[221] Vorige, Belian und der dritte Freier.
BELIAN noch nicht sichtbar, lacht laut und hart. Hahaha ...!
DER ERFAHRENE WÄCHTER. Der Herr!
DER SEHENDE WÄCHTER fährt empor. Der Würger!
DIE BEIDEN GEBLENDETEN anklagend. Belian ...!
[221] Rechts hinten die Treppe herab kommt ein Fackelträger, hinter ihm Belian, gefolgt vom dritten Freier, der die Augen verbunden hat und von zwei Kriegsknechten geführt wird.
BELIAN auftretend. Noch einen Schritt und du stehst mit beiden Füßen mitten im Paradies. Haha, mein Freund! Fällt dir die Binde erst von den Augen, dann magst du sehen, was es heißt, um Belians Preis zu fechten. Schade, daß deine Hand nicht fester war ... Ich hätte dir gerne diesen Umweg ins Glück erspart. Zum erfahrenen Wächter. Glüht das Eisen?
DER ERFAHRENE WÄCHTER. Es glüht.
DER DRITTE FREIER. Macht schnell. Ans Leben soll es mir doch. So sei es mit einem Streich.
BELIAN. Ans Leben? Hoho ... Wo denkst du hin, mein Freund? Sagt' ich dir nicht, es ginge ins Paradies, in den blühenden Garten der Wonne, an den du glaubst, nach dem du brennst, mehr als euer bleicher Gott dir erlaubt.
DER DRITTE FREIER. Siegte ein König, so spottet er nicht Nur Sklaven schmähen, die immer weniger sind, als sie gleich einmal konnten.
BELIAN zischend. Aber er konnte ... er konnte, der Sklave ...!
DER DRITTE FREIER. Mit Gift, mit Hexenkünsten und Weiberlist!
BELIAN. Wer da fragt, wie etwas geschehen sollte und wie es geschah, der säumt an den Dingen vorbei, die Leben heißen. Schade, daß du vergeßlich bist. Was dir heute Gift und Hexe erscheint, war dir gestern Wonne. Höhnend. Zehrender Sehnsucht Ziel, aller Wollust Süße ... »Liebe« ... wie du es nennst ...
DER DRITTE FREIER gequält. Wo ist dein Henker? Ich will ihn Erlöser heißen von deinem Wort!
BELIAN. So vergesse wohl ich ...?
DER DRITTE FREIER. Glaubst du, ich widerrufe, weil ich das Spiel um mein Leben verlor? Es ist, wie du mich höhnst ... und es ist noch viel mehr, so viel wie dein Verächterleben dir je verwehrte. Kennt dein frostiger Leib die glühende Welle, blut geboren und allem Wilden vertraut, die rote Nächte durchstürmt und flackernde Tage, süchtig nach einem, einem Ziel: Weib! Hast du in einer jemals alle umfangen und in allen doch immer die Eine nur, ach, die strahlende Eine, aus aller Lust, aus aller Süße von hunderttausend geboren! Fühlst du es wanken? In zuckender Böte fließt Erde und Raum, es siedet in meinen Schläfen: Sie ist nahe! ... Ich spüre sie, die ich gesehen flammend in jauchzender Wonne einer Nacht. Marpalye ... Reichtest du wieder mir den Kelch, verderbengärenden Rausches voll, wieder und wieder stürzte ich ihn hinab, tränke wissend aus deiner Hand den Tod. Marpalye ... Du Eine ... du Traum ... du Weib ...![222]
BELIAN nachdem er den Knechten, die den Freier halten, einen Wink gegeben, so daß sie ihn, noch während er sprach, gegen den Vorhang links hinten drehten. Traum ...? Kein Bild, mein Freund? Da.. Zuckendes Leben voll Begehren und junger Glut. Hier ist sie, der Rausch deiner Kraft, dein süßes Verderben ... Sieh!
Er nimmt dem Freier die Binde von den Augen. Der Vorhang wird weggezogen. Man sieht Marpalye auf einem üppigen Prunklager hingestreckt, nur mit einem Schleier bedeckt, liegen.
DER DRITTE FREIER taumelnd. Blendwerk ...!
BELIAN geht ans Lager. Wahrheit ...! Dein Sieg!
DER ERFAHRENE WÄCHTER nimmt wortlos das glühende Eisen aus dem Feuer und wartet.
MARPALYE streckt dem Freier die Hände entgegen. Bist du der Eine ...?
DER DRITTE FREIER. O Marpalye ... Brennende Not ...!
Er will auf sie zu, wird aber beim ersten Schritt von den Knechten gepackt und niedergerissen. Der erfahrene Wächter, der mit dem glühenden Eisen hinter ihm stand, beugt sich über ihn. Der Vorhang vor Marpalye schließt sich wieder.
DER DRITTE FREIER abgebrochener Aufschrei. Aah ...!
DER ERFAHRENE WÄCHTER zu einem Knecht. Stopf ihm den Mund. Zum dritten Freier. Halt still ...
Wächter und Knechte umdrängen den Freier, so daß von dem Vorgang der Blendung dem Zuseher nichts sichtbar wird.
BELIAN beugt sich über den stöhnenden Freier. Nun steht das Bild fest in den Augen bis an's Ziel deiner Tage. Vielen schon malte ich so die Gestalt ihrer Wünsche. O ja, ich weiß, was euch frommt. Frag' nur die anderen: Jeder ist reich ... Jeder besitzt, was sein Kampf ihm verhieß: Das Gold, die Macht und was einer sonst von mir wollte. Ich bin nicht geizig, mein Freund. Ich schenke nur meine Gaben gerne in meiner Art. Wer weiß, ob sie euch anders gleich dienten. Auch lag es in euren Händen, mich zu verderben. Ich stelle mich jedem zum Kampf, lasse den ersten Wurf einem jeden. Trag' ich etwa die Schuld, daß die Hände euch zitterten, daß keinem der Wurf noch gelang ...? Ich könnte dich töten nach Recht, doch ich begäbe dich noch. Stößt die stumme Sklavin ihm zu. Da, nimm die Prinzessin, die du geträumt und geschaut, um die du ein Leben hitzig gewagt hast. Büße an ihr deine Lust ...!
DIE STUMME SKLAVIN streichelt dem dritten Freier über die geblendeten Augen.
DER DRITTE FREIER tappt nach ihr. Du ... Weib ... du ... Traum ...
BELIAN UND DIE KNECHTE lachen auf. Hahaha ...
DER SEHENDE WÄCHTER springt plötzlich Belian an die Kehle. Würger! Mörder![223]
DER ERFAHRENE WÄCHTER reißt ihn zurück. Willst du der Nächste sein?
DER SEHENDE WÄCHTER. Der Nächste und Letzte!
BELIAN erstaunt. Ei ... Ein Junger ...? Ein Wilder ...?
DER ERFAHRENE WÄCHTER. Ein schwärmender Narr!
BELIAN. Laß ihn. Ich liebe die heißen, trotzigen Knaben. Sie wurden mir immer noch die treuesten Knechte. Zum sehenden Wächter. Du sollst mir die Burg bewachen, Söhnchen, hörst du? Vom festen Turm mit witternden Sinnen die Nacht durchdringen, denn deine bäumenden Kräfte müssen sich zwingen lernen. Zu den Geblendeten. Gehabt euch wohl, ihr braven Helden mit zitternder Hand. Genießet den Preis, den jeder errang nach seinem Willen und Wert.
Belian, die beiden Wächter und die Kriegsknechte gehen rechts hinten über die Stiege hinauf und fort. Ab.
DER ERSTE GEBLENDETE wühlt im Blech. Gold ... Gold ...
DER ZWEITE GEBLENDETE starrt in die Finsternis. Meine Freiheit ... mein Reich!
DER DRITTE GEBLENDETE tappt nach der stummen Sklavin. Du ... Weib ...
BELIAN verschwindet oben mit den andern auf der Treppe. Hahaha ...!
Dunkel. Verwandlung unter Gewitterdröhnen.
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