Zweite Szene

[844] Das Innere einer Dorfschenke. Flitt und Schlender sitzen schlafend auf Stühlen.


FLITT erwacht und sieht an sich herunter, nach einer Pause. Eine länglichte Ansicht, viel Einsicht, manche Durchsicht. – Ich glaube, ich werde von dem Über-Stühl- und -Bänke-Hängen immer länger und länger, wie ein Perspektiv, wo will das am Ende hinaus? – Laß sehn, ob meine Stimme über Nacht nicht erdurstet ist.


Er singt schläfrig.


Wenn die Nacht vor Alterschwächen

Drückt ihr letztes Auge zu:

Geht der Hirt den Tag anbrechen,

Und bläst tu, tu, tu, tu, tu –

SCHLENDER auffahrend. Was ist's?

FLITT. Ich weck nur das liebe Vieh auf.

SCHLENDER sich umsehend. Wahrhaftig, schon wieder Tag, und beißt auch gleich so in die Augen! Daß der Sonne auch nicht die Zeit lang wird so vom frühen Morgen bis in den späten Abend in ein solches Wirtshaus hineinzuscheinen.

FLITT. Aurora musis amica. Sie weiß, daß dieses sperlingstichige, gewesene Schindeldach zwei Künstler beherbergt, sie begrüßt das Handwerk. Aber wie geht's dir, alte Muse?[844]

SCHLENDER. Es geht vielmehr noch gar nicht, es hängt noch alles so miserabel an mir, mir tun alle Haare weh.

FLITT. Geduld, guter Schlender, Geduld. Dein Wandel wird dich, wie eine herzhafte Magd, bald so kahl scheuern, daß ich keinen Groschen für die leere Glatze geben möchte.

SCHLENDER. Groschen? – Sag, lieber Flitt, hast du noch was in der Tasche?

FLITT. Bloß ein großes Loch – da, ich komme mit der ganzen Hand durch, und wenn sie zwanzig Finger hätte. Aber du? untersuch doch einmal –

SCHLENDER nach seiner Rocktasche greifend, erschrocken. Bei Gott, ich habe gar keine Tasche mehr! –

FLITT lachend. Du warst außer dir, Schlender, nun weißt du's nicht einmal. Ja, eine lustige Nacht! Aber aus dem guten Humor wurde ein böser Rumor, da rissen dir die einen im Getümmel die Rockschöße vom Leibe, und die andern flickten ihn wieder mit blauen Flecken.

SCHLENDER. Mir? aber weshalb denn?

FLITT. Beim Spiele, Freundchen. Der Wein eröffnet das Herz, du warst zu aufrichtig mit deinen falschen Würfeln, und darüber entstand die lebhafteste Teilnahme in der ganzen Gesellschaft.

SCHLENDER sich in seinem halben Frack von allen Seiten besehend. Das ist gottserbärmlich, wie ich ausschau. – Nein, das muß anders werden, bei dem Leben kommt nichts heraus –

FLITT. Als der Ellbogen aus dem Ärmel.

SCHLENDER. Ich hab mir's ernstlich überlegt –

FLITT. Leg dich noch einmal über, Schlender, und schlaf besser aus, du bekommst schon wieder deinen Katzenjammer.

SCHLENDER. Nein, guter Flitt, diesmal ist's mein unerschütterlicher Vorsatz, ich mache einen neuen Absatz in meinem Leben!

FLITT. Was! noch einen neuen Absatz an solchen alten, ausgetretenen Schuh?

SCHLENDER. Wir sind auf Umwegen zur Tugend begriffen – ich bin noch jung, talentvoll, schön gebaut – ich will mich ganz umwenden.

FLITT. Lohnt nicht, lohnt nicht, bist schon von beiden Seiten verteufelt abgetragen. – Frisch, laß uns lieber etwas auf deinen neuen Absatz trinken. – Heda, Wirt, dicker Ölgötze, schrote dich heraus, altes Weinfaß![845]

KNOLL tritt ein. Bon schnur, Bestiös! was macht ihr da schon wieder für Lärm, bei so frühem, nachtschwärmenden Tage?

