[217] Troja! – welche Erinnerungen, welche Jahrtausend alte Historie knüpfen sich an diesen Namen! Wo ist der gebildete Mensch Europa's, aus dessen Jugendstudien nicht jene sagenumgürtete Welt herüberklingt, der götterbevölkerte Olymp, die Peloponiden, Agamemnon, des Atreus Sohn, der lanzenschwingende zornige Held; – Aias der Telamonier; Nestor, das dritte Geschlecht der Menschen mit seiner Weisheit beherrschend; – Diomedes, den Kampf mit den Göttern nicht scheuend; – Odysseus mit seinen wunderbaren Fahrten, und endlich der schnellfüßige Achill, unwiderstehlich in der Schlacht und furchtlos im Rath, unbändig in seinem Zorn, mit dem er Patroklos, den geliebten Jüngling, rettet, und zärtlich in der Liebe zur schönen Sclavin Briseïs und der göttlichen Mutter, der Nereide.
Und dort am meerumgürteten Strande das hohe Ilion selbst, – der mächtige Gipfel des Ida, auf dem Paris die schöne Griechin gewann und Aeneas das Geschlecht der Dardaner beherrschte. Priamos, Hekuba, Kassandra die Unheilverkündende und der Liebling Apollo's, der männerwürgende furchtbare Hektor, wie er in banger Ahnung von Andromache scheidet zum Kampf mit dem Peliden! Sind das nicht Namen und Erinnerungen, die jede Phantasie bewegen?
Doch nicht allein die Erinnerungen des gebildeten Europäers sind es, die diese jetzt öde Stätte bevölkern: dem ganzen Volke der Hellenen sind die Gesänge seines großen Dichters wohl bekannt, und der niedere Grieche der Inseln, der Matrose, der auf der Tartane das Meer durchstreift, naht mit Ehrfurcht jener Stelle und fühlt sich in seinem Elend stolz auf die Namen der großen Vorfahren.[218]
Die Bucht von Troja – in der Zeitgeschichte bekannt unter dem Namen der Besika-Bai – liegt1 nordöstlich gegenüber der Insel Tenedos, sich in weitem Bogen in das kleinasiatische Ufer hineinziehend. Ein Hafen auf der Westseite der hohen und felsigen Insel wird als derjenige bezeichnet, in dem sich die griechischen Schiffe nach ihrem Abzug verbargen, um nach des Odysseus gelungener List im Dunkel der Nacht zurückzukehren.
Die Meerenge zwischen Tenedos und dem asiatischen Ufer ist an den schmälsten Stellen etwa eine halbe deutsche Meile breit. Die Nordostseite der Bai wird von einem breiten Landvorsprung gebildet, dessen nördliches Ufer den Eingang der Dardanellen beherrscht. Von der hier gelegenen kleinen, mit starken Festungswerken versehenen Stadt Dardanelli erreicht das Auge noch die Bai.
Alexandria Troas, von den Türken Eski Stambul genannt, liegt südlich an der großen Bucht und bietet noch, zum Theil mit einem Eichwald bedeckt, eine interessante und reiche Trümmerwelt. Hunderte von Säulen sind in allen Richtungen zerstreut um den alten Hafen, eine Reihe davon steht unter Wasser und schäumend bricht sich die Brandung an ihnen. Ungefähr zweitausend Schritt vom Meere ab erheben sich noch die großartigen Trümmer und schönen Bogen eines Gebäudes, das die Schiffer den Palast des Priamus zu nennen pflegen. Das alte Troja ist nordöstlich von der Bucht landeinwärts gelegen, im Thal des Skamander (Mendere). Nur wenige Erdwälle und künstliche Hügel geben dem Alterthumsforscher hier einen Halt. Das Ufer ist am Meeresstrande flach und sanft aufsteigend. Dann folgen waldige Anhöhen, die zu einem Amphitheater von Bergen emporsteigend, unter denen der schneebedeckte Gipfel des Ida, das Thal des alten Skamander umkreisen.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Wiederum lag, von Westen gekommen, eine Kriegsflotte auf den blauen Wellen der Trojabai, – nicht jene zwölfhundert Schiffe, die einst von den ionischen und ägeischen Küsten die griechischen Helden hierhergeführt, sondern die riesigen hölzernen Rosse Alt-Englands, der Stolz des stolzen Großbritanniens, die kühn emporstrebende Seemacht Frankreichs, die alte Rivalin zu überflügeln drohend. Kinder eines andern Jahrtausends, einer neuen Zeit im[219] Schaffen und Denken! Die riesigen Kolosse mit den drei- und vierfach übereinander starrenden Reihen von Feuerschlünden, bewegt durch die dämonische Kraft des Dampfes oder der wallenden Segel, boten sicher einen andern Anblick als die griechischen Schiffe vor fast dreitausend Jahren, doch Land und Meer und Himmel und Felsen waren noch dieselben wie damals, als sie die Achaïer getragen und des Protesilaos Blut zuerst den Sand des trojanischen Ufers färbte.
Am 23. Juni erschien die englische Flotte auf die Ordre des britischen Gesandten in Constantinopel, Lord Stratford de Redcliffe, unter Vice-Admiral Dundas am Eingang der Dardanellen und warf in der Besika-Bai Anker. Sie bestand aus zwei Dreideckern, vier Zweideckern, einer Segelfregatte und vier Dampffregatten, nebst einigen kleinen Schiffen. – Bald darauf erschien auch die französische Flotte unter Vice-Admiral La Susse und legte sich im Halbkreis neben die englische. Sie zählte acht Linienschiffe, darunter die prachtvollen, das englische Schiff Sanspareil weit überragenden Schraubendampfer Napoleon und Charlemagne, und fünf Dampffregatten.
Das Verhältniß war damals zwischen beiden Flotten durchaus kein sehr freundschaftliches und versprach wenig für die vielgepriesene »entende cordiale«. La Susse war ein bitterer Gegner der Engländer und nur deshalb später auf dem Ankerplatz erschienen, um die englischen Schiffe bei ihrer Ankunft nicht begrüßen zu müssen. Die Stellung der beiden Admirale hatte bereits zu mehreren Verwickelungen und zur Abberufung von La Susse geführt, dessen Dienstzeit abgelaufen war. In seine Stelle ward zum Commandanten des Geschwaders der Seepräfect von Toulon, Vice-Admiral Hamelin, ernannt.
