der Gefahr aussezzen, Schimpf und Schande an einem Buben zu erleben, der die Kühnheit hatte, fremde Gelder anzugreifen? – Soll ich mein Ansehen, meinen guten Ruf, meine geistliche Würde dem Tadel Preis geben, verstokte Sünder durch unbesonnene Gutheiten im Laster gestärkt zu haben? – Gewis, liebes Malchen, ich bin es bei Gott müde, länger einen Undankbaren zu schonen! – Er hat meine Ruhe zerstört, er hat dich, meinen Liebling, dem Grab zugeschleppt; er hat mich an Glüksgütern entblöst; was will er denn mehr, der Verwegene? – Um der Barmherzigkeit Gottes willen, mein Oheim, nicht weiter! – Sie tödten mich! – Vergieb, arme gute Seele, vergieb! Der Eifer riß mich hin! – Siehst Du, mein Kind, Dir zu Gefallen will ich jezt Mann seyn, und aus Liebe zu Dir, Herzens-Malchen, will ich auch diesmal auf Mittel denken, unsere allerseitige Ehre zu retten. Nur hüte Dich, daß mir dein Mann nicht zu frühe unter die Augen kömmt; denn noch blutet die Wunde, die der schwärzeste Undank mir schlug! – Noch siehst Du blaß aus, wie der Tod, meine Arme, und trägst die Zeichen der Grausamkeit auf deinem Gesichte! – Ich gab diesem Edeln mein Wort,[204] daß ich dafür sorgen würde, meinen Mann seinem Anblik zu entziehen, und so verlies mich der gute sanfte Vater. – Es dauerte aber nur wenige Stunden, so folgte eine Summe Gelds die dieser Herrliche auf seinen Kredit hin geborgt hatte, zum Ersaz für meines Mannes Rükstand. Tages darauf kam der niedrige Sklave seiner Leidenschaften wie ein Verdammter von seiner Reise zurük. Sein Gesicht war zerstört, seine Züge in Unordnung, seine Augen hohl, seine Farbe gelb, seine Haare zerrauft, seine Kleider kothigt, und seine Laune stumm. – Rasch trat er ohne Gruß ins Zimmer! – Angst, Seelenangst überfiel mich Armselige! – Er schien weder meine Krankheit, noch meinen Gemüthszustand bemerken zu wollen. Der beleidigte Hochmuth empörte sich in ihm bei dem Gedanken sträflich zu seyn, und übermannte ihn so sehr, daß er sich einen ganzen Tag lang ohne Speise zu sich zu nehmen in sein Zimmer verschloß. Er schien gar keine Reue zu fühlen. Die Nothwendigkeit, wieder von meiner Seite Hülfe annehmen zu müßen, machte ihn beinah rasend! – Und doch zwangen ihn seine Werbungsgeschäften, daß er mir durch seinen Diener Geld abfodern lies. Ohne den mindesten Vorwurf schikte ich ihm die ganze Summe. Seit dieser Zeit sah ich ihn mit keinem Auge. Mein Unglük ist meine einzige Gesellschaft! – O Fanny! Warum nicht auch der Tod? Wenn es in einer solchen Lage Verbrechen ist, ihn zu wünschen, o so vergieb Allsehender, der gebeugten


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 201-205.
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