CXXXV. Brief

An Fanny

[167] Nun so hat sich denn das Schiksal wider mich verschworen! – So muß ich denn so oft wider meinen Willen von einer Bühne zur andern reisen? –

Wer hätte denn izt diese geschwinde Veränderung wieder vermuthet, an der die Schurkerei eines schlechten Kerls Schuld ist? – M.... hat seine Büberei vollendet, und ist vor[167] einigen Tagen mit einigen unserer beßten Schauspieler entloffen! – Die Veranlassung dazu war ein heftiger Streit mit seinem armen Weibchen und einer lüderlichen Mezze von Figurantin, die ihn vermuthlich zu diesem Schritte verleitete. – Der schändliche Bösewicht konnte sein Weib und seine Kinder dem Hunger und dem Elend Preis geben! – Er konnte ein Häufchen von Menschen ins Elend stürzen, die sich auf diesen Schritt nicht vorgesehen hatten! – Nun sizt sie da sein armes Weib, mit zwei noch unerzogenen armen Würmchen, und wird von den Gläubigern ihres verloffenen Manns beinahe zerrissen! – Gott im Himmel! Was ist das für ein Anblik! – Wenn nicht einige Menschenfreunde zu Hülfe eilen, so muß dies arme Weib zu Grunde gehen! –

O Armuth! – wie schröklich sind deine Folgen! – Die Gesellschaft ist nun durch diese schlechte Handlung des Direktors ganz auseinander, und unfähig ferner fortzuspielen. – Alle werden sich in wenig Tagein trennen; und müßen sich dann dem Ungefähr überlassen, ob es ihnen bald wieder ein Stükchen saures Brod zuzuwerfen Lust hat! –

Madame J... reist nach F....; wie weh thut es mir, diese wakkere Frau verlassen zu müßen! – Was wird izt aus ihr, was wird aus mir werden? – Zum Glükke ist meine Börse noch hinlänglich versehen, um nach W... reisen zu können, wo sich der Direktor N... aufhalten soll. – Dann mag der Himmel ferner für mich sorgen! – O meine Theuerste! – Nun fange ich an, die Last eines unbeständigen Theater-Schiksals ganz zu empfinden! – Und dennoch muß ich diese Last noch tragen; dennoch muß ich ein Leben fortführen, wobei man aus Nahrungssorge, Gram und Kummer lebendig vermodert! –

Bei meiner Ankunft in W... schreibe ich Dir gleich, damit Du außer aller Sorge seyn mögest. – Wie geht es mit Karls Gesundheit? – Schreibe mir doch auch wieder etwas von ihm! –[168]

Gottes Segen über Dich, holdes Mädchen, bis zu fernerer Nachricht von deiner beßten

Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 167-169.
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