LXII. Brief

[108] Friz kannst Du es verantworten, mich wieder so zu mißhandeln? – Unschuldig so zu mißhandeln? – Ich habe bei der gestrigen Mahlzeit weder geschäkkert, noch gelacht, und am allerwenigsten, wie Du sagst, geschwelgt, davon ist ja die ganze Gesellschaft Zeuge, die mich in Deiner Gegenwart über meine schwermüthige Laune aufzog. – Ich hatte über den lüsternen Buben, der an meiner Seite saß, eben so wohl Galle, als Du, und bitter waren meine Antworten, die ich ihm gab, aber nicht leichtsinnig! –

Wenn Dich der elende Kerl durch seine Zudringlichkeit beleidigte, was kann ich dafür? – – Gieng mir sein Betragen nicht durchs Herz? – – – – Ich bitte, ich beschwöre Dich, sey vernünftig, bedenke wohl, was Du thust. – Du bist mir Pflichten schuldig und darfst sie ohne Niederträchtigkeit nicht verlezzen, dann ich verlezze sie bei Gott auch nicht? – Dein Zweifel an meiner Liebe ist Höllenverbrechen, das Dir Satan eingegeben hat! – Willst Du mich mit Gewalt zur elenden Kreatur erniedrigen; dann wird diese lieblose Beschuldigung ein Werk vollenden, daß meine Lebenstage so geschwind als möglich abkürzen soll!!! –

Beruhige mich, wenn Du nicht ein undankbares Geschöpf bist, wenn ich Dir nicht einstens in der Todesstunde noch fluchen soll! – Wie kannst Du gegen Dein Weib so[108] hart seyn, die Dich ewig mit aller Deiner übeln Laune doch lieben wird? – Friz, habe ich dies wohl um Dich verdient? – Du machst mich elend, bei Gott äußerst elend, wenn Du mich nicht recht bald beruhigst! – Ich muß Dich heute sprechen, ich muß, sonst sollst Du das entschloßene Weib kennen lernen! – –

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 108-109.
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