Achtes Kapitel

[160] Da waren wir denn in dem Lande der schönen Wunder! Heinrichs Entzücken stieg jeden Augenblick; aber für mich blieben sie todt, die Werke der unsterblichen Kunst.

Nur einem kraftvollen Herzen offenbart sich ihr hoher Geist – das Meinige war durch die Leidenschaften entnervt.

Aber der üppige Himmel wirkte desto mehr auf meine gereitzten Sinne. Bald entflohen alle traurigen Vorstellungen, und mein kochendes Blut mahnte mich nur zu sehr, daß ich mich in dem Lande des Genusses befände.

Die italiänischen Frauenzimmer haben ein zu günstiges Vorurtheil für alles, was[160] einem deutschen Manne ähnlich sieht, als daß ich lange nach Abentheuern hätte schmachten müssen.

Im Gegentheil bothen sie sich mir so häufig an, daß nur die Wahl mich verlegen machen konnte. Aber diese Verlegenheit verschwand, sobald die Marquise P. mich mit gütigem Auge bemerkte.

Sie wollte gefallen und – sonderbar genug – demohngeachtet gefiel sie wirklich. Ihre außerordentliche Schönheit, ihr blendender Witz rissen auch dann noch hin, wenn man am meisten auf seiner Huth zu seyn glaubte. Bald sah man sich gefesselt, und verlohr mit der Freiheit die Neigung ihren Verlust zu beklagen.

Die italiänischen Frauenzimmer sind wohl geneigt mit Grausamkeit zu endigen; aber nicht, wie die deutschen, damit anzufangen. Die Marquisin blieb der Sitte ihres Landes getreu, und bald waren[161] wir auf das Innigste mit einander verbunden. –

Will man eine sinnliche Anhänglichkeit Liebe nennen, so muß man gestehen: daß die italiänischen Frauenzimmer lieben, statt daß die deutschen sich nur lieben lassen.

Die Deutsche ist glücklich, wenn sie umarmt wird – die Italiänerin will selbst umarmen – und das, was in Deutschland Verderbniß und Unnatur heißen würde, ist in der Nähe des Vesuvs Natur.[162]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 160-163.
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