Auf der Rhede von Brest wurde bereits ein zweites großes Geschwader unter Vice-Admiral Bruat ausgerüstet, gleichwie die Engländer in Spithead mit Anstrengung thätig waren.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Die Schiffe lagen in drei großen Gruppen am Ufer der Bai entlang vor ihren Ankern. Einige Fregatten und kleinere Schiffe kreuzten durch die Bucht, um unter der leichten Brise ein Segelmanöver zu machen.
Wir führen den Leser an Bord einer der erstern, der englischen Fregatte Niger.[220]
Die Mannschaft der Wache war in voller Thätigkeit beim Manövriren, denn der erste Lieutenant verstand sie in Athem zu halten und hatte Augen für jeden Fehler. – Während er auf dem Gangweg auf- und abschritt, Takelwerk und Segel im Auge, lehnte Capitain Warburne an der Gallerie des Hinterdecks in der Nähe des Steuers mit einem Herrn in feiner Civilkleidung.
Warburne war ein alter Offizier, der seine Midshipmanzeit noch im napoleonischen Kriege gedient und langsam durch eigenes Verdienst ohne Empfehlung und Protection seinen mühsamen Weg gemacht hatte. Mit dem Ärger eines alten Seemannes schaute er auf die Neuerungen und Verbesserungen, die die Zeit gebracht und die alle seine Gewohnheiten über den Haufen zu werfen drohten. Vor Allem waren ihm die Vorzüge des Dampfes ein Gegenstand ewigen Grolls, und die Sicherheit eines Segelschiffes ein Lieblingsthema seines Gespräches. Der Geist des Commandirenden hatte sich so zu sagen auf die ganze Mannschaft verbreitet, und kaum konnte es ein eigensinnigeres gröberes Schiffsvolk in der ganzen Flotte geben, sobald es mit den Mannschaften der Dampfschiffe zusammenkam.
»Sehen Sie die französischen Halunken an,« sagte der Capitain ärgerlich, »reiten sie nicht auf ihren Ankern, als hätten sie ganz Alt-England schon in der Tasche? Ich begreife das Ministerium nicht, wie man uns hierherschicken kann, um mit diesen Crapauds unnütz in der Sonne zu braten.«
»Sie sind ärgerlich, Warburne, aber Sie thun Unrecht, die französische Flotte zu tadeln. Ich habe mich bei den Bootfahrten überzeugt, sie befindet sich in einem vortrefflichen Zustande, den ich unseren eigenen Schiffen wohl wünschte. Es ist eine Schmach für England, daß unsere Flotte offenbar gegen die französische zurücksteht.«
»Ha, pfeifen Sie auch auf dem Winde, Maubridge,« meinte grämlich der alte Seemann. »Der Teufel hole die Froschfresser mitsammt ihren Kohlenschiffen. Alle Ehre und Reputation auf dem Meere geht zu Grunde, seit der verdammte Dampf auf blauem Wasser regiert, wie er sich auf dem Lande mausig macht. Gott verdamm' meine Augen, ich glaubte, ich hätte etwas Besseres an Ihnen erzogen, als einen Bewunderer der schwarzen Rauchfänge. Was ist es für eine Kunst noch, ein Schiff zu regieren, seit unten im Bauch der schmutzigste Maschinist den Capitain spielen kann![221] Aber die Welt ändert sich; seit Sie Ihren Bruder beerbt haben und im Unterhause sitzen, sind Sie so närrisch wie die Andern. – Dampfschiffe statt der ehrlichen Leinwand und die Franzosen seitlängs von uns, ohne daß wir eine ehrliche Breitseite mit ihnen tauschen dürfen, Sie werden's erleben, das bringt der Flagge mit dem Doppelkreuz kein Glück.«
Maubridge – der Mann in Civil war der Baronet, dessen Bekanntschaft wir im Landhause zu Bournabat beim Angriff der Räuber gemacht haben – lachte.
»Sie sind und bleiben der Alte, Warburne,« sagte er, »und werden sich nie in die Forderungen der Gegenwart schicken, obschon Sie deren Nutzen einleuchtend vor Augen sehen. Passen Sie auf, es dauert nicht lange mehr, so wird Ihre alte Fregatte abgezahlt und kommt als Wachtschiff nach Plymouth oder Spithead. Wir sind viel zu weit hinter den Franzosen zurückgeblieben in der langen Friedenszeit und sie haben uns in Zahl und Einrichtung der Dampfschiffe überflügelt, gerade wie die Amerikaner.«
»Ja, ja, ich seh's, die alten Eichenbalken, die so lange die britische Flagge durch alle Meere zum Siege getragen und gefürchtet gemacht haben, werden aus Halbsold gesetzt. Alles soll Eisen sein, Alles mit übermäßiger Geschwindigkeit gehen, – nur die Beförderung eines ehrlichen Mannes geht den Schneckengang. Es ist keine Dankbarkeit mehr in der Welt, und das rächt sich.«
»Ei, Warburne, Sie thun wieder Unrecht. Sehen Sie nicht in mir das Gegentheil? – Hab' ich nicht gleichfalls meinen jüngeren Bruder in Ihre Obhut gegeben, um einen tüchtigen Seemann aus ihm zu bilden, und bin ich nicht schon seit drei Wochen Ihr Gast und langweile mich mit Ihnen hier, bloß um Ihnen meine alte Anhänglichkeit zu zeigen, nachdem ich in Smyrna schon so viele Zeit verloren habe?«
Der Capitain schielte ihn von der Seite an.
»Hm! Der alte Adams – den ich wegen der Einkäufe in Smyrna zurückließ – erzählt ganz kuriose Dinge von der Weise, wie Sie Ihre Zeit verloren haben, und daß Sie wohl thaten, die Sicherheit eines britischen Kriegsschiffs zu suchen. Hören Sie, Maubridge, ich habe Sie noch immer lieb, weil Sie ein braver Bursche waren, der im Sturm seinen Mann stand, d'rum warne ich Sie, hüten Sie sich vor den Weiberröcken, sie sind eben so[222] falsch wie die Franzosen und haben noch keinem Manne Gutes gebracht.«
»Sie sind ein alter Hageprunk, Warburne, und Adams ist ein Schwätzer, der sich von einem Knaben, so hoch, hors de combat setzen ließ. Aber sehen Sie, wie jener französische Dampfer auf uns zukommt, es ist, als ob der Bursche uns verhöhnen wollte mit seiner Beweglichkeit.«
Warburne schaute nach der Flotte zurück. Eine der kleineren französischen Dampffregatten hatte ihren Ankergrund verlassen und strich gleich einem Schwan stattlich hinter ihrem Spiegel durch die Wellen.
