Siebentes Kapitel

[157] Leider war ich genöthigt, mich wegen einer Erbschaftsangelegenheit auf einige Tage zu entfernen. Erst nach meiner Rückkehr sollte für Röschen gesorgt werden. Ihr Zustand hatte sie mir doppelt interessant gemacht, und ich hoffte noch immer, sie in meiner Nähe behalten, und meine Tante für sie gewinnen zu können.

Die Unglückliche! warum ahnete sie allein, was ihr bevorstand! – warum konnte ich mich, ohngeachtet ihrer rührenden Bitten, aus ihren Armen reißen! – Nein, niemals würde ich mich von ihr getrennt haben, wenn ich gewußt hätte, was ihr drohte.[157]

Kaum hatte ich mich entfernt, als Friedrich zu Röschens Vater eilte, ihm unser ganzes Verhältniß entdeckte, und den ohnehin jähzornigen Mann bis zur rasendsten Wuth erbitterte.

Ein Brief voll der fürchterlichsten Drohungen meldete Röschen seine nahe Ankunft.

Dies war genug um das bedauernswürdige Mädchen zur Verzweiflung zu bringen.

Sie kannte ihren Vater und hoffte kein Erbarmen von ihm. Ohne Rath, ohne Schutz und ohne Trost, glaubte sie nur durch eine schleunige Flucht sich vor seinem Zorn sichern zu können.

Ich kam zurück – und niemand wußte wo sie geblieben war.

Mein Schrecken bey dieser Nachricht, mein Gram da ich nach unzählig mißglückten Versuchen, endlich die Hoffnung sie wieder zu finden, aufgeben mußte – wer[158] begreift das nicht? wem brauche ich es zu schildern? –

Wie ein Verbannter irrte ich umher. Das Leben, ich selbst, alles war mir verhaßt – und wahrscheinlich würde ich einer unheilbaren Melancolie nicht entgangen seyn; hätte mich nicht Heinrich gerade jetzt an die Reise nach Italien erinnert.

Diese Reise, war längst unter uns verabredet; er hatte in Berlin alles dazu veranstaltet, und erwartete jetzt nur meinen letzten Entschluß.[159]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 157-160.
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