CVII. Brief

An Fanny

[92] O Vorsehung! wie wunderlich sind doch deine Wege! – Unverhofft, Freundin, bin ich auf einmal, wenigstens in einem Punkt glüklich, ruhig an Seel und Leib, denn ich habe meine Freiheit wieder! – Der Tod hat meinen ausschweifenden Mann früher hingerafft, als es von seinem Alter zu vermuthen war. – Er ist dahin; Gott gebe seiner Seele Friede, und mir die vorige Gesundheit wieder! – Nichts hat er mir hinterlassen, als eine Menge Schulden, wofür mein guter Oheim noch bei seiner Lebzeit bürgte. – Dieser zu frühe Hintritt kann vielleicht doch für meinen Oheim und für mich üble Folgen haben. – Gott! – Wenn ich dadurch die fernere Unterstüzzung meines Oheims verlöre! – Ich kränkle ohnehin eine Zeit her, und werde wohl nimmermehr meine völlige Gesundheit wieder erhalten! – Schon seit einigen Wochen verlasse ich mein Zimmer nicht. – Die große Welt ist mir zur Last, ich sehne mich von ihr hinweg! – Das unruhige Getümmel füllt mein leeres Herz nicht aus! – Du kannst nun leicht einsehen, daß Schwermuth für mich eine Nahrung ist, der ich aus Langerweile nachhängen muß. – Mein Mistrauen gegen die Männer geht izt bis zur Menschenfeindlichkeit; ich würde keinem trauen, und wenn er sich in[92] der Gestalt eines Engels zeigte. – Daß mich doch meine Vernunft nie verlassen möge; daß sie mir beistehe bei Begebenheiten, wie ich lezthin eine erlebte! – An einem Morgen meldete mir mein Gretchen, daß ein Fremder mich zu sprechen verlange; ich lies ihn, so wie ich es in Ansehung der Mannspersonen immer that, abweisen. Er beharrte aber auf seiner Bitte, und lies mir melden, daß er Briefe von meinem Oheim zu übergeben hätte. – Die lebhafteste Freude durchströmte mich bei dieser Nachricht; ungeduldig wartete ich izt seiner; er kam, zog eilig seine Brieftasche heraus, und übergab mir den Brief. – Hastig, ohne die Schrift zu unterscheiden, riß ich das Petschaft auf – und fand.... einen buhlerischen Antrag vom römischen Konsul! – Versteinert stand ich da, faßte mich aber eilig wieder; griff nach einem Terzerol, und jagte den Kuppler aus meinem Zimmer! – Dann sah ich Gretchen ihm nachschleichen, welches mich vermuthen ließe, daß sie mit ihm einverstanden sey! – Täglich wird mir diese Kreatur verhaßter! – Sie darf ohne meinen Befehl mit keinem Fuß mein Zimmer betretten; demungeachtet wagte es die freche Plaudertasche mich durch kahle Entschuldigungen zum Zorne zu reizen! – Sie trieb es in Lügen so weit, daß ich ihr aus Aerger ein Glas nachwarf! – Die Uebereilung war hizzig, ich gesteh es selbst; aber derjenige, welcher weis, wozu mich die beleidigte Güte meines Herzens bringen kann, entschuldigt sie leicht! – Morgen erst schließe ich diesen Brief. –


Des andern Tags.

Nun so muß ich denn immer Schlangen im Busen nähren! – So ist es denn mein ewiges Geschikke an Nichtswürdige zu gerathen! Mein undankbares Dienstmädchen hat mich nun gar bestohlen! – Ich fand den Beweis in der Rechnung, als ich meine Börse untersuchte. – Die Dirne läugnete anfangs hartnäkkig, bis ich sie überwies; alsdann erst flehte sie[93] kniefällig um Schonung. – Sie soll von dieser Stunde an meinen Anblik meiden, und so mag sie, bis ich selbst abreise, bei mir bleiben. Ich werde ohnehin vermuthlich in wenig Wochen nach Teutschland zurükkehren müßen. – Dann kann ich Dir, liebe Fanny, vielleicht mündlich sagen, wie warm mein Herz für Dich schlägt. –

Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 92-94.
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