»Master Hunter!«
Der erste Lieutenant kam nach Hinten.
»Sir!«
»Lassen Sie gefälligst das Schiff umlegen und nach Tenedos hinüber halten. Wir wollen dem französischen Maulaffen da nicht den Spaß machen, uns in ein Wettfahren mit ihm einzulassen.«
»Sehr wohl, Sir!«
Der Lieutenant gab den Befehl an den Offizier der Wache und das Schiff nahm seinen veränderten Cours im rechten Winkel von seinem bisherigen Lauf und schob nach der Insel zu. – –
Am Vorderkastell standen in mehreren Gruppen die Matrosen, die zu den abgelösten Wachen gehörten, und schauten über die Brüstungen hinaus auf die manövrirenden Schiffe oder hinauf zu den Segeln, die sich im frischen Landwind blähten. Die Brise, die durch das Felsenthor der Dardanellen bläst, ist oft so stark und anhaltend, daß kein Segelschiff den Eingang gewinnen kann und häufig hunderte von Fahrzeugen Wochen lang vor der Meerenge liegen bleiben müssen, um auf das Umsetzen oder Aufhören des Nordwindes zu warten.
Die Matrosen waren fast durchgängig von jener Bullenbeißerfigur, die den Seeleuten Alt-Englands eigen ist. Man erkannte deutlich jedoch jene Figuren, welche aus einem andern Lebensberuf durch Zufall oder das schmachvolle Recht der Pressung darunter gerathen waren, obschon es ein eigenthümlicher Zug der Briten ist, daß mindestens zwei Drittheile dieser Unglücklichen nach kurzer Zeit schon mit ihrem Loose sich ausgesöhnt zeigen, alle frühern Verhältnisse vergessen und oft die besten Seeleute werden.[223]
Die Hände in den Hosentaschen, ging die vierschrötige Gestalt des Deckmeisters Adams von einem Gangweg zum andern, mit forschendem Blick ringsum die Ordnung prüfend.
»Herunter von dem Hühnerkasten, Sir, wenn's beliebt, Master Hunter sieht eben hierher. Warte, Hundesohn, kannst Du Deine schmutzigen Pfoten nicht wo anders hin tragen?«
Ein Hieb mit einem Tauende aus dem Vorrath der weiten Tasche nach einem unglücklichen Schiffsjungen, der mit einem Eimer vorüberhuschte, begleitete die Worte. Die erste Anrede war jedoch an drei junge Männer gerichtet, die auf einem der Vorderdeck-Hühnerkasten hockend, über Hängemattenwandung hinausschauten.
»Sei nicht so bärbeißig, Alter, wir werden Deinem Kasten kein Loch in den Rumpf stoßen. Schau', Gosset, wie sie daher kommt! Ist es nicht eine Schande, daß wir in diesem alten wurmstichigen Segelboot umherkrebsen müssen, wie ein Hummer am Lande?«
»Es ist unverantwortlich von der Krone Großbritannien, daß eine Tischgesellschaft so gescheuter und stattlicher Mid's2, wie die ganze Flotte sie nicht zählt, noch immer verurtheilt ist, Raen spleißen, die Stagen reffen, Top- und Vortopsegel ansetzen zu lassen, den ganzen Tag einem ersten Lieutenant zu Diensten zu sein, je nachdem's ihm einfällt, unter doppelt oder einfach gerefften Linnen zu segeln, kurz auf einem Segelschiff zu dienen. Hol' der Teufel all' die Arbeit.«
Der Deckmeister rollte grimmig das Prüntjen aus einer Backe in die andere und spritzte seinen Groll mit der eklen Flüssigkeit durch die nächste Stückpforte.
»Mit Verlaub, Sir, wollen Sie jetzt von meinem Kasten herunter oder nicht? Aus Ihnen wird im Leben kein ordentlicher Seemann werden, Master Gosset, sonst würden Sie nicht solches Wischiwaschi über ein Schiff zu Markte bringen, das hundert solche Leute aufwiegt wie Sie und Master Frank.«
Die Midshipman räumten lachend den Kasten. Es waren drei junge Burschen von 14 bis 17 Jahren, von denen der Eine große Ähnlichkeit in den Zügen mit Sir Maubridge auf dem Hinterkastell wies. Der Zweite, Gosset, war ein ziemlich schmächtiger Knabe von affenartiger Beweglichkeit, während der Dritte und[224] Älteste eine kräftige Figur mit einem ziemlich gemeinen stupiden Gesicht zeigte.
»Segel und Dampf ist die schwache Seite von Meister Adam's, grade wie beim Capitain selbst,« höhnte Gosset. »Ich wette, nur unser erster Lieutenant ist meiner Ansicht und verwünscht diesen alten Segelkasten, weil er ihn schon zwei Mal bei der Beförderung im Stich gelassen hat. Ich quittire den Dienst, wenn man den Niger nicht bald abtakelt.«
»Vorläufig werden Sie hinunter gehen und das Verdeck räumen, Sie junger Halunke,« sagte eine strenge Stimme hinter ihm. Es war der erste Lieutenant, der unbemerkt nach vorn gekommen. »Kümmern Sie sich um Ihre eigene Carriere, die Sie höchstens in den Mastkorb führen wird, und danken Sie Gott, daß man einen so spindelbeinigen affengesichtigen Burschen auf Ihrer Majestät Fregatte in Dienst genommen hat. Hinunter auf's Mitteldeck, wer nicht den Dienst von Ihnen hat.«
Die Midshipman tauchten eilig durch die Luke, denn Master Hunter verstand keinen Spaß. Auch die Matrosen rings umher drückten sich ihm aus dem Wege, oder nahmen irgend eine Beschäftigung vor. Der dritte Lieutenant, welcher die Wache hatte, rapportirte vier Glocken. Der erste Lieutenant ging nach hinten und that das Nämliche, und der Capitain befahl, zum Essen zu pfeifen. Der Befehl lief auf gleiche Weise zum Hochbootsmann und der Ruf: »Alle Mann zum Essen!« erscholl durch die Luken.
