CIII. Brief

An Amalie

[79] Liebste, Beßte! –


Ländlich, sittlich! – so sagtest Du lezthin selbst, und doch weigertest Du Dich, Dich zu maskiren; wie kömmt denn das? – O Du eigensinniges Weibchen, Du! – Verhülle in Zukunft dein blühendes Gesichtchen, sonst läufst Du Gefahr ferner beunruhigt zu werden. – Es muß übrigens doch für eine Fremde ein sonderbarer Anblik seyn, wenn sie das lebhafte Gemische so vieler Masken erblikt! – Mir würde zwar dieses Getümmel nicht behagen; Mitleiden und Abscheu würden mich zur tiefsten Traurigkeit hinreißen! – Schröklich ist es, meine Freundin, zu hören, daß selbst der geheiligte Tempel Gottes vom Laster nicht geschont wird! – Christen sollen das seyn? – Christen, die die Größe und Allmacht ihres Schöpfers weder fühlen, noch kennen! – Christen, die aus keinem reinen Unterricht gelernt haben, die Gegenwart Gottes zu fürchten! – Diese Verworfenen beten zu oft, um mit wahrer Zerknirschung des Herzens, mit wahrer Andacht beten zu können. – Ihr kaltes, flüchtiges, abwesendes Herz wiedmet sich aus Langerweile unter ihrem mechanischen Gebet blos sündhaften Nebenbeschäftigungen. Sie hüllen ihre Laster in Andachts-Uebungen ein, um desto freier ausschweifen zu können. – Bigottismus ist der Sünden Schuz, und ihr gleißnerisches Gebet ist ein gräßliches Verbrechen an der Majestät Gottes! – Schein der Frömmigkeit ist bei den Italienern fast immer der Vorbote des Lasters. – Man hält in diesen Ländern vieles auf äußerliche Gebräuche, aber desto weniger auf das innere Gefühl eines denkenden Christen,[79] der mit einem Worte seinen gütigen Schöpfer anzubeten weis. – Da zwingt man die Menschen zum Gottesdienst; sie müßen Predigten anhören, beichten, und alle Gebräuche mitmachen, wenn sie der Bonzen Wut entgehen wollen. – Der freie Willen wird unterjocht, und öffnet dann das Herz der Heuchelei und der Falschheit. – Wenn der Diener seinem Herrn nur aus Zwang unterwürfig ist, dann entfernt sich sein Gefühl weit von dem guten Willen, der das Lob seiner Herrschaft verewigen sollte. – Die Katholiken werden mit Gewalt zur Religions-Uebung geschleppt, und ihr widerspenstiges wildes Gefühl artet dann bei diesem Zwang in Lüge aus, die sie blos zum Schein dem Allmächtigen täglich vorheucheln. – Man verschließe diesen Afterchristen die Kirche, um sie erst den Werth Gottes fühlen und kennen zu lehren! – Man rufe ihnen die donnernde Allmacht des Ewigen feurig ins Ohr, um sie aufmerksamer zu machen auf die Herrlichkeit Gottes, der blos auf das Herz des Menschen sieht! – Mit gefühlvoller Beredsamkeit sollten es die Seelsorger versuchen, ihr angewöhntes kaltes Gebet in warme, innige Empfindung zum Lobe des Allgütigen umzustimmen! – Priester! – ihr seyd die Seelen-Hirten der Christen, ihr seyd die Abgesandten des Weltheilandes! – Euch kömmt es zu, mit Eifer ins menschliche Herz zu dringen; euch ist es Pflicht, das Gefühl für den Urheber der Natur darinnen aufzuwekken und es zu reinigen von falschen Empfindungen! Dringt mit Kunst, mit Menschenkenntnis, mit Güte und Sanftmuth hinein; macht es willig zum Dienste Gottes! – Rührt den freien Willen des Menschen, und ihr werdet siegen! ...................

