[266] Dieses Jahr ward ich auf mehr als eine Weise zu einem längern Aufenthalt in Jena veranlaßt, den ich voraussah und deshalb an eigenen Manuskripten, Zeichnungen, Apparaten und Sammlungen manches hinüberschaffte. Zuvörderst wurden die sämtlichen Anstalten durchgesehen und, als ich gar manches für Bildung und Umbildung der Pflanzen Merkwürdiges vorfand, ein eigenes botanisches Museum eingerichtet und darin sowohl bedeutende Sammlungen getrockneter Pflanzen, Anfänge einer Zusammenstellung von Sämereien, nicht weniger Beispiele dessen, was sich auf Holzbildung bezog, angelegt und in Verbindung gebracht, Monstrositäten aber von besonderer Wichtigkeit in einer großen Reihenfolge aufgestellt.
Die Versetzung des Hofmechanikus Körner von Weimar nach Jena brachte einen geschickt-gewandten, tätigen Mann den dortigen Anstalten in die Nähe. Ein noch in Weimar von demselben verfertigtes Passageinstrument ward, wegen einiger an der Sternwarte zu besorgenden Baulichkeiten, zuerst in dem Schlosse aufgestellt.
Ferner die mannigfaltigen Gaben, welche Serenissimus von der mailändischen Reise mitgebracht, wurden in die verschiedenen Fächer eingeordnet.
Die Ausgaben hatten sich gemehrt, der Etat mußte abermals kapitelweise durchgearbeitet werden; ich schrieb einen umständlichen Aufsatz deshalb, und eine klare Übersicht war sodann höchsten Ortes vorzulegen.
Allein es kam in dem letzten Viertel des Jahres eine mehrjährig besprochene und wegen großer Schwierigkeiten immer verschobene Angelegenheit wieder in Anregung. Unter allen teils auf Serenissimi Betrieb und Kosten allein, teils mit Zuziehung des gothaischen Hofes verbesserten oder gar neu gegründeten[266] Anstalten konnte man leider die akademische Bibliothek noch nicht zählen; sie lag hoffnungslos im argen, ohne daß man deshalb jemand eigentlich die Schuld hätte geben können. Zu den vor dreihundert Jahren gestifteten Anfängen hatte sich nach und nach eine bedeutende Zahl von einzelnen Büchersammlungen durch Vermächtnis, Ankauf und sonstige Kontrakte, nicht weniger einzelne Bücher, auf mannigfaltige Weise gehäuft, daß sie flözartig in dem ungünstigsten Lokale bei der widerwärtigsten, großenteils zufälligen Einrichtung über- und nebeneinander gelagert standen. Wie und wo man ein Buch finden sollte, war beinahe ein ausschließliches Geheimnis mehr des Bibliothekdieners als der höheren Angestellten. Die Räume langten nicht mehr zu, die Buderische Bibliothek stand verschlossen, kaum zugänglich; sie sollte nach dem Willen des Stifters ewig unangetastet bleiben.
Aber nicht nur diese sonderbaren Verhältnisse sollten entwickelt und dieses Chaos geordnet werden, auch die im Schloß befindliche ehmals Büttnerische Bibliothek wollte man gleichfalls der Hauptmasse einverleibt sehen. Überschaute man die Sache im ganzen, durchdrang man das einzelne, so durfte man sich nicht leugnen, daß bei völlig neu zu schaffenden Lokalitäten vielleicht wenig Bände in der alten Ordnung nebeneinander würden zu stehen kommen. Unter diesen Umständen war wohl niemand zu verdenken, wenn er den Angriff des Geschäfts zu beschleunigen Anstand nahm. Endlich aber erhielt ich am 14. Oktober durch gnädigstes Reskript den Auftrag, die Angelegenheit ungesäumt zu behandeln. Hier blieb also nichts übrig, als die Sache nochmals durchzudenken, die Hindernisse für null zu erklären, wie man ja bei jedem bedeutenden Unternehmen tun muß, besonders wenn es unter der Clausul »non obstantibus quibuscunque« mutig anzugreifen ist. Und so begann ich rasch und fuhr unaufhaltsam fort.
Die Feuchtigkeit des untern Saals hatte man jahrelang bejammert; kein Vorschlag aber war ins Werk gesetzt, noch weniger durchgeführt worden. Dies war also zuerst ins Auge zu fassen. Die beschränkende Mauer nach dem Graben zu wurde[267] trotz einer lebhaften, sogar intrigierenden Protestation abgetragen, die vorliegende Erde weggeschafft, vor allen Dingen aber die Expeditionszimmer so eingerichtet, daß man darin gern arbeiten mochte. Indessen andere Baulichkeiten vorbereitet und akkordiert wurden, verfloß das Jahr.
