Zweiter Auftritt.

[70] Welldorf. Madame Welldorf. Luise. Eduard.


WELLDORF zwischen Frau und Tochter,[70] zur erstern. Lass nur! Sage nichts mehr von ihm! Es setzt mir das Herz nur in immer grössern Aufruhr. Es giebt nur Anlass zu neuen Träumen, die mich erschrecken. – Er zeigt auf einen Sessel, in den sie ihn führen. Gehört hab' ich von dem Unglücklichen schon zu viel, allzuviel! Ich wollte zu Gott, ich könnte ihn nur auch noch sehen: dann wär' ich ruhig!

MADAME WELLDORF. Wünschtest du das? Wünschtest du in der That, ihn zu sehen?

WELLDORF. Du fragst? – Hab' ich denn sonst einen Wunsch?

MADAME WELLDORF. Aber sein Anblick, mein Bester – Er ist in Dienst und in feindlichem; und da würde vielleicht sein Anblick – –

WELLDORF. Was sonst, als mir wohlthun? mich trösten? Ich würde nicht den Feind, nur den Sohn in ihm finden. – Und nach aller meiner Kenntniss von[71] ihm – denn roh und gefühllos war er doch nie, immer gutmüthig und edel: – ich dürfte hoffen, dass ich ihn rühren, dass ich Eindrücke auf sein Herz machen würde, die sich nie wieder verlören. – – Aufblickend. Gott, du siehst meine Ergebung. Aber wenn mir irgend etwas den Tod erleichtern könnte – –

MADAME WELLDORF. So wär's dein Sohn, willst du sagen? – Und sprich! Wär's denn so unwahrscheinlich, so gar nicht zu hoffen, dass du ihn wiedersähest?

WELLDORF. Noch hier? Noch hier?

MADAME WELLDORF. Warum nicht?

WELLDORF den Blick auf sich niederwerfend. Sieh her und frage! – Nein, man ist nur unglücklich mit einer Hoffnung, die nicht erfüllt wird. Ich mag nicht hoffen.

MADAME WELLDORF. Aber wenn nun die Hoffnung sich gleichsam aufdringt? –[72] Sieh! es kommen itzt täglich, bald hieher, bald dorther, Truppen: und wie, wenn nun auch Eduard – wenn er einmal ganz unvermuthet, vielleicht schon in diesen Tagen, käme?

WELLDORF aufhorchend. In diesen Tagen?

MADAME WELLDORF. Wie, wenn ich sogar schon Nachricht hätte?

WELLDORF sich im Sessel aufrichtend. Nachricht? – Dass er kömmt? – Von ihm selbst?

MADAME WELLDORF. Von wem anders?

WELLDORF. Gott, was sagst du da? Darf ich's glauben? – Und muss ich erst warten und muss dir's abfragen? Ist das gütig von dir? – Lies! lies! Er hat denn endlich einmal geschrieben? – – Ihre Hand fassend, indem sie sich vor Rührung von ihm abwendet. Aber was ist dir, Liebe? Du wendest dich weg? und mit Thränen? – [73] Von einer Seite zur andern sehend. Luise! – Nein! – Nein, das seid Ihr nicht. Wer weint da? Ungeduldiger und lauter. Wer weint da?

EDUARD hinter ihm. Mein Vater –

WELLDORF erschüttert. Eduard – Du? Deine Stimme?

EDUARD sich vor ihm niederwerfend. Ich bin's!

WELLDORF sinkt zurück. Grosser Gott! –

EDUARD. Ich wag' es mit meiner Unwürdigkeit, meiner Schande, dass ich vor Ihre Augen komme. Ich bin der Luft nicht werth, die ich athme; bin der Wohlthat dieser Thränen nicht werth: und Sie lieben mich noch?

WELLDORF. Mein Sohn – –

EDUARD. Zu viel Güte! Zu viel, mein Vater! Sie vernichtet mich; sie macht mich zum Elendesten unter der[74] Sonne. – Nur Ihren Fluch nehmen Sie von mir! Ihren väterlichen, gerechten Zorn nehmen Sie von mir! Und wenn ich auch da noch zu viel bitte: – – Auf sich niederblickend. Sehen Sie, wohin Gott mich gedemüthiget hat! in welchem Zustande ich bin! Ich muss die Waffen wider Sie, wider mein Vaterland tragen.