Es ist dies eines der buntesten Bilder selbst auf einem englischen Schiffe. Die Tischgesellschaften sammeln sich und nehmen ihre Plätze ein, um Heerd und Küche drängen sich die Maate, die für jede die Portionen in Empfang zu nehmen haben und die schwarzen Gehilfen des Kochs haben alle Hände voll zu thun. Der Stewart der zweiten Kajüte läuft eilig hin und her, um den Tisch der Offiziere zu besorgen, während der des Capitains höflich seine Einladung für die Tafel desselben macht, die um 3 Uhr beginnt.
»Wer ißt heute noch beim Capitain?« fragte der Zahlmeister den Eilenden.
»Der zweite Lieutenant, Sir, und Master Duncombe, der Doctor. Auch der junge Maubridge.«
»Schön! bringen Sie dem Capitain meinen Empfehl und ich würde erscheinen.«[225]
Am Bord eines Schiffes weigert man sich selten, die Einladung eines Capitains anzunehmen.
Auf dem Hinterdeck trat der erste Lieutenant zu seinem Vorgesetzten.
»Der Dampfer hat gleichfalls gewendet, Sir, und scheint uns absichtlich folgen zu wollen. Es ist die ›Veloce‹, Sir.«
»Lassen Sie die Mannschaft ihr Essen nehmen, aber die Mittelwache in Thätigkeit bleiben. Ändern Sie gefälligst von Zeit zu Zeit den Cours und vermeiden Sie einen Segelstrich mit dem Franzosen. Es ist offenbar, daß der Narr uns seine Schnelligkeit zeigen will.«
Der erste Lieutenant tippte an den Hut und ging, um das Commando an den zweiten Lieutenant zu übergeben, der die Mittelwache hatte. Capitain Warburne spazierte mit seinem Gast auf dem Deck weiter umher.
Die »Veloce3« schoß unterdeß näher heran, stattlich und leicht, wie ein Schwan durch die Wellen streift, einer jener schönen zierlichen Bauten, die selbst das Auge eines britischen Seemannes entzücken mögen. Es ist bekannt genug, daß zu Ende des vorigen und zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts die englische Marine ihre besten Schiffe den siegreichen Gefechten mit der französischen Marine verdankte.
Dicht unterm Spiegel des Niger wendete der Dampfer und schoß an seinem Backbord vorüber, so daß alle auf den Decks befindlichen Gruppen gegenseitig vollständig gesehen werden konnten.
Wir haben die englische Fregatte bereits beschrieben; versetzen wir uns einige Augenblicke vor der Begegnung auf das Hinterdeck des französischen Dampfers.
Alle, die beim Beginn des großen Krieges die Gelegenheit hatten, die britischen und französischen Kriegsschiffe zu besuchen, sind erstaunt gewesen über den großen Unterschied, der sich auf den Schiffen beider Nationen bemerklich machte, und den überwiegend vortheilhaften Eindruck, welchen die französische Marine gewährte. Während Offiziere und Schiffsvolk auf den britischen Schiffen fast durchgängig etwas Steifes oder Plumpes, ja Brutales an sich haben, und in dieser Art sich der ganze Dienst[226] kamaschenartig regelt und abspinnt, erscheint auf den französischen Schiffen Alles bei strenger Regelung und Ordnung frisch, frei und beweglich. Es herrscht statt des drohenden Gespenstes der neunschwänzigen Katze, welche noch immer und allein das Thier im britischen Matrosen zähmen kann, ein natürlicher Geist anständiger Ordnung und Disciplin unter den französischen Seeleuten, der der Individualität eines Jeden vollen Spielraum läßt. Leben und Heiterkeit, ein Scherz, ein Spaß mitten im regen Diensteifer, kurz ein gewisses point d'honneur, das nicht bloß im Bulldoggenmuth besteht, herrscht auf dem Vorderdeck eines französischen Kriegsschiffs.
Noch greller tritt der Unterschied in den beiderseitigen Offizier-Corps und in dem Verhältniß der Vorgesetzten zu den Untergebenen hervor. Wenn man Gentleman's suchen will, so möge man sie auf dem Deck der französischen Schiffe suchen, vom jüngsten Aspiranten bis zum Capitain ist es Jeder unbestritten. Ohne der Achtung und dem Range Etwas zu vergeben, herrscht zwischen den Offizieren des Schiffes ein überaus freundlicher und kameradschaftlicher Ton. Bei den zahlreichen Ausflügen mit den Dampfern nach Constantinopel, wie später, als die Flotten im Bosporus ankerten, sah man die älteren und jüngsten Offiziere stets in Gesellschaft, Arm in Arm, heiter und plaudernd und überall leicht Bekanntschaft machend, während die Engländer impertinent und abgeschlossen sich zeigten und das Schiffsvolk, jeder Ausschweifung hingegeben, sich so roh und brutal gegen die Bevölkerung benahm, daß häufig blutige Händel daraus entstanden. Während die englischen Schiffe am Bosporus lagen, wurden thatsächlich, auf Befehl des Seraskiers, alle Abende und Morgen die betrunkenen Matrosen von den türkischen Wachen auf den Gassen aufgesammelt und in Boten am Bord der nächsten Schiffe abgeliefert. Wir finden später einige Scenen dieses Treibens. – –
Auf dem Hinter- und Vorderdeck der Veloce waren Sonnenzelte ausgespannt, unter deren Schutz Offiziere und Mannschaft in zahlreichen Gruppen versammelt waren. Der Capitain, ein Mann von einigen dreißig Jahren, unterhielt ein Gespräch mit zwei Fremden, von denen der Eine die griechische Kleidung trug.
