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[602] Zwei Personen ganz verschieden

Luden sich bei mir zu Tafel,

Diesmal lebten sie in Frieden,

Fuchs und Kranich, sagt die Fabel.


Beiden macht ich was zurechte,

Rupfte gleich die jüngsten Tauben;

Weil er von Schakals Geschlechte,

Legt ich bei geschwollne Trauben.


Langgehälstes Glasgefäße

Setzt ich ungesäumt dagegen,

Wo sich klar im Elemente

Gold- und Silberfischlein regen.


Hättet ihr den Fuchs gesehen

Auf der flachen Schüssel hausen,

Neidisch müßtet ihr gestehen:

Welch ein Appetit zum Schmausen!


Wenn der Vogel ganz bedächtig

Sich auf einem Fuße wiegte,

Hals und Schnabel, zart und schmächtig,

Zierlich nach den Fischlein schmiegte.


Dankend freuten sie beim Wandern

Sich der Tauben, sich der Fischchen;

Jeder spottete des andern

Als genährt am Katzentischchen.


Willst nicht Salz und Schmalz verlieren,

Mußt, gemäß den Urgeschichten,

Wenn die Leute willst gastieren,

Dich nach Schnauz und Schnabel richten.
[602]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 602-603.
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