FLITT. Bon schnur? – Häng dich daran, alter Galimathias! Vorher aber gib uns noch von deinem schlechten französischen Weine auf unser gutes deutsches Wort.

KNOLL. Parasol d'honneur! ein Wort ist ein Wind, und ein Wind ist nichts, und auf nichts geb ich nichts mehr.

FLITT. Oho, mein Wort und dein Wein sind einander gerade wert. Also du willst wirklich nicht länger mehr auf mein ehrlich Gesicht? –

KNOLL. Kupfer, eitel Kupfer!

FLITT. Aber kostbares Kupfer, ich hätte eine Nase von Gold dafür haben können.

KNOLL. Ihr hättet sie doch wieder im Weinkruge sitzenlassen.

FLITT. Hör, Knoll, ich habe einen durstigen Einfall. Hör, einmal, wenn du durch deinen Speck noch Vernunft hören kannst.

KNOLL. Nun, kretipleti, Bestiös?

FLITT. Mein Kamerad da ist ein Virtuos auf der Geige, wie du weißt, und ich bin ein reisender Schauspieler; meiner Treu, wir wollen unsere Talente hier nicht länger verschimmeln lassen!

KNOLL. Hat keine Not wegen des Verschimmelns, sie haben euch erst heute nacht wieder tüchtig gescheuert.

FLITT. Ich bitt dich, schluck jetzt deinen Witz hinunter, und wenn du daran erwürgen solltest! – Also ich sage: ich und mein Kamerad da, wir haben beide einen devoranten guten Geschmack; was gibt's nun hier in der Runde für Herrschaften, die auf ihre Ausbildung was daraufgehen lassen? Wer wohnt zum Beispiel in dem großen Schlosse, das man dort vom Berge sieht?

KNOLL. Die Gräfin Adele – wollt sagen: Krudele, denn sie stößt alle Liebhaber vor den Kopf, schlägt viel Geld tot, schlägt die Laute, schlägt Triller –

FLITT. Genug des Gemetzels, Barbar! Da wollen wir hin und frisch mit dreinschlagen, ich denk, es soll einen guten Silberklang geben. Schlender! – Der Kerl ist wahrhaftig vor Schwermut wieder eingeschlafen. – Halt, da blitzt's mir eben durch den ganzen Kopf! – Still, still, stör ihn nicht. – Sag mir einmal, Knoll, wie haben dir heute nacht seine Würfel gefallen?[846]

KNOLL. Sie sind gut gefallen, sie hatten alleweil so viele Augen, daß sie den feinsten Silberstich aus der tiefsten Tasche herauslasen.

FLITT. Möchtest du die Dinger wohl haben, mein Lieber? –

KNOLL. Quinten, pure Quinten! Was ist eigentlich Eure Intentation dabei?

FLITT. Ich bin einmal so ein ehrlicher Bursche, daß ich's niemals in der Welt zu etwas Rechtschaffenem bringen kann, ich möchte gern uns allen dreien helfen, bevor dich der Teufel ganz in deinem Talg erstickt hat. – Sieh, erstens: mein Kollege da hat beschlossen, sich ganz umzuwenden; wir wollen ihm helfen auf dem Wege der Besserung – erst die Taschen! Er wendet vorsichtig Schlenders Tasche um. Er hat von seinen Nachtsünden Zahnschmerzen in den Haaren, wir wollen ihm die schadhaften Knochen ausziehen. – Er bringt Würfel aus Schlenders Tasche hervor. Da sind sie! – Nunmehr zweitens –

KNOLL. – Eure Intentation! Eure Intentation!

FLITT. Also zweitens: haben wir dir unsre guten feinen Kleider zum Pfande gegeben, da wir mehr Durst als Geld hatten. Wieviel haben wir davon noch zugute, wenn du die doppelten Kreidestriche abrechnest?

KNOLL. Jeder einen halben Ärmel etwa.