»Als wir uns in Paris trafen, Doctor,« sagte er lachend und blies den Rauch der Papiercigarre in die Luft, »hätten wir Beide schwerlich geglaubt, daß unser nächstes Wiedersehen am[227] Grabe des Achilles stattfinden werde. Der Kaiser hat uns seitdem tüchtig umhergeschickt und man scheint mir auch hier Adjutantendienste bei der Flotte aufbürden zu wollen. Wäre eine Vacanz auf meinem Schiff und hätten wir hier nicht einen so lieben alten Freund, der vortrefflich mit unserem innern und äußern Menschen umzugehen weiß,« – er reichte freundlich dem unfern mit mehreren Offizieren sich unterhaltenden Schiffsarzt die Hand – »so ließe ich Sie wahrhaftig nicht wieder fort, am wenigsten zu dem schlimmen Geschäft, das Sie vorhaben.«
»Der Mensch kommt und geht, Capitain, Sie wissen das am besten,« sagte Welland, denn er und Caraiskakis waren es, die wir am Bord der Veloce wiedertreffen. »Freilich möchte es schön sein, diese herrlichen Gewässer auf dem Schiff eines Freundes zu durchstreifen, wenn auch die Freundschaft oder Ihre Güte sich nur aus der Bekanntschaft im Café Carozza herschreibt, das wir Beide besuchten, während Sie im Marine-Ministerium antichambrirten. Doch freute ich mich aufrichtig, Capitain, als ich in Dardanelli die Namen der ankernden Schiffe erfuhr und darunter den des Ihren, nicht bloß weil ich Unterstützung von Ihnen in dem Zweck, der mich hierher führt, hoffte, sondern auch weil es mir Vergnügen machte, Sie wiederzusehen.«
»Merci! ich wünschte, ich könnte meine Freundschaft Ihnen nur energischer beweisen, als durch diese Kreuz- und Querfahrt hinter einem alten englischen Segelschiff. Doch Sie wissen bereits, Doctor, die Ordres der Admiralität sind sehr streng und wir müssen Alles vermeiden, was irgend Veranlassung geben könnte, die entente cordiale auch im Kleinen zu stören.«
»Ich würde unter keinen Umständen auch weiter Ihren Beistand annehmen, Capitain Fontain. Sie haben schon mehr als genug gethan, indem Sie uns Ihren allgemeinen Schutz gewähren. Ich kann mir nicht denken, daß wir gezwungen werden sollten, uns wirklich um Schutz an die französische Ehrenhaftigkeit zu wenden, worauf ich als Bürger Frankreichs dann nicht ohne Anspruch bin.«
»Und auf meine Ehre, Sie sollen ihn finden, und sollt' es mein Patent kosten! – Da sind wir unterm Spiegel der Fregatte. Monsieur Chaleron, haben Sie die Güte, steuerbord wenden zu lassen und an der Fregatte zu stoppen.«
Der zweite Lieutenant eilte die Treppe über der Maschine hinauf.[228]
»A dorit! – Halt!«
Die Fregatte schob langsam am Steuerbord des Niger entlang.
Der französische Capitain stand mit dem Sprachrohr in der Hand auf den Hängemattengittern.
»Bon jour, Herr Kamerad! Ist's Ihnen gefällig, beizulegen? ich habe Besuch für Sie an Bord.«
Capitain Warburne salutirte eben nicht besonders freundlich den Gruß.
»Zu Diensten, Herr Capitain! Braßt die Segel! Steuer umlegen!«
Die Fregatte hielt in ihrem Lauf, während vom französischen Dampfer bereits ein Boot heruntergelassen wurde.
»Monsieur Bertaudin, Sie werden diese Herren begleiten und mit meinem Boot auf ihre weiteren Befehle warten. Adieu, Doctor; ich hoffe, Sie zum Diner wieder an Bord zu sehen.«
Welland und Caraiskakis, von dem Aspiranten geleitet, bestiegen das Boot und schoben ab, während sich der Dampfer durch einige Raddrehungen weiter von dem Engländer zurücklegte. Nach einigen Ruderschlägen waren sie seitlängs der englischen Fregatte und stiegen die Schiffswand empor.
»Sir, ich habe die Ehre, Sie zu begrüßen. Darf ich um Auskunft bitten, ob Baronet Maubridge sich an Bord Ihrer Fregatte befindet?«
»Zu Befehl!«
»Sie würden uns sehr verbinden, Sir, wollten Sie die Güte haben, ihm diese Karte zu schicken und ihm sagen zu lassen, daß wir um eine Unterredung bäten.«
Master Hunter lud die Fremden ein, näher zu treten, und schickte den nächsten Midshipman mit dem Auftrage an den Capitain.
»Der Besuch gilt Ihnen, Maubridge,« sagte dieser. »Wollen Sie sich meiner Kajüte bedienen, so lassen Sie die Herren dahin führen.«
Der Baronet hatte die Karte des Doctors gesehen.
»Ich kenne den Herrn nicht, – wenn Sie erlauben, empfange ich den Besuch hier.«
»Wie Sie wollen. Führen Sie die Herren hierher.«
Einige Augenblicke darauf betraten Welland und der Grieche das Hinterdeck. Der Capitain lud sie ein, auf den umherstehenden[229] Schiffestühlen Platz zu nehmen, und trat an das Bollwerk zurück.
»Darf ich Sie bitten, mein Herr, mir zu sagen, was mir die Ehre verschafft ...?«
»Wir kommen, Sie um einige Auskunft in Angelegenheiten Ihrer Gemahlin, Lady Maubridge, zu bitten,« sagte Welland laut genug, um von dem Capitain und den Leuten am Steuer gehört zu werden.
»Meiner Gemahlin, Sir? – Sie irren wohl!« Die Stirn des Baronet färbte sich dunkelroth.
»O nein, Sir; ich meine Lady Diona Maubridge, geborene Grivas.«
Der Baronet suchte gewaltsam seiner Verwirrung Herr zu werden.
»Ich wiederhole Ihnen, daß Sie sich irren; doch bitte ich, mir zu sagen, was oder welches Recht Sie zu der Anfrage veranlaßt.«
»Sogleich, Sir. Mein Auftrag besteht darin, Sie im Namen der Lady Maubridge um die Aushändigung des Ehecontracts oder einer vidimirten Abschrift zu bitten.«
Der Engländer schwieg einige Augenblicke.
»Ich muß Ihnen wiederholen, daß Sie sich in Betreff einer Lady Maubridge täuschen. Ich bin nicht verheirathet.«
Der Grieche machte eine heftige Bewegung, doch Welland legte die Hand auf seinen Arm.
