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[258] Prinz Heinrich. Der Rheinsberger Park.

Herr von Reitzenstein und der verschluckte Diamant. Der Freundschaftstempel. Das Theater im Grünen. Das Grabmal des Prinzen


Außer den im vorigen Kapitel beschriebenen Zimmern des Kronprinzen und des Prinzen Heinrich enthält das Rheinsberger Schloß nichts, was der Erwähnung wert wäre. Wenn man wieder ins Freie tritt, um, über den Schloßhof hin, dem Park und dem See zuzuschreiten, so kann man die Frage nicht abwehren, wie kommt es, daß dieser kluge, geistvolle Prinz Heinrich, dieser Feldherr sans peur et sans reproche, dies von den nobelsten Empfindungen inspirierte Menschenherz, so wenig populär geworden ist. Man gehe in eine Dorfschule und mache die Probe. Jedes Taglöhnerkind wird den Zieten, den Seydlitz, den »Schwerin mit der Fahne« kennen, aber der Herr Lehrer selbst wird nur stotternd zu sagen wissen, wer denn eigentlich Prinz Heinrich gewesen sei. Selbst in Rheinsberg, das der Prinz ein halbes Jahrhundert lang bewohnt hat, ist er verhältnismäßig ein Fremder. Natürlich, man kennt ihn, aber man weiß wenig von ihm. Einige von den Alten entsinnen sich seiner, erzählen dies und das, aber die lebende Generation lernt Geschichte wie wir, d.h. liest lange Kapitel vom Kronprinzen Friedrich und seinem Rheinsberger Aufenthalt, und hat sich daran gewöhnt, den Konzertsaal und das Studierzimmer als die alleinigen Sehenswürdigkeiten des Schlosses anzusehen. Die Zimmer des Prinzen Heinrich, Prinz Heinrich selbst, alles ist bloße Zugabe, Material für die Rumpelkammer. Das harte Los, das dem Prinzen bei Lebzeiten fiel, das Geschick »durch ein helleres Licht verdunkelt zu werden«, verfolgt ihn auch im Tode noch. An derselben Stelle, wo er durch fast zwei Menschenalter hin gelebt und geherrscht, geschaffen und gestiftet hat, ist er ein halb Vergessener, bloß weil der Stern seines Bruders vor ihm ebendaselbst geleuchtet. Und ein Teil dieses Mißgeschicks wird auch bleiben. Aber es ist andererseits nicht unwahrscheinlich, daß die nächsten fünfzig Jahre schon Verdienst und Klang des Namens mehr in Harmonie bringen werden. Um es mit einem Worte zu sagen: dem Prinzen hat der Dichter bis zu dieser Stunde gefehlt. Von dem Augenblick an, wo Lied, Erzählung, Schauspiel ihn unter ihre Gestalten aufnehmen werden, werden sich auch die Prinz-Heinrich-Zimmer im Rheinsberger Schlosse neu zu beleben anfangen, und die Kastellane[258] der Zukunft werden zu berichten wissen, was in dieser und jener Fensternische geschah, wer den Blumenkasten übergab und unter welchem Kastanienbaum der Prinz seinen Tee trank und mit einem freudigen »oh soyez le bien venu« sich erhob, wenn Prinz Louis am Schloßtor hielt und lachend aus dem Sattel sprang.

Historische Gestalten teilen nicht selten das Schicksal alter Statuen. Einzelne stehen durch ein Jahrtausend hin immer leuchtend und immer bewundert auf dem Postament ihres Ruhmes; andere werden verschüttet oder in den Fluß geworfen. Aber endlich kommt der Moment ihrer Wiedererstehung, und nun erst – neben den glücklicheren neuaufgerichtet – erwächst der Nachwelt die Möglichkeit des Vergleichs.