Für die Veterinärschule mußte nun vorzüglich gesorgt werden. Die Einrichtung derselben ging Schritt vor Schritt. Von wissenschaftlicher Seite brachte ich mein Portefeuille der vergleichenden Anatomie nach Jena und stellte, was von Zeichnungen am meisten bedeutend gefunden wurde, unter Glas und Rahmen.
Professor Renner demonstrierte mir verschiedenes, besonders bezüglich auf das lymphatische System. Eine verendete Phoca wird dem herumziehenden Tierwärter abgekauft und seziert, bedeutende Präparate werden verfertigt.
Spix' »Cephalogenesis« erscheint: bei mannigfaltiger Benutzung derselben stößt man auf unangenehme Hindernisse. Methode der allgemeinen Darstellung, Nomenklatur der einzelnen Teile, beides ist nicht zur Reife gediehen; auch sieht man dem Text an, daß mehr Überliefertes als Eigengedachtes vorgetragen werde.
Herold von Marburg macht uns durch »Anatomie der Raupen und Schmetterlinge« ein angenehmes Geschenk. Wieviel weiter in sinniger Betrachtung organischer Naturwesen sind wir nicht seit dem fleißigen und übergenauen Lyonnet gekommen!
Ich bearbeite mit Neigung das zweite Heft der »Morphologie« und betrachte geschichtlich den Einfluß der Kantischen Lehre auf meine Studien.
Geognosie, Geologie, Mineralogie und Angehöriges war an der Tagesordnung. Ich überdachte die Lehre von den Gängen überhaupt, vergegenwärtigte mir Werners und Charpentiers Überzeugungen. Die merkwürdigen Tonschieferplatten aus dem Lahntal stellt ich als Tableau zusammen. Muster des Gerinnens der Felsmassen suchte ich überall auf und glaubte vieles zu finden, was für die porphyrartige Entstehung so mancher[268] Breccien zeugte. Eine von Serenissimo angeschaffte Suite von Chamonix ward im Museum folgemäßig aufgestellt, nicht weniger manche Schweizer Gebirgsarten, Modelle und Panoramen, jedes nach seiner Weise aufbewahrt, benutzt und zur Evidenz gebracht.
Die Umgegenden Badens erregten durch Gimbernats Untersuchung und Behandlung ein wachsendes Interesse, und seine geologische Karte jener Gegend, von hoher Hand mitgeteilt, war dem augenblicklichen Bedürfnis unserer Studien überaus willkommen. Brocchis »Tal von Fassa« forderte uns auf, die Wackenbildung nach ihm und andern zu studieren.
Herr Kammerherr von Preen hatte auf einer Reise dorthin auch für mich die schönsten Exemplare besorgt.
Mawes Aufsatz über Brasilien und die dortigen Edelsteine gab uns von dieser Seite eine nähere Kenntnis jener Länder. Ich aber trat in ein unmittelbares Verhältnis zu ihm und erhielt durch seine Vorsorge eine schöne Sammlung englischer Zinnstufen, wie immer unmittelbar vom Urgebirg gewonnen, und zwar diesmal im Chloritgestein.
Geheimerats von Leonhard große Tabellenwerke, in Gesellschaft mit andern Naturforschern herausgegeben, erleichterten die Anordnung meines Privatkabinetts.
Nicht geringe Aufklärungen in Geologie und Geographie jedoch verdankte ich der europäischen Gebirgskarte Sorriots. So ward mir zum Beispiel Spaniens für einen Feldherrn so schikanoser, den Guerillas so günstiger Grund und Boden auf einmal deutlich. Ich zeichnete seine Hauptwasserscheide auf meine Karte von Spanien, und so ward mir jede Reiseroute sowie jeder Feldzug, jedes regelmäßige und unregelmäßige Beginnen der Art klar und begreiflich; und wer gedachte kolossale Karte seinen geognostischen, geologischen, geographischen und topographischen Studien mit Sinn zugrunde legt, wird sich dadurch aufs höchste gefördert sehen.