»Sie haben mir versprochen, mir die Angelegenheit zu überlassen.« – Er wandte sich wieder zu dem Baronet. »Wir waren einigermaßen auf diese Antwort gefaßt. Doch erlauben Sie mir eine andere Frage. Sie kannten unzweifelhaft eine junge Dame im Hause des Kaufmanns Andriarchos in Smyrna, Diona Grivas.«
»Ja wohl, mein Herr.«
»Was ist aus ihr geworden?«
»Diese Frage ist wirklich seltsam, doch muß ich gestehen, daß Sie mich selbst verbinden würden, wenn Sie mir über ihr Schicksal und ihren Aufenthalt Auskunft geben könnten.«
»Die Dame wurde in der Nacht des 23. Juni aus dem Landhause des englischen Vice-Consuls in Burnabat und aus Ihrem Schutz entführt, Sir Maubridge.«[230]
»Sie sind sehr gut unterrichtet, mein Herr. Um es kurz zu machen, sind Sie etwa der Sendbote des Banditen, der in meine Wohnung einbrach, und kommen Sie, um irgend ein Lösegeld für das junge Mädchen zu fordern?«
»Für Lady Maubridge, Sir. Diesmal irren Sie; wir waren es selbst, welche die Dame entführten.«
»Wie, Sir?«
»Ja wohl. Die Dame befindet sich gegenwärtig unter unserm Schutz, und in ihrer Vertretung kommen wir hierher, um Sie über das Schicksal derselben zu beruhigen und die weiteren Verhandlungen mit Ihnen zu führen.«
»Ich bin nicht gewohnt, mit den Genossen von Dieben und Mördern zu verhandeln. Danken Sie Gott, daß ich Sie nicht auf der Stelle wegen eines Angriffs auf britisches Eigenthum und des Mordes britischer Unterthanen verhaften lasse. Sie stehen auf diesem Schiff auf britischem Boden.«
»Und unter'm Schutz eines guten Freundes da drüben.« Der Doctor wies kalt nach dem französischen Dampfer. »Was das Recht auf die Dame anbetrifft, so hat Sir Maubridge das Beispiel der Entführung gegeben, und mein Freund, Herr Gregor Caraiskakis, der Stiefbruder der Dame, konnte damals noch nicht wissen, daß Sie dieselbe bereits zu Ihrer rechtmäßigen Gemahlin gemacht hatten.«
Der Baronet hatte jetzt seine volle Ruhe wiedergewonnen. Um seinen Mund zeigte sich ein kalter hochmüthiger Zug, der von Zeit zu Zeit sein sonst schönes Gesicht entstellte.
»Ah! also eine der gewöhnlichen Familienpressereien, von denen ich in Smyrna so Manches gehört! Nun wohl, meine Herren, ich gestehe, daß ich einen thörichten Streich gemacht habe. Ihr Himmel ist heiß, aber dergleichen läßt sich hier leicht in Ordnung bringen. Was verlangen Sie für die Dame, die mich einige Zeit mit ihrer Gunst beehrt hat und von der ich nur bedaure, daß sie sich so früh schon von mir getrennt hat.«
»Sir!«
»Nun ja, Sie werden denn doch nicht glauben, daß Sie von einer wirklichen Lady Maubridge sprechen. Ich bin zu jedem Ersatz bereit.«
»Sie läugnen, daß Sie das junge Mädchen unter dem Versprechen der Ehe entführt haben? daß eine Trauung oder eine[231] diese ersetzende Ceremonie im englischen Consulat stattgefunden hat und Diona Grivas Ihre rechtmäßige Gemahlin ist?«
»Was vorgefallen, Sir, darüber werde ich Ihnen keine Rechenschaft geben. Das aber mögen Sie und dieser Herr, der wahrscheinlich kein Englisch versteht und daher die Rolle des schweigenden Bruders spielt, wissen, daß ich den Anspruch auf den Namen meiner Gattin zurückweise und sie in ihrem eigenen Interesse wohl thun wird, eine so tolle Idee nicht weiter zu verfolgen.«
»Sie weigern also bestimmt die Anerkennung.«
»Ich werde mich nicht so lächerlich machen, darauf weiter einzugehen; haben Sie Beweise, so legen Sie Ihre Klage bei dem britischen Gesandten ein. Und nun, meine Herren ...«
»Einen Augenblick noch,« sagte der Grieche, indem er auf ihn zutrat. »Sie irrten, wenn Sie glaubten, ich verstände Ihre Sprache nicht. Ich hoffe, daß Sie eben so gut die Sprache eines Mannes von Ehre verstehen werden, der Ihnen sagt, daß Baronet Maubridge wie ein ehrloser Schurke gegen ein schutzloses Mädchen gehandelt hat!«
»Sir!«
»Die Willkür und das Unrecht, welche Ihre Nation dem griechischen Volk anthut, müssen wir leider tragen, aber Gott sei Dank, noch ist der Einzelne im Stande, das angethane Unrecht zu rächen. Ich werde Sie zwingen, meiner Schwester den Namen zu geben, der ihr gebührt.«
»Bah!«
»Bestimmen Sie Zeit und Waffen!«
»Ich schlage mich mit einem griechischen Banditen nur bei einem Angriff und Überfall, Sie wissen das.«
»Wohl, so nehmen Sie dies als Angriff ...« er hob die Hand zum Schlage, doch Maubridge kam ihm zuvor und faßte den Arm.
»Halt da – keine Beleidigung, für die ich Sie todtschießen müßte; es sollte mir leid thun. Dieser Herr wird wahrscheinlich Ihr Secundant sein.«
»Ich bin es.«
»Wohl. Der meine wird Sie noch heute aufsuchen. Wo findet er Sie?«
»Ich werde ihn in Tenedos im griechischen Kaffeehause am Hafen von der nächsten Stunde aberwarten.«[232]
»Well! Auf Wiedersehen.«
Er wandte sich kalt und hochmüthig um und trat zu dem Capitain, der ein stummer Zeuge der ganzen Unterredung gewesen war, indeß die beiden Freunde ihr Boot anriefen und sich entfernten.
»Sie sehen, Warburne, es ist Aussicht da, daß Sie auch Ihren zweiten Midshipman zu Gunsten einer erledigten Baronetschaft verlieren. Lassen Sie uns zu Tische gehen.«
»Sie werden doch nicht toll genug sein, sich mit dem griechischen Landstreicher zu schlagen?«
»Es wird nichts Anderes übrig bleiben, da er sich unter den Schutz unserer guten Freunde, der Franzosen, begeben zu haben scheint, und ich diesen doch unmöglich sagen lassen kann, auf Ihrem Schiff wären ein Paar Pistolenschüsse geweigert worden. Sie werden mir einen Ihrer Offiziere leihen, Warburne, denn ich muß nun schon die Sache zu Ende bringen.«
»Gott verdamm', ich hab' es Ihnen gleich gesagt, es kommt nichts Gescheutes heraus, wo ein Weiberrock im Spiel ist. Unter uns gesagt, mein Junge, scheinen Sie in der Geschichte auch nicht besonders viel Recht zu haben.«
»Nicht das geringste,« sagte der Baronet ruhig, »es ist auch sehr leicht möglich, daß ich ganz anders gehandelt haben würde, wenn die Narren mir nicht hätten Zwang anthun wollen. Die Kleine ist verteufelt hübsch und ich würde Aufsehen mit ihr in London gemacht haben. – Doch sprechen wir nicht mehr davon, – die Burschen müssen ihre Lection haben.«
Der Stewart des Capitains meldete zum zweiten Mal, daß angerichtet sei.