Es muß zugegeben werden (und ich habe bereits in dem Kapitel »die Kirche zu Rheinsberg« darauf hingewiesen), daß etwas prononziert Französisches in Sitte, Gewöhnung, Ausdruck, sowie das geringe Maß jener kurbrandenburgischen Derbheit, die wir an Friedrich dem Großen, all seiner Voltaire-Schwärmerei zum Trotz, so deutlich erkennen und so sehr bewundern, der Volkstümlichkeit des Prinzen Heinrich immer hindernd im Wege stehen wird, es fehlt aber auch noch viel bis zu jenem bescheideneren Teile von Popularität, worauf er unbedingten Anspruch hat. Seine Repliken waren nicht im Stile des älteren Tauenzien, als dieser, unter Androhung, »daß man das Kind im Mutterleibe nicht schonen werde« aufgefordert wurde, Breslau zu übergeben; aber wenn er in seinen Antworten auch nicht dem Richard Löwenherz glich, der mit seinem Schwert ein zolldickes Eisen zerhieb, so glich er doch dem Saladin, der mit seiner Halbmondklinge das in die Luft geworfene Seidentuch im Niederfallen durchschnitt. Nur selten war er derb, rauh nie.


*


Wir sind nun in den Park getreten. Er umzieht in weitem Halbkreise die linke Hälfte des Sees und geht am jenseitigen Ufer unmittelbar in die schönen Laubholzpartien des Boberowwaldes über. Der Park ist eine glückliche Mischung von französischem und englischem Geschmack, zum Teil planvoll und absichtlich dadurch, daß man die Le Notreschen Anlagen durch Partien im entgegengesetzten Geschmack erweiterte, zum Teil aber planlos und unabsichtlich dadurch, daß sich das zwang- und kunstvoll Gemachte wieder in die Natur hineinwuchs. Die ursprüngliche[259] Anlage soll das Werk eines Herrn von Reitzenstein gewesen sein, der schließlich (wie das zu geschehen pflegt) in verleumderischer Weise beschuldigt wurde, die Kriegsabwesenheit des Prinzen zu seinem Vorteil benutzt und unredlich gewirtschaftet zu haben. Als er von dieser gegen ihn umgehenden Verleumdung und beinahe gleichzeitig auch von der nahe bevorstehenden Rückkehr des Prinzen hörte, gab er sich in den Tod »indem er einen Diamanten verschluckte«. So das Volk. Es liegt auf der Hand, daß hier der nach dem Abenteuerlichen haschende Sinn desselben eine komische Substituierung geschaffen hat. Ein verschluckter Diamant ist um nichts schädlicher als ein verschluckter Pflaumenkern, und so glaube ich denn bis auf weiteres annehmen zu dürfen, daß sich von R. (wenn überhaupt) einfach durch Blausäure, durch Essence d'Amandes getötet hat, aus welch letzterem Worte, lediglich nach dem Gleichklang, ein Diamant geworden ist.

Man passiert, abwechselnd dicht am See hin und mal wieder sich von ihm entfernend, die herkömmlichen Schaustücke solcher Parkanlage: Säulentempel, künstliche Ruinen, bemooste Steinbänke, Statuen (darunter einige von großer Schönheit), und gelangt endlich bis an den sogenannten Freundschaftstempel, der bereits am jenseitigen Ufer des Sees, im Boberowwalde gelegen ist. In diesem Freundschaftstempel pflegte der Prinz zu speisen, wenn das Wetter eine Fahrt über den See zuließ. Es war ein kleiner Kuppelbau, auf dessen Hauptkuppel noch ein Kuppelchen saß; über dem Eingang aber ein Frontispiz. Frontispiz und Kuppeln existieren nicht mehr; sie drohten mit Einsturz und wurden abgetragen. Aber das Innere des »Tempels« ist noch wohlerhalten und besteht aus einem einzigen achteckigen Zimmer, um das sich, wie die Schale um die Mandel, ein etwas größerer achteckiger Außenbau legt. Genau so, wie man eine kleine Schachtel in eine größere stellt und beide mit einem gemeinschaftlichen Deckel überdeckt. In dem achteckigen Einsatz befinden sich vier türbreite Einschnitte (die Türen selber fehlen) und mit Hilfe dieser Einschnitte wird es möglich, die sechzehn Inschriften zu lesen, die seinerzeit der Innenwand des achteckigen Außenbaues, und zwar sehr wahrscheinlich vom Prinzen selber gegeben wurden. Sie sind abwechselnd zwei und vier Zeilen lang und beziehen sich auf das Glück der Freundschaft. Ich zitiere zwei derselben:


Qui vit sans amité, ne sauroit être heureux,

Quandi il auroit pour lui la fortune et les Dieux[260]


oder


Pourquoi l'amour est-il donc le poison

Et l'amitié le charme de la vie?