Ei, da bin ich ja gar zum Prediger geworden, und nahm mir doch vor recht launigt zu schreiben. – Laß sehen, ob ichs jezt wieder dazu bringen kann! – Ich für mein Theil, meine Liebe, will mich eher mit Ruthen streichen lassen, als in die[80] Gesellschaft unserer adelichen Damen tretten. – Ein fühlendes Geschöpf muß sich da mit Leib und Seel entsezzen über den stolzen, schnippischen Blik, womit sie empfangen wird, – wenn es ihr anders noch gelingt in eine solche Versammlung zu kommen. – Es ist gar zu drolligt, wenn manchmal der aufgeklärte Kopf einer Bürgerin dem adelichen Strohkopf mit einer tiefen Verbeugung zunikt! – Ist es möglich? – So muß denn das wahre Verdienst des Herzens vor der Dummheit im Staube liegen bleiben? – Natur, Nächstenliebe und Menschlichkeit werden von diesen Weibern erstikt. – Wer nicht das Glük hat, Ahnen zu zählen, muß mit dem edelsten Herzen, mit dem aufgewektesten Geiste im Winkel stehen bleiben und die adelichen Gänschen bewundern. Würden die Weiber sich durch Tugend und Bildung auszuzeichnen suchen, dann möchte es wohl mancher Dame nicht gelingen, ihr Herz mit einer Unadelichen im Gleichgewicht zu halten. – Der unerträglichste Ahnenstolz verrükt das kranke Gehirn so vieler teutschen Damen, die sich aus Mangel an eigenem Verdienste durch dieses Unding allein wichtig machen müßen. Geburt ohne Philosophie ist ein Geschenk, das so gerne durch Hochmuth bis zur Unmenschlichkeit ausartet; denn wie oft vergessen nicht die Adelichen die Stimme des Mitleidens gegen ihre Untergebenen? – Wenn das Andenken verdienstvoller Voreltern unter den Söhnen zur Aufmunterung fortgepflanzt werden kann, so geht es doch die Töchter nichts an. Ihre ganzen Heldenthaten bestehen, wie die der Bürgerin, im Heirathen, Kindergebähren und Sterben. Sind das nicht Thörinnen, die mit entlehntem Verdienste prahlen wollen? – Herablassung! – Herablassung, meine adelichen Damen, ruft ihnen der gesunde Menschenverstand zu! – Blos Geistesvorzug, Talenten, Menschenfreundlichkeit und edles Herz werden sie wahrhaft in aller Welt Augen adeln; alles übrige ist Eigensinn, Eitelkeit oder Hirngespinst. – –[81]

Doch laß uns izt auch noch ein Bischen die unterscheidenden Vorzüge der jungen Kavaliers untersuchen: – So simpel, gutherzig und albern die Venezianer auch immer seyn mögen, so sind sie doch gewis erträglicher, als unsre spöttischen, dummdreisten, naseweisen Stuzzerchen, die mit boshaftem Herzen in Gesellschaften ihren geborgten französischen Wiz auskramen. – So ein gereister Zieraffe hat Dreistigkeit genug, das ehrwürdige Alter eines biedern Mannes lächerlich zu machen. – Ihre geistlichen Hofmeister, die sie meistentheils begleiten, lassen über der Neuheit der großen Welt das Herz ihrer Zöglinge aus der Acht, und genießen mit ihnen die Süßigkeiten der Schwelgerei. – Uebles Beispiel, unerfahrne Hofmeister und Ueberfluß verderben auf Reisen so viele junge Leute. Flatterhaftigkeit, Laster, Galanterie-Krankheiten, Weichlichkeit, sind fast immer die Früchten ihrer Reisen. Nur selten kehrt ein junger Edelmann aufgeklärt, als wahrer Patriot und muthiger Held zurük. – Das ganze Verdienst dieser verwöhnten Muttersöhnchen besteht in der Windbeutelei und französischem Unsinn. – Diese wollüstigen Gekken verstehen die allerliebste Kunst, den Damen Strumpfbänder zu knüpfen, wohlriechende Wasser zu versprüzzen und mit Herzhaftigkeit eine Fliege todt zu schlagen, wenn sie es wagt auf eine hochadeliche Nase zu sizzen. – Der Kriegsdienst, dem sich unsere Edelleute wiedmen, macht sie gar zu oft brutal und unverschämt. – Wie oft wird ihr stumpfes, verdorbnes Gefühl von den bessern Empfindungen eines gemeinen Soldaten übertroffen! – Unschuldige Mädchen verführen, den guten Namen ehrlicher Weiber verschreien, sich mit Gassennimphen beschmuzzen, Schulden machen, Bürger prügeln, ist alsdann die Beschäftigung, die sie in der Uniform in voller Uebung treiben. – So roh unsre alten Teutschen auch immer waren, so hielten sie doch auf Zucht und Ehre, und befolgten als Biedermänner strenge ihre[82] Gesezze, die nach ihren Begriffen gut waren. – Aber izt, meine Freundin, ist alte Redlichkeit in Staub gesunken! - Milchbärte haben ihr Andenken entehrt! – O das ist traurig, meine Amalie! Doch ich muß schließen! Ewig

Deine Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 79-83.
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