WELLDORF sich wieder aufrichtend. Eduard – O, wenn's kein Traum ist –

EDUARD. Ich bin's!

WELLDORF. Komm! Komm an mein Herz!

EDUARD. Verdien' ich's? –

MADAME WELLDORF die nach einigen Augenblicken hinzutritt, zu Eduard. Er erliegt seiner Freude. Er ist zu hinfällig, zu ohnmächtig für sie. Sie wird ihm in deinen Armen das Leben nehmen – – Die ausgestreckte Hand des Vaters zurücklegend. Lass! Gieb dir Ruhe, mein Bester! Nur, bis[75] du erst wieder zu dir kömmst, bis du erst wieder Kräfte sammelst; – dann sollst du ihn um so länger, sollst ihn heute den ganzen Tag geniessen. – – Nach einigen Augenblicken. Was sag' ich? Ich vergesse, ich Unglückliche – – Ah! wenn er dir werth ist, dein Sohn, und ich und deine Tochter dir werth sind, und du uns Alle noch zu geniessen wünschest – –

LUISE seine Hand ergreifend. Mein Vater – mein bester Vater – –

WELLDORF matt. Was wollt Ihr? Was soll ich?

MADAME WELLDORF. Kann ich's hervorbringen? Hab' ich Worte dazu? – Mein Herz – –

LUISE. Ihre Freiheit, mein Vater – Ihre so mühsam errungene Freiheit – Ihr Leben selbst – – ach! es ist in Gefahr, wenn Sie nicht unverzüglich – –[76]

WELLDORF. In Gefahr? –

LUISE. In weit grössrer, als jemals! – Würden Sie ohne uns; Sie, die kaum noch in unsern Armen das Leben haben – würden Sie, wenn man Sie von uns risse –?

WELLDORF beunruhigt auf die Mutter sehend. Mich von euch risse?

MADAME WELLDORF. Man wird es. Es ist der letzte Befehl da, und keine Fürsprache wird mehr dich retten können. Selbst dein grossmüthiger Freund, der wieder hier ist, bekennt sein Unvermögen dazu. – Sieh uns nun Alle in Thränen! Sieh deine Kinder, sieh mich in Thränen! Und wenn auch ich's nicht vermag; – ich beschwöre dich: lass hier diese – Auf ihre Kinder deutend.

WELLDORF. Gott! Gott! Mitten in meiner Freude kömmt das? – Die Hand gegen Eduard streckend. Mein Sohn – –[77]

MADAME WELLDORF ihn hindernd. Lass ihn, mein Bester! Denk' in diesem Augenblick nur an dich! Es ist die höchste, die dringendste Noth vorhanden. – Erfreu uns Alle durch das einzige Wort, dass du nachgeben, dass du die Forderungen erkennen wollest!

LUISE. Mein Vater! – nun aller Liebe willen! –

WELLDORF. Erkennen? Ich die Forderungen, erkennen? Das könnt Ihr wollen?

LUISE. Und was bringen Sie denn für ein Opfer? – Besteht der Feind nicht auf seinem Willen? Wird er ablassen, als bis er Alles, Alles erpresst hat? Wird Ihre Standhaftigkeit irgend sonst eine Folge haben, als dass Sie Sich hinopfern? dass Sie Ihre trostlosen Kinder zu Waisen machen?

MADAME WELLDORF. Und dann, Lieber:[78] werden dir's deine Bürger nur danken? Werden sie nicht am Ende eine Standhaftigkeit, die ohne Erfolg blieb, als blosse Hartnäckigkeit tadeln? – Das, das wird dein Lohn seyn für deine Treue! – Bester Mann, gieb dann nach! Bedenke, dass du bisher so viel, nur allzuviel für dein Amt gethan hast, und dass auch Liebe und Natur ihre Rechte, ihre von Gott und Menschen erkannten Rechte haben; dass du auch Gatte bist; – Vater!

LUISE vor ihm niedersinkend, indem sie ihn umfasst hält. Sie schweigen? Sie hören uns nicht?

WELLDORF. Luise! – Sich mit Heftigkeit ihrer erwehrend. Welchen Augenblick wählt Ihr aus! – Ihr seht mich hingerissen und weich, und wollt nun meiner Schwachheit missbrauchen, mich zu verderben. – Da sie noch nicht ablassen. Schont meiner! Geht! Drückt mich Kranken, mich Schwachen nicht ganz zu Boden! –[79] Ich will mit Eduard reden. Ich schlag' Euch nichts ab; aber – ich will mit Eduard reden.

MADAME WELLDORF. So ist denn Alles – Alles –

WELLDORF. Du hörst ja: es ist noch nichts verloren – Eduard schwieg. Warum schwieg er?

MADAME WELLDORF ihm rufend. Mein Sohn – –

WELLDORF. Komm! komm! Richte du selbst, ob ich mit Unrecht – –

EDUARD. Ich? Ich soll richten, mein Vater?

WELLDORF. Komm! Lass mich deine Hand fassen! Tritt zu mir! – – Ihn haltend. O, dass ich dich nun doch wieder habe! dass nun mein letzter, sehnlichster Wunsch doch erfüllt ist! Es macht mich Alles vergessen. – Sage: durch welchen Zufall, durch welches Glück – –[80]

MADAME WELLDORF. Wenn du dich aufhältst – dich in Fragen verlierst – –

LUISE. Mein Vater – ach! Sie haben nur Augenblicke, nur wenig Augenblicke; vielleicht auch die nicht. – Wenn nicht Alles verloren seyn soll – –

WELLDORF. Nun ja! ja! – Ich will ihn dann nur in den Stand setzen zu urtheilen; will ihn nur von den Bedrückungen, von den Grausamkeiten erzählen, die wir' hier dulden mussten.

EDUARD. Weiss ich nicht schon? Weiss ich nicht leider! Alles? Alles?

WELLDORF. Unmöglich! Keine Vorstellung reicht hin. – Eduard! Man hat uns hier bis auf's Blut, bis auf's Leben gemartert. Man hat hier Forderungen gemacht; – Forderungen ohne Ziel, ohne Ende. – Schon die vorletzte hielt ein, jeder für unerzwinglich. Aber da man nicht aufhörte, mit Plünderung und Verheerung[81] zu drohen; da man uns endlich Hand und Siegel gab, dass diese Forderung die letzte, gewiss die letzte wäre: so war ich schwach genug, um sie anzuerkennen; ich achtete keiner Klagen, keiner Vorwürfe der Bürger; ich überredete, drohte, bat, raffle mit Güte und mit Gewalt zusammen; und da mir's gelungen, war: – sieh! da hob ich, zu meiner und zu Aller Beruhigung, diese Hand auf, und schwur: Wenn die Forderungen erneuert würden; wenn ich dann noch einmal – auch nur den Gedanken fasste, sie anzuerkennen: so sollte nie wieder Ruhe und Friede in meine Seele kommen. – Das, mein Sohn, das ist der heilige, feierliche Schwur, den ich that; und nun, da ich dran bin ihn zu erfüllen; nun da mein Beharren den Andern Muth geben, das Verderben abwehren könnte: – soll ich da zaghaft werden und wanken?[82] Soll ich's um der wenigen elenden Tage wüllen, die ich noch verseufzen könnte? Soll ich meineidig gegen einen Gott handeln, der mir so wohl that? Gerührt bis zur Wehmuth. der mir Euch Kinder gab – die Ihr um mich weinen werdet und die ich liebe? Zu Eduard insbesondre. Soll ich ihm so die Freude lohnen, dass ich dich wiedersehe?

EDUARD sich abwendend. Mein Vater –

WELLDORF. Sprich, Eduard! Sprich! Richte selbst! Soll ich in Umständen, wie diese – –

EDUARD. Ich richten? Ich Ihnen zu Ihrem Untergang rathen? – Auf Mutter und Schwester deutend. O fragen Sie hier, mein Vater; nur hier! oder – Sie sind verloren!

MADAME WELLDORF. Verloren? – Hat er denn nicht schon Alles, Alles – Gefängniss, Krankheit, Lebensgefahr erlitten? Und soll er sich jetzt – –[83]

LUISE. Eduard! – Sieh, es kostet ihm nur seine Unterschrift, nur Einen Zug seiner Hand: und soll er denn, da das Mittel der Rettung so leicht ist – –

EDUARD. So leicht? – Die Finger wie zum Eide erhebend. Ha, auch das, auch das war so leicht! Sich in den Abgrund zu stürzen, das ist so leicht: ein einziger Sprung, ein einziger Schritt ist genug. – Wär' ich umgekommen, eh' ich den unseligen Eid schwur; den Eid wider Vaterland und Gewissen: – es ständ' itzt besser um mich!

