Sechster Auftritt.

[148] Von Brink. Luise. Dann der Arzt.


LUISE von innen. Auf! auf! Um Gottes willen!

VON BRINK. Die Tochter. Er geht und öffnet.

LUISE hervorstürzend. Wohl mir! Ich könnte nicht mehr. – Sein sichtbarer Todeskampf, sein emporfliegendes Herz, sein Röcheln – – Ich erstickte. Ich konnte nicht mehr. – – Ist Eduard frei?

VON BRINK. Sie erschrecken mich. Sie sind in fürchterlicher Bewegung. – – Kommen Sie! Kommen Sie, Kind! – Indem er sie zu einem Stuhl führt. Werden Sie ruhig!

LUISE sitzend. Ist Eduard frei?

VON BRINK. Er wird es. Ich erwart' ihn mit jedem Augenblicke.

LUISE. Gott! Gott! So soll doch[149] noch Einer leben! – O, da Sie schon das an uns thaten: da Sie das Schwerste und Wichtigste an uns thaten; – Die zitternde Hand gegen die Seitenthüre. wenn Sie hineingingen? wenn Sie aus Übermaass Ihrer Güte – –

VON BRINK da sie inne hält. Wenn ich es Ihrer Mutter sagte?

LUISE seine Hände fassend. Ich bin unverschämt – Ich fordre Dinge von Ihnen – ah! vergeben Sie mir!

VON BRINK gerührt. Vergeben? Ihnen Ihre Zärtlichkeit, Ihr edelmüthiges Zutrauen vergeben? – Wollte Gott, ich könnt' Ihnen auch Ihren Vater, retten! Ich wagte Alles darum. – Ein bessres Kind fand ich niemals. Er geht hinein.

LUISE allein; aufwärts blickend. Ich kann nicht. – Gedanken und Worte schwinden. Ich kann nicht. – Nur meine Angst kann ich fühlen. Nimm meine Angst für[150] Gebet an! – Erschrocken, indem der Arzt heraustritt. Ich zittre. Was bringen Sie? Ist es aus?

DER ARZT. Noch nicht. Noch ringt die letzt Kraft der Natur. Aber er ist nicht weit mehr von seinem Tode.

LUISE. Und keine Rettung übrig? – Kein Mittel übrig?

DER ARZT. Was soll ich Hoffnung geben, wenn ich Sie täusche? Ich sehe keines. – – Indem sie sich in den Stuhl zurückwirft und ihr Gesicht in der Hand birgt. Fassen Sie Sich! Gehorchen Sie Ihrem Herzen, und beweinen Sie ihn! Er verdient Ihre Thränen. Aber fassen Sie Sich! – Wenigstens geben Sie keiner Sorge für Ihre Zukunft Raum! Ich lernte Sie kennen, um Sie verehren zu lernen. Ihre Treue, Ihre Sorgfalt, Ihre unermüdete Liebe haben Ihnen meine ganze Seele gewonnen. – Sie werden belohnt werden;[151] und glücklich der Mann, den die Vorsehung zum Werkzeug dazu erkor!

LUISE. Sie gehen?

DER ARZT. Wozu nützt' ich hier noch?

LUISE. O, wenn Sie uns itzt verlassen! – So Mancher, der dem Tode schon übergeben war, kam ja in's Leben zurück. Versuchen Sie nur noch Etwas! noch irgend Etwas!

DER ARZT. Ist nicht Alles versucht? Ist die Kunst nicht verloren, wenn die Natur erschöpft ist? – Da sie ihn hält. Lassen Sie mich! Ich fliehe den Anblick der Sterbenden; und ich habe Recht, dass ich ihn fliehe. Ich sehe, schon so, des Elends der Menschheit zu viel. – Sanft sich loswindend. Lassen Sie mich! Ab.

VON BRINK zurückkommend, eine Thräne aus dem Auge trocknend. Die Unglücklichen! – Wie hat mir der Anblick das ganze Herz[152] ergriffen! – Getrieben bis zu diesem Äussersten, dieser Verzweiflung! und ohne Endzweck! – – Sich unruhig umsehend. Aber der Sohn – Ha! wo bleibt er? Er kömmt nicht?

LUISE. Wer? wer? – Sie fürchten –?

VON BRINK. Nichts. Nur getrost! Er wird kommen. – Vor sich, umhergehend. Wenn er den Muth hätte, der Elende; wenn er es wagte, ihn hinzuopfern – Rache, ohne Erbarmen! Aber er selbst – er, der Unglückliche, den ich retten wollte – – Zu Luisen. Nur getrost, sag' ich! Nur ohne Furcht! Er wird kommen.


Quelle:
J[ohann] J[akob] Engel: Eid und Pflicht. Berlin 1803, S. 148-153.
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