Die Chromatik beschäftigte mich im stillen unausgesetzt; ich suchte mir den Zustand derselben in England, Frankreich, Deutschland zu vergegenwärtigen, ich studierte vier englische[269] Schriftsteller, welche sich in diesem Fache hervorgetan, suchte mir ihre Leistungen und Sinnesweisen deutlich zu machen; es waren Bancroft, Sowerby, Dr. Reade und Brewster. Einerseits bemerkte ich mit Vergnügen, daß sie durch reine Betrachtung der Phänomene sich dem Naturwege genähert, ja ihn sogar manchmal berührt hatten; aber mit Bedauern wurde ich bald gewahr, daß sie sich von dem alten Irrtum, die Farbe sei im Licht enthalten, nicht völlig befreien konnten, daß sie sich der herkömmlichen Terminologie bedienten und deshalb in die größte Verwickelung gerieten. Auch schien besonders Brewster zu glauben, durch eine unendliche Ausführlichkeit der Versuche werde die Sache gefördert, da vielmehr mannigfaltige und genaue Experimente nur Vorarbeiten der wahren Naturfreunde sind, um ein reines, von allen Nebendingen befreites Resultat zuletzt aussprechen zu können.
Das Widerwärtigste aber, was mir jemals vor Augen gekommen, war Biots Kapitel über die entoptischen Farben, dort Polarisation des Lichts genannt. So hatte man denn, nach falscher Analogie eines Magnetstabs, das Licht auch in zwei Pole verzerrt und also nicht weniger wie vorher die Farben aus einer Differenzierung des Unveränderlichsten und Unantastbarsten erklären wollen.
Um nun aber einen falschen Satz mit Beweisen zu verdecken, ward hier abermals die sämtliche mathematische Rüstkammer in Bewegung gesetzt, so daß die Natur ganz und gar vor dem äußern und innern Sinne verschwand. Ich mußte das ganze Ereignis als einen pathologischen Fall ansehen, als wenn ein organischer Körper einen Splitter finge und ein ungeschickter Chirurg, anstatt diesen zu augenblicklicher Heilung herauszuziehen, die größte Sorgfalt auf die Geschwulst verwendete, um solche zu mildern und zu verteilen, indessen das Geschwür innerlich bis zur Unheilbarkeit fortarbeitete.
Und so war es mir denn auch ganz schrecklich, als ein akademischer Lehrer, nach Anleitung eines Programms des Hofrat Mayer in Göttingen, mit unglaublicher Ruhe und Sicherheit vor hohen und einsichtigen Personen den unstatthaftesten[270] Apparat auskramte, da man denn nach Schauen und Wiederschauen, nach Blinzen und Wiederblinzen weder wußte, was man gesehen hatte, noch was man sehen sollte. Ich war indessen bei den ersten Anstalten auf und davon gegangen und hörte den Verlauf dieser Demonstration, als vorausgesehen, bei meiner Rückkunft ohne Verwunderung. Auch erfuhr man bei dieser Gelegenheit unter Vorweisung einiger Billardkugeln, daß die runden Lichtteilchen, wenn sie mit den Polen aufs Glas treffen, durch und durch gehen, wie sie aber mit dem Äquator ankommen, mit Protest zurückgeschickt wer den.
Indessen vermannigfaltigte ich die entoptischen Versuche ins Grenzenlose, da ich denn zuletzt den einfachen atmosphärischen Ursprung entdecken mußte. Zu völliger Überzeugung bestätigte sich der Hauptbegriff am 17. Juni bei ganz klarem Himmel, und ich machte nun Anstalt, die vielen Einzelheiten als Schalen und Hüllen wegzuwerfen und den Kern Natur- und Kunstfreunden mündlich und schriftlich mitzuteilen. Dabei entdeckte sich, daß ein dem Maler günstiges oder ungünstiges Licht von dem direkten oder obliquen Widerschein herrühre. Professor Roux hatte die Gefälligkeit, mir genaue Nachbildungen der entoptischen Farbenbilder zu liefern. Beide Seiten, die helle sowohl als die dunkle, sah man nun in gesteigerter Folge nebeneinander; jeder Beschauende rief aus, daß er die Chladnischen Figuren gefärbt vor sich sehe.