WELLDORF kaum seine Freude bergend. Also willst du – willst, dass ich mit Aufopferung meines Lebens – –

EDUARD vor ihm niederknieend. Mein Vater – Leben Sie! Leben Sie! Ihre Fragen sind Foltern für mich. Ich ertrage sie nicht. – Nehmen Sie Sich Selbst, Ihr eignes Gefühl zum Richter: denn dies allein – –[84]

WELLDORF ausser sich. Eduard – welcher Geist spricht aus dir? – Komm! komm! Ihn in die Arme fassend. Lass mich an deinem Herzen Gott danken, dass ich dich so zurück erhalte – mit dieser rechtschaffnen Seele! – – Ach du bist gut, du bist edel. Was fehlt mir noch zu meiner Zufriedenheit, meiner Ruhe? – Ich will dann gehen, will dem Wink meines Schicksals' gehorchen: – ich habe hier nichts mehr zu wünschen; – und der, der mein Leben in seiner Macht hat: wenn er es noch erhalten will, kann er's auch so erhalten. – Zu Frau und Tochter. Ja, ich kann zurückkommen; ich kann euch Alle noch wiedersehen.

MADAME WELLDORF. Uns wiedersehen? Du solltest uns je – –

LUISE. Unmöglich! Ach unmöglich, mein Vater! – So gewiss uns ein schreckliches Schicksal droht, wenn wir erst Sie nicht mehr haben werden – –[85]

WELLDORF schmerzlich. Luise! –

MADAME WELLDORF zu Luisen. Lass ihn! Es wird zu viel für sein Herz. – Wir können nun einmal ihn nicht bereden; so wollen wir ihn auch nicht niederschlagen, nicht martern. – – Zu Welldorf. Geh, gehm wenn du musst! Handle, wie es dein Gewissen fordern! Ich sage die nichts mehr. Stirb noch heut; nur stirb freudig! – – Nach einigen Augenblicken. Gott, dass nur dein Tod dann auch Nutzen hätte! dass er deinen unglücklichen Mitbürgern ihre Last zu erleichtern diente! – Aber nein! nein! so eine Wirkung wird er nicht haben.

WELLDORF. Das sei! – Ist sie gut an sich, meine That; was soll ich an ihren Vortheilen rechnen? Nur wie ich handle, das kömmt auf meinen; wie der Erfolg ist, das kömmt auf Gottes Antheil. Halte denn Wort! Sage nicht mehr! – [86] Zur Tochter, deren Hand er an seine Brust zieht. Und du, mein Kind – warum weinst du so? Sei getrost! Wenn einst ich nicht mehr bin; da sorgt ein besserer Vater. Der hat deine Treue, dein Herz gesehen, und Er ist Herr alles Segens. – Mit Anstrengung. Er kann und wird noch dein Schicksal – wird es durch Wege – die niemand kennt, niemand vorhersieht – – Erschöpft zurücksinkend. Wie wird mir?

LUISE ängstlich. Sie zittern?

MADAME WELLDORF. Ah! ich fürchtete das. Die Anstrengung war für dich zu heftig, zu anhaltend. Du hattest die Kraft nicht dazu. – Den Sohn, der hinzutreten will; mit der Hand entfernend. Komm! Komm wieder und ruhe! Es taugt dir nichts, dass du auf bist. – – Im Fortführen. Und wenn es dir um unsertwillen zum Trost dient: – eine einzige Hoffnung ist uns noch übrig. Durch eine rechtschaffne,[87] edle Handlung hat einst dein Sohn – – Indem er stillsteht und die Hand zurückstreckt. Was willst du?

EDUARD seine Hand ergreifend und küssend. Mein Vater – –

WELLDORF. Folge mir nicht! Aber sei immer – immer – Ich kann nicht weiter. Ab mit Madame Welldorf und Luisen.


Quelle:
J[ohann] J[akob] Engel: Eid und Pflicht. Berlin 1803, S. 70-88.
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