FLITT. Eine lumpige Sicherheit! Sei kein Narr, gib mir die Kleider heraus und du sollst die Würfel haben. – Nun? –

KNOLL. Knifftheologie, lauter Knifftheologie! Pfiffe tragen Püffe! – Nein, behaltet ihr eure Knochen da auf neue Kleider, und ich behalte eure neuen Kleider für meine eigene Knochen.

FLITT. Bist du gescheut! Unsere Kleider für dich? – Einen Frack über den Bauch, den andern über den Rücken, in jede Pumphose einen Arm, da bleibt dir nichts für die Beine; willst du herumgehen, wie ein Bergschotte? – Aber mir auch recht, wie du willst – eigentlich – wie ich mir's recht überlege. – Wie waren doch heut nacht die beiden Hauptwürfe Schlenders? – Laß einmal sehen, Er wirft. Nummer eins!

KNOLL gespannt zusehend, für sich: Sei kein Narr – Knoll, ich bitt dich, sei kein Narr. –

FLITT wirft wieder. Numero zwei: dix-huit.

KNOLL. Nimm's mit – nimm's mit. Er geht zögernd in den Hintergrund und schließt einen Schrank auf.[847]

FLITT für sich. Wahrhaftig, der Walfisch beißt an, Gott gesegne seinen breiten Rücken! Jetzt geschwind gewechselt, die falschen Köder in die Tasche und meine aufrichtige ordinäre Würfel auf den Tisch Er steckt die falschen Würfel ein und legt andere hin. So – und dann rasch fort von hier, sonst bekomme ich noch Agio aufgezählt in dem Wechsel-Negoz.

KNOLL. Da ist der Plunder! Er wirft einen Pack auf den Tisch, während er mit der andern Hand hastig die Würfel ergreift und einsteckt. Nun weiß ich was ich habe und nies euch was auf eure Pfiffe, ha ha ha.

FLITT das Pack unter den Arm nehmend. Prosit! Ha ha ha!

SCHLENDER erwachend. Was ist denn das für ein Spektakel, daß man sein eignes Nachdenken nicht hören kann –

FLITT. Munter, Schlender! Frischauf, zur Gräfin Fortuna! – Ha ha ha – Du schaust ja so bedenklich und verschoben wie ein Parapluie im Sturmwind.

SCHLENDER. Parapluie? – regnet's schon wieder ein?

KNOLL. Muß doch, denn Ihr hängt ja nach allen Seiten über, wie eine nasse Pelzmütze. – Ha ha ha – die Ratten haben Euch über Nacht beknappert, Ihr seid so ohne Umschweife. –

SCHLENDER springt wütend auf. So darf mir niemand kommen, und wenn er noch so dick wäre! Was! hab ich nicht Anno dreizehn den ganzen deutschen Patriotismus mitgemacht und bin als freiwilliger Janitschar vor dem Feinde ausgezogen und habe neben der Leipziger Schlacht die Becken geschlagen und bin –

KNOLL. Kaldauen, Katabomben und Sonaten –

SCHLENDER. O ich fürcht mich nicht, ich fürcht mich gar nicht! ich geb nicht so viel auf so ein Ochsenmaul voll Worte, es hat schon manch dickerer Kerl, als du bist, mich durchgeprügelt –

FLITT ihn nach der Türe drängend. Ich bitt dich, Schlender, sei doch vergnügt, wenn du zur Türe herausgeschmissen wirst. Willst du hier sitzen und alle Striche bezahlen, die wir da an die Wand getrunken haben?

SCHLENDER. Betrunken? Was! – wer ist betrunken?

FLITT schiebt ihn zur Türe hinaus. Ach, frag nicht so viel! Fort!

KNOLL. Bon Pakage! Behüt euch Gott, daß ihr in euren Unternehmungen nicht wieder zurückkommt!

FLITT. Möchte uns unser Weg recht bald wieder weit an dir vorbeiführen!


Alle ab.[848]


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 844-849.
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