Wo der Skamander aus dem weiten Bergthal tritt, in dessen Hintergrund der große Hügel liegt, den man das Grab des Achilles nennt, und sich durch die Ebene des Ufers zum Meer schlängelt, während der Hitze des Sommers oft kaum so groß, daß er einen Kahn zu tragen vermag, liegen im Myrthengebüsch einige jener Säulentrümmer, die am südlichen Ende der Bucht sich noch so massenhaft zeigen. Hierher, um nicht zu weit entfernt von Dardanelli zu sein, hatte der Arzt das Rendezvous für den nächsten Morgen bestimmt.[233]
Als die Freunde in der besprochenen frühen Stunde dort mit ihrer Barke eintrafen, fanden sie bereits den Baronet mit dem zweiten Lieutenant des Niger vor, der ihm zum Secundanten diente. Der alte Matrose Adams hatte sie mit einem Genossen hierher gerudert und betrachtete mit Neugier die Kommenden, da Maubridge ihm mitgetheilt, daß sie unter ihren Angreifern in Burnabat gewesen waren.
Der Baronet, theilnahmlos für die weitern Verhandlungen, belustigte sich mit Pistolenschießen, wobei der Deckmeister die Aufgabe hatte, die Waffen zu laden. In dem Baronet, von dessen Character wir noch wenig gesprochen haben, lag eine seltsame Mischung von Eigenschaften, wie sie in der britischen Nationalität häufig vorkommen. An und für sich edelherzig und warmfühlend, war er mit jener Vorliebe für das Seltsame, Ungewöhnliche ziemlich reichlich begabt, die seine Landsleute so häufig zu den Excentrics führt, die in ihrer Ausartung in's Abgeschmackte ihnen den seltsamen Ruf durch die ganze Welt verschafft haben. Damit verband sich jedoch ein unbändiger Starrsinn, ein Eigenwille, der jede fremde Einwirkung von Außen, selbst bei der Erkenntniß des Bessern, beharrlich zurückwies, und eine Caprice, die durch Hindernisse wach gerufen, kein Mittel scheute, ihren Zweck durchzusetzen. Zu dem Allen gesellte sich jene gewisse Kälte und scheinbare Gleichgültigkeit, die den Briten der höhern Stände durch die Erziehung eingeimpft zu werden pflegt.
Welland trat zu dem Baronet.
»Sir,« sagte er ernst, »erlauben Sie mir noch ein Mal, Sie daran zu erinnern, daß Ihre Handlungsweise die Ehre einer Familie trifft, deren Name und Abkunft sich sicher mit der jedes englischen Pairs messen kann. Aber sie trifft und bricht auch ein Herz, das in wahrer uneigennütziger Liebe an Ihnen zu hängen scheint, und das Sie nicht das Opfer einer Handlung werden lassen dürfen, von der wir nicht wissen, ob sie Täuschung, ob sie Wahrheit war. Diona, Ihre Gattin nach göttlichem Recht, hat mir diese Zeilen an Sie gegeben und das Versprechen abgenommen, dieselben in Ihre Hand zu legen. Ich hätte es bereits gestern gethan, wenn die Umstände es erlaubt.«
Der Baronet nahm das Blatt, erbrach und las es. Es schien nur wenige Zeilen zu enthalten, die indeß einen großen Eindruck auf ihn machten. Seine schöne hohe Stirn färbte[234] sich wieder, wie bei der ersten Begegnung auf dem Schiff, mit fliegender Röthe, und er wandte sich hastig zu dem Deutschen:
»Wo ist Diona, kann ich sie sehen?«
»Sie werden es erfahren, Sir, sobald Sie meinem Freunde jenes Papier ausgeliefert haben, das im Consulat von Smyrna unterzeichnet wurde, oder uns die Erklärung auf Ihr Ehrenwort abgeben, daß Sie die Rechte Ihrer Gattin anerkennen wollen.«
Der Baronet biß sich in die Lippen.
»Sie täuschen sich in mir und haben selbst Ihr Spiel verdorben. Diona hätte mich besser kennen sollen. Wir wollen die Sache beenden, wegen deren wir uns hierher bemüht haben, erlauben Sie nur, daß ich die Pistole entlade. Adams, auf!«
Der Deckmeister warf eine Citrone in die Höhe, während sie in der Luft schwebte, hob der Baronet blitzschnell die Pistole und schoß. Die Frucht stob auseinander.
Welland blickte unwillig auf das prahlerische Spiel, und doch zog sich sein Herz krampfhaft zusammen bei dem Gedanken, daß das Leben des Freundes, der im vollen Recht die Ehre seiner Familie vertheidigte, der sichern Kugel des herzlosen Mannes verfallen sei. Er wandte sich zu dem Offizier, um die nöthigen Vorbereitungen zu treffen. Dies war bald geschehen, man wählte ein Paar Schiffspistolen und maß die Entfernung, fünfzehn Schritt, Jeder sollte das Recht haben, nach Belieben zu schießen.
Als Welland den Freund auf seine Stelle geleitete, drückte dieser ihm herzlich die Hand.
»Sollte der Himmel gegen mich sein und mir ein Unglück passiren, so werden Sie Diona nicht verlassen und sofort an meine Brüder nach Athen schreiben. Die Adressen kennen Sie, und nun mit Gott!«
Maubridge fixirte ruhig den Griechen, es war, als wäre er seines Sieges gewiß. Der Lieutenant gab das Zeichen, einige Schritte ging Caraiskakis vor, dann schoß er.
Schiffspistolen sind eine unzuverlässige Waffe. Die wohlgezielte Kugel streifte den linken Ärmel des Baronets und einige Blutstropfen quollen aus dem Rock.
