Erstes Kapitel

[97] Als Marie mich verließ; haßte ich jede Zerstreuung. Jetzt aber floh ich die Einsamkeit eben so sehr, wie ich sie damals gesucht hatte.

Ach Mariens Verlust hatte nur mein Herz, nicht mein Gewissen verwundet. Jene Wunden heilt die Einsamkeit, diese macht sie tödtlich. Das empfand auch ich; und so stürzte ich mich ohne Rückhalt in[97] den Strudel der gesellschaftlichen Vergnügungen.

Lange suchte ich einen Gegenstand um die schreckliche Leere in meinem Busen auszufüllen; aber da war nichts Marien, nichts Sophien ähnliches zu finden. Man wollte mit aller Gewalt von mir bemerkt seyn, und ich war noch zu sehr verwöhnt, um nicht durch eben dieses Bestreben zurückgeschreckt zu werden.

Schon fing die Langeweile an, sich meiner in den großen Zirkeln zu bemächtigen; als der Zufall mir entgegenführte, was ich so lange vergeblich gesucht hatte.

Einst da ich mich im Schauspielhause meinen gewöhnlichen Träumereyen überließ; ward meine Aufmerksamkeit durch zwey weibliche Stimmen angezogen, welche aus der benachbarten Loge zu kommen schienen.

Noch waren die Lichter nicht angezündet, und das Geräusch der Kommenden ließ[98] mich nur einige Worte erhaschen; doch begriff ich, daß die Rede von den Männern war.

Die Kommenden machten eine Pause – ich horchte –

»Ach ich dächte gar! – sagte die eine Stimme – zum Auslachen sind sie gut; und dazu habe ich sie gebraucht«.

Die andre Stimme wandte etwas ein; aber es ging für mich verloren, so wie alles was sie nachher zum Gespräche beytrug.

»Glaubst Du« – fuhr die erste Stimme fort – »daß es jemahls Einer von ihnen redlich mit uns gemeynt habe? –

Die andre Stimme – – –

Die Erste. Ja so lange wir ihre Sinnlichkeit beschäftigen.

Die Andre – – –

Die Erste. Komödie! nichts als Komödie! so bald es gegen uns geht, sind sie alle Freunde![99]

Abermahls das Geräusch der Kommenden. – – Die Lichter wurden angezündet; aber noch blieben meine Frauenzimmer im Hintergrunde der Loge.

Hätte ich mich hervorgewagt; so würde es hell genug gewesen seyn um sie beobachten zu können: aber für jetzt interessirte mich ihr Gespräch mehr als ihre Gestalt, und ich beschloß ruhig in meinen Winkel zu verharren.

Ziemlich klug berechnet – doch jetzt begann das Orchester zu stimmen, und von nun an war es unmöglich etwas zu verstehen.[100]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 97-101.
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