Erste Szene

[749] Feldlager. Nacht. Walther von Merheim und Ulrich Zenger ruhen, in ihre Mäntel gehüllt, auf dem Boden.


ZENGER.

Eine wahre Hexennacht! Die Nebel jagen

Sich übers Feld wie fliegende Gestalten,

Das Heidekraut mit langen flatternden

Gewändern streifend.

WALTHER.

War mir's doch,

Wie ich so rücklings den Gedanken nachhing,

Als hingen Länder über mir und Wälder,

Mit Felsen wundervoll und Schlössern drauf,

Daß ich die ferne Heimat meint zu sehn

In unserm lieben Deutschland, das Gott segne.

Horch was für Lärm im Lager dort?

ZENGER.

Die Wachen

Fern rufen an, das hallt so durch die Stille.

WALTHER sich fester in den Mantel hüllend.

Es wird schon kalt. Da sieh nur, graue Streifen,

Wie Trauerschleier, hängen von den Tannen,

Und manchmal in der Stille fährt der Mond

Ganz blutrot durch die Wolken. Das bedeutet

Nichts Guts, da ließ' sich viel darüber sprechen.

Rück näher, Zenger sag, hast nichts gemerkt

An unserm Vogt, dem tapfern Küchenmeister?

ZENGER.

Unruhig scheint er, trüb und in Gedanken.

WALTHER.

Wozu verdoppelt er den Kreis der Wachen

In dieser öden Heide hier? Was schickt

Er Boten dahin, dorthin aus auf Kundschaft?

Ich will dir's sagen doch's bleibt unter uns:

Ein Söldner gestern kam von Meisters Fahnen

Der Polenkönig der sein krummes Schwert

Voll Grimm gewetzt an unsers Ordens Schwelle,

Sein Heer türmt' lang genug, wie ein Gewitter

Verfinsternd an der Grenze sich, von ferne

Mit Wetterleuchten zuckend, ungewiß,[749]

Wohin der Sturm, der wachsende, es wende.

Jetzt ist er plötzlich in das Land gebrochen

Mit Schrein, Tartaren, Raub und Brand! Gib acht,

Wir hören bald von mörderlichen Schlachten.

ZENGER.

Ich glaub's noch nicht. Der Meister Ulrich führt

Was nur das Land vermag an Roß und Leuten,

Die ganze Macht. Der König traut sich nicht.

WALTHER.

Nicht? Ganze Macht? Just, Zenger, just da steckt's!

Versieht's der Meister nun Gott schütz das Heer!

Verliert er diesmal: sind wir all verloren!

Sieh, 's hilft nichts mehr, sie müssen aneinander:

Hier Gilgenburg, da steht der König gut,

Sieh und hier Löbau, wo der Meister

ZENGER.

Still!

Da kommt Küchmeister schon so früh daher.


Sie stehen auf.


KÜCHMEISTER auftretend.

Gelobt sei Christ!

WALTHER.

In alle Ewigkeit.

KÜCHMEISTER.

Nun, kennt ich Euch doch kaum. Wie Fledermäuse

Durchschwirren wir die Nebel hier, ich fürcht

Wir rosten ein, derweil die andern draußen

Harnisch und Ehre wieder blank sich scheuern.

ZENGER.

So oder so! Wir schirmen hier die Neumark.

Mehr, als er soll, kann keiner tun.

KÜCHMEISTER.

Gut, gut

Geh nach den Reutern sehn, sie sollen futtern.


Zenger ab.


KÜCHMEISTER zu Walther.

Was ist es an der Zeit?

WALTHER.

Ich denk bald Morgen.

KÜCHMEISTER.

Ich wollt, das Licht bräch durch! Schliefst du heut nacht?

WALTHER.

Ich revidiert die Wachen.

KÜCHMEISTER.

Welche Stunde?

WALTHER.

Um Mitternacht.

KÜCHMEISTER.

Und sahst du nichts?

WALTHER.

Wo?

KÜCHMEISTER.

Auch nichts!

WALTHER.

Was ist geschehn?[750]

KÜCHMEISTER.

Ein seltsam wunderlich Gesicht!

Ich konnt nicht schlafen und, am Zelte sitzend,

Betrachtet ich der Wolken Flucht, die über

Die Heide, seltsam sich verschlingend, wälzten.

Still war's ringsum der Lagerfeuer Kranz

Nur flackert' düster aus dem tiefen Nebel

Und hin und wieder hörte man den Ruf

Der Wachen durch die Einsamkeit. Da war's,

Als flög ein Blitz mir über beide Augen;

Ich schau empor und durch der Wolken Riß,

Die sich, wie vor dem Glanze scheuend teilen,

Strahlt mir, Geblendetem, ein feurig Schwert

Entgegen, schmucklos wie des Meisters Schwert,

Den Griff nach mir gewandt als sollt ich's fassen.

Und wie ich so, in Lust und Grauen, noch

Emporstarr, schließt sich das gluthelle Aug

Des Himmels wieder, und das Bild versinkt

Schnell in der Nacht geheimnisvollen Abgrund.

Ich frug die Wachen drauf doch keiner sah es.

WALTHER der unterdes seinen Mantel abgeschüttelt hat, und die Rüstung abtrocknet.

Hm Nun, Natur hat auch wohl ihre Träume

Und malt sich solches Nichts in öde Luft.

Da sieh, ganz blind vom Qualm. Tut's das dem Stahl,

Wie sollt es nicht der spiegelblanken Seele?

Und doch kurios, höchst wunderbar!

KÜCHMEISTER.

Was sagst du?

WALTHER.

Wahrhaftig, Herr nun sieh, ich glaub nicht dran,

Doch hört ich oft erfahrne Männer sagen:

Wer Meister werden soll, der läs solch Zeichen

Vorher im Buch der Nacht. Da kommt Er!

KÜCHMEISTER zusammenfahrend.

Wer?

WALTHER.

Heinrich von Rode, mein ich, ist's, der Bruder,

Den du gen Tannenberg gesandt auf Kundschaft.

Schau, wie da hinterm grauen Flor der Nacht

Im Fluge Roß und Reiter dunkel wachsen!


Heinrich von Rode stürzt atemlos herein.


RODE.

Entsetzlich, jammervolles Unheil! Alles

Verloren. Oh!

KÜCHMEISTER.

Der Teufel ist verloren!

Sprich wie ein Mann und spar dein Wehgeheul!

RODE.

Bezähme sich, wer das gesehn![751]

WALTHER.

Nicht doch!

Fein mit Vernunft vor deinem Vogt!

RODE zu Küchmeister.

Du weißt,

Ich ritt gen Tannenberg da lagen heut

Die Städt und Burgen rings so ernst und still,

Als hinge ein Gewitter in der Luft.

Die Leute gingen stumm an mir vorüber

Und wen ich fragt, der starrt' mich seltsam an

Und murmelt, schnell sich wendend, in den Bart

Von Brand und naher Schlacht man wüßt nicht recht

Das Blatt könnt leicht sich wenden.

WALTHER.

Hei, da hätt ich

Die Sporen eingedrückt, und blind drauflos!

KÜCHMEISTER.

Nur weiter, weiter.

RODE.

Drauf, wie's dunkel wurde,

Erblickt ich fern des Kriegsgotts Lagerfeuer,

Brennende Dörfer rings am Horizont,

Derweil ich einsam fortzog durch die Wälder.

Da Roß und Atem hielt ich lauschend an

Vernahm ich rechts und links, bald fern, bald näher

Verworrne Stimmen durch die stille Nacht

Und wunderlichen, fremden Laut, dazwischen

Weitab in dumpfem schweren Takt den Marsch

Zahllosen Volks dann alles wieder still.

Auf einmal scheut mein Pferd und durch den Waldgrund

Zieht schweigend, wie ein Traum, ein Leichenzug

Mit Kerzen, weit im Tann die weißen Stämme

Beleuchtend, die da wie ein Chor von Geistern

Verwundert in dem Schein der Fackeln standen.

Ich ruf die Männer an, da setzen sie

Die Bahre lautlos auf den Grund. »Wen bringt ihr

Zur Ruh da?« frag ich da tritt einer vor,

Und sagt kein Wort, und schlägt ernst von der Bahre

Das Leichentuch zurück o Herr des Himmels!

Das Todesangesicht von Blut entstellt,

Erblick ich unsern Meister!

KÜCHMEISTER erschüttert sich auf einen Baumsturz setzend.

Tot der Meister?!

RODE nach einer Pause.

Hier nun vernahm ich's: wie bei Tannenberg

Laut donnernd unsers heil'gen Ordens Bau[752]

Zusammenstürzt und über seinen Trümmern

Der wackre Meister sank. Und von dem Toten

Zurück mich wendend, stürzt ich schaudernd fort,

Und hinter mir, mit weitausgreifenden Schritten

Ging das Entsetzen durchs verlorne Land.

WALTHER Küchmeistern am Arm fassend.

Hör, hör! Was sitzt du so versunken?

KÜCHMEISTER.

Ich?


Zerstreut zu Rode.


Wo fiel der Meister? Ist die Schlacht verloren?

WALTHER.

Soeben sagt' er's ja.

KÜCHMEISTER.

Ja so ganz recht


Sich plötzlich aufrichtend.


Nun denn, was stehn wir noch und plaudern!


Zu Rode.


Wo

Hat sich der König hingewandt?

RODE.

Es stürzt,

Die Städt und Schlösser vor sich niederwerfend,

Grad nach Marienburg der wilde Strom.

KÜCHMEISTER.

O Gott, so kommen wir ihm nicht mehr vor!


Zu Rode.


Du, flieg nach Krone, wie der Pfeil vom Bogen,

Drei Fähnlein lagern dort, führ sie hieher,

Wir müssen in den Rücken dem Polacken.


Rode ab.


WALTHER.

Nun seltsam doch! Dein Zeichen heut.

KÜCHMEISTER.

Ei was!

Der Sturm zerreißt die falschen Nebelbilder,

Denk nicht an mich und dich in solcher Not!

Laß blasen durch das Land, wie die Posaunen

Am Jüngsten Tag, denn ins Gericht geht's nun,

Nicht mehr um eitel Ruhm und Gut da ficht's

So heiter sich wie an des Himmels Toren;

Solang ich atme, geb ich nichts verloren!


Beide ab.


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 749-753.
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