»Schade um den Schuß!« sagte der Brite spöttisch. »Jetzt ist die Reihe an mir, doch zuvor hören Sie einige Worte.«
Gregor stand finster vor sich blickend da, er antwortete nicht.[235]
»Wollen Sie mir den Aufenthalt Ihrer Schwester nennen und mich das Weitere mit ihr allein verhandeln lassen?«
»Nein!«
»Überlegen Sie wohl, ich lasse mir nicht trotzen und schulde Ihnen die Revange für Burnabat.«
»Schießen Sie, Sir! Wenn ich zehn Leben hätte, würde ich sie an Ihre Verfolgung setzen und nicht von Ihrer Spur weichen.«
»Dann müssen wir freilich dazu thun, Sie daran zu hindern.«
Die Pistole hob sich rasch, ein Blitz zuckte, ein Knall, und Caraiskakis drehte sich um sich selbst, ehe er fiel.
»Sie haben ihn ermordet!«
»Keineswegs, ich müßte denn so schlecht schießen, wie mein Gegner. Richten Sie ihn auf, die Kugel sitzt in der linken Hüfte und wird Ihren Freund wohl zwei Monat von meinem Wege abhalten. Das genügt.«
Welland beschäftigte sich mit dem Verwundeten und fand es, wie der Baronet in seiner kalten Ruhe gesagt. Er öffnete dem Freunde die Kleider und legte einen vorläufigen Verband an. Gregor kam dabei wieder zu sich und schaute ihm fragend in's Gesicht.
»Beruhigen Sie sich, ich stehe Ihnen für die Kur mit aller meiner Kunst.«
Maubridge trat heran.
»Es thut mir leid um Sie, aber Sie zwangen mich. Wollen Sie jetzt – wo Sie selbst der Hilfe bedürfen, meine Bitte erfüllen und mir den Aufenthalt Ihrer Schwester nennen?«
Caraiskakis machte eine heftige abwehrende Bewegung.
»Sir, stören Sie meinen Freund nicht, der Verband kann leicht aufbrechen und der neue Blutverlust würde ihm schaden.«
»Kann ich sonst Etwas für Sie thun? Mein Boot steht zu Ihrer Disposition.«
Eine abwehrende Bewegung.
»So leben Sie wohl und warnen Sie Ihren Freund, sich nicht in meinen Weg zu drängen. Kommen Sie, Malcolm.«
Er verbeugte sich höflich und ging nach seinem Boot, in dem Beide den Fluß eine Strecke weit hinabfuhren. Adams, der alte Matrose, ruderte sie mit seinen Gefährten stillschweigend fort, Maubridge saß in Gedanken, den Kopf in die Hand gestützt. Endlich schaute er auf.[236]
»Nun, Alter, Du hast noch nicht einmal ein Wort für mich, daß ich so gut davongekommen? Ist das Deine alte Anhänglichkeit?«
Der Seemann schüttelte den Kopf.
»Ich habe Sie gekannt und Sie jedes Tau, jede Spiere am Bord kennen gelehrt, als Sie ein Bürschchen, lange nicht so groß, wie Ihr Bruder, waren. Aber schon damals waren Sie ein störrisches Blut. Was haben Sie nun davon, den Bruder niederzuschießen, nachdem Sie die Schwester unglücklich gemacht? Sie wissen selbst, daß er in seinem vollen Recht war.«
Der Baronet zog die Stirn zusammen und legte seine Hand auf die Schulter des Matrosen.
»Du bist ein Thor und kennst mich noch eben so wenig, wie alle Andern. Aber einen Dienst mußt Du mir dennoch erzeigen. Rudert hinter jenen Felsenvorsprungs und laßt uns dort aussteigen. Wir werden den Weg über das Land zu Fuß machen.«
Das Boot schoß in das Versteck. Als eine Viertelstunde darauf der Kaik vorüberfuhr, welcher den Verwundeten und seinen besorgten Freund trug, folgte das Boot des Kriegsschiffs ihm unbemerkt in einiger Entfernung die Küste entlang bis nach Dardanelli.
Hier hatten die Drei im Hause eines griechischen Kaufmanns ein Unterkommen gefunden, der mit der Familie Grivas verwandt war. Diona warf sich wehklagend auf den Bruder und benetzte ihn mit ihren Thränen. Nur schwer vermochte sie Welland durch die Versicherung zu beruhigen, daß keinerlei Gefahr vorhanden, sei.
Beide theilten sich nun in die Pflege des Bruders, doch war es Welland auffallend, daß die Griechin von Tage zu Tage schwermüthiger wurde, und in sich versunken, den Zustand des Kranken wenig beachtete. Ja, er traf sie ein Mal, als sie weinend und aufgeregt ein Papier las, das sie bei seinem Eintreten eilig verbarg.
Er wollte den Freund nicht beunruhigen, dessen Genesung, nachdem die Kugel aus dem Knochen geholt worden, langsam vorschritt, und schwieg deshalb.
Seine Briefe hatte er zum Theil nach Constantinopel vorausgeschickt. Zwei Wochen waren vergangen, als ihm plötzlich von dort ein Fremder, der mit dem Dampfschiff gekommen, ein Schreiben brachte. Es enthielt nur wenige Worte, aber mit dem geheimnißvollen Zeichen, dessen Unterthan er war.
Der Brief befahl ihm, mit dem ersten abgehenden Dampfschiff in Constantinopel einzutreffen und machte ihm Vorwürfe[237] wegen seiner Versäumniß. Welland empfand selbst, daß das längere Verweilen in Dardanelli zwecklos war, und nachdem er sich mit dem Freunde besprochen, für diesen den Schutz des französischen Consuls und des Capitains der Veloce gewonnen, schied er von den Geschwistern. Sobald Gregor ganz hergestellt war, wollte er ihm nach Constantinopel folgen. –
Drei Tage darauf war Diona spurlos verschwunden. Caraiskakis, noch an das Lager gefesselt, bot vergeblich alles Mögliche auf, sie zu entdecken. Selbst das Einschreiten der französischen Offiziere hatte keinen Erfolg, denn Capitain Warburne wies nach, daß sein Gast bereits lange vor des Doctors Abreise sein Schiff verlassen hatte.
Die Ungeduld, der bittere Ärger verschlimmerten auf's Neue den Zustand Gregor's und banden ihn an's Krankenlager, so daß er nicht einmal dem Freunde Nachricht zu geben vermochte.
Buchempfehlung
Die letzte zu Lebzeiten des Autors, der 1835 starb, erschienene Lyriksammlung.
242 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro