Fünftes Kapitel

[15] »Mein Pferd!« – rief ich, aus meiner Betäubung erwachend der Wirthinn entgegen – und stürmte – ohne mich weiter durch ihre Fragen aufhalten zu lassen – aus dem Städtchen hinaus.

Wie heftig erschrack meine gute, schwache Tante, als sie mich blas und entstellt in ihr Zimmer treten sah. Das ganze Haus gerieth in Bewegung. Es wurden Expresse zu dem Arzte und zu dem Chirurgus gesandt, und mir selbst schien es von Augenblicke zu Augenblicke gewisser: daß meine Gesundheit dieser heftigen Erschütterung nicht widerstehen würde.[15]

Welch ein unerhörter Zufall – es war der erste Wunsch in meinem Leben, der nicht augenblicklich erfüllt wurde. –

»Nein ich dulde es nicht« – rief ich aus – ich lasse sie mir nicht entreißen! ich will wissen, wer sie ist, wo sie bleibt, und wenn die ganze Welt sich dawider setzte!«

»Wer denn? – sagte meine Tante – zitternd vor Angst. »Wer denn?« – liebstes Kind! – ich will ja den Augenblick Anstalt machen. Ach hätte ich doch nur Ludwig nicht weggeschickt!«

»Nicht Ludwig, nicht Sie, kein Mensch kann mir helfen!« – rief ich, indem ich mich verzweiflungsvoll auf das Sopha warf und, taub gegen ihre Bitten, in ein langes, mürrisches Stillschweigen mich vertiefte.

Endlich sprang ich auf, lief zur Klingel, und schellte so heftig, daß die Fenster klirrten.[16]

»Was befehlen Ihro Gnaden? – rief ein allerliebstes kleines Figürchen in einem grünen Corsette zur Thüre hinein. –

»Ist mein Pferd« – hub ich an – und mein Ton wurde plötzlich sanfter. –

»O ja! – unterbrach sie mich – indem sie herzhaft vortrat und mir ein paar große schwarze Augen entgegenleuchten ließ; die keinen Augenblick an ihrer Allmacht zu zweifeln scheinen – »Das Pferd ist so eben in den Stall gebracht.«

»Der gnädige Herr werden doch wohl nicht wieder ausreiten wollen? – das arme Thier schien äußerst ermüdet.«

Die Figur war mir fremd, dieser zurechtweisende Ton war es noch mehr. Mit einem fragenden Blick wandte ich mich an meine Tante.

»Die neue Kammerjungfer« – sagte sie entschuldigend. – »Aber« – fuhr sie mit[17] einer bittenden Miene fort – »liebster Gustav! wäre es denn nicht möglich? daß Du vorher etwas ausruhen könntest?« –

»Das dächte ich auch« – fiel das grüne Corsettchen ein, und würde seine Beredtsamkeit aufs neue geübt haben; wenn nicht meine Tante mit der Hand auf die Thüre gedeutet hätte.

Jetzt da wir allein waren, und da sie mich in einer mildern Stimmung fand; gelang es ihr, mich zu einer ordentlichen Erzählung zu bewegen.

Wir berathschlagten bis tief in die Nacht und meine Tante entschloß sich, an Mariens Begleiterinn zu schreiben. Sie trug ihr in den schmeichelhaftesten Ausdrücken unser Landguth, und wenn sie dies nicht annehmen wollte, einen sehr angenehmen Meyerhof an, der eine Viertelstunde davon entfernt lag.[18]

Noch vor Tagesanbruch ward ein Bothe mit diesem Schreiben abgeschickt, und mit einem Herzklopfen, das mir fast den Athem benahm, hörte ich ihn vom Hofe reiten. »Ach!« – dachte ich – »welch eine Antwort wird er dir bringen?«[19]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 15-20.
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