IX. Brief

[19] Eben schlägts zwölf Uhr, und ich trete in's Zimmer! Woher? Aus der Gesellschaft, wo ich meinen Friz verlies. – Was bekümmert mich izt mein Bette, ich muß Dir noch zuerst meine Empfindung schildern. Aber lieber Friz, warum bist Du denn in der Gesellschaft nicht geblieben? – O es gieng die halbe Nacht durch noch toll unter den Leuten zu! L.... ist die lustigste Seele, die ich jemals kannte! Was der Komiker den ganzen Abend durch für Karikaturen machte! Du hättest Dich närrisch gelacht! – Er kopierte einige Situationen aus der Natur ganz vortreflich! – Wir waren[19] untereinander recht ohne Zwang lustig; wie hat Dir meine öffentliche Vorlesung aus dem Schauspiele gefallen? – O was ich da alles fühlte; wie ich mit Deiner grausamen Familie Vergleichungen anstellte, wie es mich drükte, das Vorurtheil, das die arme Julie, und auch mich peinigt! Ich vergas alle Lobsprüche, die man meiner richtigen Leßart zuwarf, und war ganz nur in Juliens Schiksal vertieft, das so viel ähnliches mit dem meinigen hat! Möchtest Du guter Junge das Hinschmelzen meiner Leidenschaften auf deine Rechnung geschrieben haben! Möchtest Du gefühlt haben, wie jeder Ausdruk nur auf Dich zielte! Wie ich darauf antrug deine Seele in Entzükkungen hinzureißen! Könnte ich Dich doch immer mehr und mehr überzeugen: daß Du es mit keinem Alltags-Mädchen zu thun hast! Jedes Lob meiner wenigen Talenten, wenn ich es ja verdiente, sey Dir gewiedmet! – Gewiß Friz! Du hast es mit einer guten Seele zu schaffen. Niedrige können mich nicht kennen, sonst wäre ich ihresgleichen. Du bist aber auch der Einzige, der mein Herz zu schäzzen weis. Man streut mir zwar überall Weihrauch unter den Menschen, aber all der Weihrauch ist eine Kleinigkeit gegen die Liebe meines Frizens. Siehst Du, wie ich mitten im Taumel der großen Gesellschaften Dich immer in Gedanken mitführe; wie Du mir überall mangelst, wie meine Liebe im Grunde meiner gebildeten Seele wohnet; wie ich alles blos für Nebensach ansehe, was nicht Friz heißt. – Hast Du auch schon so ein liebendes Weib gekannt? – Doch pfui! – Das ist eitel, Liebe braucht kein Lob, sie belohnt sich selbst durch namenlose Entzükkung! – Aber sag Theurer, warum warst Du heute wieder so blöde? – Wie konntest Du verlegen seyn, als ich Dir beim Weggehen die Hand drükte? Friz! – ängstige mich doch nicht immer; – Klugheit ist billig, aber ein verstohlner Blik, ein Zeichen ist doch jedem wizzigen Jungen bei solcher Gelegenheit eine Schuldigkeit. Du sagst, ich hätte wieder die lebhafte Gestalt[20] einer Schäkerinn? Aber doch bei Gott absichtslos gegen Andere! – Blos um keine bürgerliche, geschraubte Erziehung zu verrathen, und mich nicht gar allzu lächerlich vom Weltton abzusondern; indessen ist mein stilles Gefühl das feinste, das sahst Du an der Thräne, die mir während dem Vorlesen im Auge zitterte! – Mein Herz ist rein, das weißt Du, auch meine Grundsäzze sind geordnet: Wenn dies Vorzüge sind, so mögen sie einst dein Leben beglükken, wenn mich nicht noch vorher das Unglük, das von der Wiege an mein Loos war, mit Dir in den Abgrund reißen wird. – Friz; Du hast ein armes Geschöpf kennen gelernt! – Hilf mir tragen, Lieber, die Bürde dieses Lebens! – – Izt wirst Du wohl schlafen, guter Junge, weil Du die lezte Nacht so grausam littest? – Wache doch auf Lieber, und schenke Deiner Nina ein warmes Mäulchen! – Du versprachst mir morgen frühe zu schreiben; dann sagtest Du wieder, Du wollest selbst kommen. Sag, auf welchen Punkt soll ich mich nun freuen? – Wirst Du mich wohl wieder marternd auf eines oder das andere warten laßen? – Nimm nichts für Vorwurf; Du kennst meine Lebhaftigkeit! – Wenn Dir nur nichts begegnet ist! – Wenn nur Dein Bedienter bei Zeiten kömmt, und Du hernach nur selbst kommst! – Wenn es nur schon Tag wäre! – – Das ist eine üble Nacht! – – Schon schlägt es zwei Uhr! Es wird drei ... vier Uhr schlagen, und die Natur wird mir noch ihren Trost versagen. Könnt ich Dich doch geschwind überraschen, lieber, holder, beßter Friz! Du bist beßer als alle andere Erden-Söhne; etwas stürmisch, launicht, aber doch liebenswürdig! – Ruhig also, Liebchen, Niemand kann mich anpakken, als alter Weiber-Geklatsch. Und wäre es nicht eine Schande für mich, wenn ich von diesen Niedrigen in meiner Denkungsart verstanden würde? – Laß sie immer plappern die Elenden, die nicht einmal den Unterschied der Herzen zu bestimmen wißen. Nun fängts mich aber doch zu[21] schläfern an! – Deine Liebe sey izt meine Begleiterinn. Aber wenn Du wieder so Grillen machest, wie gestern, dann bekömmst Du vierzehen Tage lang kein Mäulchen mehr von Deiner

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 19-22.
Lizenz:
Kategorien: