Erstes Kapitel

[3] Ich war achtzehn Jahr alt, und die ganze Welt lag wie ein Paradies vor mir. Meine Familie, meine Figur, mein Vermögen, alles versprach mir die glänzendsten Aussichten.

Meine Aeltern waren sehr frühzeitig gestorben, und ich wurde bey einer Tante erzogen. Sie war seit vielen Jahren Wittwe und außerordentlich reich. Meine[3] Vormünder hatten mich ihr gänzlich überlassen, und sie machte ihren Abgott aus mir.

Meine Figur war bezaubernd, und ich floß von Gesundheit über. Ich schien alle Reitze der Jugend und die ganze Kraft eines Mannes zu haben. Aber mein Temperament war noch unentwickelt, und ein rasches Pferd war mir lieber, als alle Mädchen in der Welt.

Doch die Natur blieb ihrem Plane getreu, und mein ganzes Wesen verwandelte sich. Ein neues Blut schien meine Adern zu durchströhmen, ein neues Herz in meiner Brust zu klopfen. Alle Bilder des Lebens schienen mir gleichsam aus der Dämmerung hervorzutreten, und eine Menge unbekannter Empfindungen wachten plötzlich in meiner Seele auf.

Ohne zu wissen, was mir fehlte, fing ich an eine Leere, eine Unruhe, eine Sehnsucht[4] zu fühlen, die mich unglücklich machte. Alle meine vorigen Beschäftigungen, alle meine bisherigen Vergnügungen konnten mich nicht mehr befriedigen. Alle meine Gedanken und Empfindungen schienen einem geheimnißvollen Ziele zuzufliegen, und alle Pulse meines Körpers klopften demselben mit Ungeduld entgegen.

Plötzlich fingen die Weiber an mir interessant zu werden, und es bedurfte nur eines Gegenstandes, um diese unbestimmte Neigung zu entwickeln.[5]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 3-6.
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