C'est que l'amour est le fils de la folie

Et l'amitié fille de la raison.


So sind sie alle. Kleine Niedlichkeiten ohne tiefere Bedeutung, und doch an dieser Stelle ebenso ansprechend, wie sie als Grab- und Kircheninschriften uns widerstrebend sind.

Jetzt feiert die junge Welt ihr Möskefest hier, bei welcher Gelegenheit sicherlich alle philosophischen Betrachtungen über das Glück der Freundschaft unterbleiben, und die sich »anbahnenden Verhältnisse« durchaus zugunsten des ewig im Schwunge bleibenden »fils de la folie« entschieden werden. Ein Möskefest an dieser Stelle bedeutet eine nicht üble Kritik und Ironie.


*


Vom Freundschaftstempel aus schreiten wir in den eigentlichen Park zurück, machen dem wohlerhaltenen »Theater im Grünen«, das lebendige Hecken statt der Kulissen hat, unseren Besuch und gelangen danach in allerhand schmale Gänge, deren Windungen uns schließlich bis an das Grabmal des Prinzen Heinrich führen. Es besteht aus einer Pyramide von Backstein, um die sich ein schlichtes Eisengitter zieht. Der Prinz, in seinem Testamente, hatte die völlige Vermauerung dieser Pyramide angeordnet; man ging aber von dieser Anordnung ab und ließ einen Eingang offen. Im Jahre 1853 sah ich noch deutlich den großen Zinksarg stehen, auf dem ein rostiger Helm lag. Seitdem ist ein brutaler Versuch gemacht worden, eben diesen Sarg, in dem man Schätze vermutete, zu berauben, was nun, nachträglich noch, zur Erfüllung der Testamentsanordnung, will also sagen zur Vermauerung der Pyramide geführt hat.

Wo früher der Eingang war, befindet sich jetzt eine große Steintafel mit der von Prinz Heinrich selbst verfaßten Grabschrift. Sie lautet:


Jetté par sa naissance dans ce tourbillon de vaine funée

Que le vulgaire appelle

Gloire et grandeur,

Mais dont le sage connoit le néant;

En proie à tous les maux de l'humanité;[261]

Tourmenté par les passions des autres,

Agité par les siennes;

Souvent exposé à la calomnie;

En butte à l'injustice;

Et accablé même par la perte

De parens chéris,

D'amis sûrs et fidèles;

Mais aussi, souvent consolé par l'amitié;

Heureux dans le recueillement de ses pensées,

Plus heureux

Quand ses services purent être utiles à la patrie

Ou à l'humanité souffrante:

Tel est l'abrégé de la vie de

FRÉDÉRIC-HENRI-LOUIS,

Fils de Frédéric-Guillaume, roi de Prusse,

Et de Sophie-Dorothée,

Fille de George Ier. roi de la Grande-Bretagne.


Passant,

Souviens-toi que la perfection n'est point sur la terre.

Si je n'ai pu être le meilleur des hommes,

Je ne suis point au nombre des méchans;

L'éloge ou le blâme

Ne touchent plus celui

Qui repose dans l'éternité;

Mais la douce espérance

Embellit les derniers momens

De celui qui remplit ses devoirs;

Elle m'accompagne en mourant,

Né le 18. janvier 1726.

Décédé le 3. août 1802.


So dachte, so schrieb man damals. Die »naissance« war ein Spiel des Zufalls, und man war es müde, »über Sklaven zu herrschen«.

Aus dieser Welt der Freiheitsphrase sind wir heraus, aber, Gott sei Dank, dem Wesen der Freiheit sind wir nähergekommen.[262]

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 9, München 1959–1975, S. 258-263.
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