Der Aufsatz Leonardo da Vincis über die Ursache der blauen Farbenerscheinung an fernen Bergen und Gegenständen machte mir wiederholt große Freude. Er hatte als ein die Natur unmittelbar anschauend auffassender, an der Erscheinung selbst denkender, sie durchdringender Künstler ohne weiters das Rechte getroffen. Nicht weniger kam die Teilnahme einzelner aufmerkender und denkender Männer. Staatsrat Schultz in Berlin übersandte mir den zweiten Aufsatz über physiologe Farben, wo ich meine Hauptbegriffe ins Leben geführt sah. Ebenso erbaute mich Professor Hegels Zustimmung. Seit Schillers Ableben hatte ich mich von aller Philosophie im stillen entfernt und suchte nur die mir eingeborne Methodik,[271] indem ich sie gegen Natur, Kunst und Leben wendete, immer zu größerer Sicherheit und Gewandtheit auszubilden. Großen Wert mußte deshalb für mich haben, zu sehen und zu bedenken, wie ein Philosoph von dem, was ich meinerseits nach meiner Weise vorgelegt, nach seiner Art Kenntnis nehmen und damit gebaren mögen. Und hierdurch war mir vollkommen vergönnt, das geheimnisvoll klare Licht als die höchste Energie ewig, einzig und unteilbar zu betrachten.
Für die bildende Kunst näherten sich dieses Jahr große Aufschlüsse. Von Elgins Marmoren vernahm man immer mehr und mehr, und die Begierde, etwas dem Phidias Angehöriges mit Augen zu sehen, ward so lebhaft und heftig, daß ich an einem schönen, sonnigen Morgen, ohne Absicht aus dem Hause fahrend, von meiner Leidenschaft überrascht, ohne Vorbereitung aus dem Stegreife nach Rudolstadt lenkte und mich dort an den erstaunenswürdigen Köpfen von Monte Cavallo für lange Zeit herstellte. Nähere Kenntnis der äginetischen Marmore ward mir gleichfalls durch Zeichnungen des in Rom mit der Restauration Beauftragten; und zu einem der herrlichsten Erzeugnisse neuerer Kunst wendete ich mich durch eine gleiche Veranlassung.
Bossis Werk »Über das Abendmahl von Leonardo da Vinci« näher zu betrachten, befähigten mich die Durchzeichnungen, welche unser Fürst aus Mailand mitgebracht hatte; Studium und Vergleichung derselben beschäftigten mich lange, und sonst war noch manches uns zur Betrachtung angenähert. Die architektonischen Überreste von Eleusis, in Gesellschaft unseres Oberbaudirektors Coudray betrachtet, ließen in eine unvergleichliche Zeit hinübersehen. Schinkels große, bewundernswürdige Federzeichnungen, die neusten Münchner Steindrücke, Tierfabeln von Menken, eine Kupferstichsammlung aus einer Leipziger Auktion, ein schätzenswertes Ölbildchen, von Rochlitz verehrt, hielten meine Betrachtung von vielen Seiten fest. Zuletzt fand ich Gelegenheit, eine bedeutende Sammlung Majolika anzuschaffen, welche ihrem Verdienst nach unter neueren Kunstwerken sich allerdings zeigen durften.[272]
Von eignen Arbeiten sag ich folgendes: Um des »Divans« willen setzte ich meine Studien orientalischer Eigenschaften immer fort und wendete viele Zeit darauf; da aber die Handschrift im Orient von so großer Bedeutung ist, so wird man es kaum seltsam finden, daß ich mich, ohne sonderliches Sprachstudium, doch dem Schönschreiben mit Eifer widmete und zu Scherz und Ernst orientalische, mir vorliegende Manuskripte so nett als möglich, ja mit mancherlei herkömmlichen Zieraten nachzubilden suchte. Dem aufmerksamen Leser wird die Einwirkung dieser geistig-technischen Bemühungen bei näherer Betrachtung der Gedichte nicht entgehen.
Die dritte Lieferung meiner Werke, neunter bis zwölfter Band, erscheint zu Ostern; das zweite »Rhein- und Main«-Heft wird abgeschlossen, das dritte angefangen und vollbracht. Die »Reise nach Neapel und Sizilien« wird gedruckt, die Biographie überhaupt wieder vorgenommen. Ich verzeichne die »Meteore des literarischen Himmels« und beschäftige mich, die »Urteilsworte französischer Kritiker« aus der von Grimmischen »Korrespondenz« auszuziehen; einen Aufsatz über die Hohlmünzen, Regenbogenschüsselchen genannt, teil ich den Freunden solcher Kuriositäten mit. Die berühmte Heilsberger Inschrift lasse ich mit einer von Hammerschen Erklärung abdrucken, die jedoch kein Glück macht.
Von Poetischem wüßt ich nichts vorzuzeigen als die »Orphischen Worte« in fünf Stanzen und einen »Irischen Totengesang«, aus »Glenarvon« übersetzt.
Zur Naturkenntnis erwähne ich hier ein bedeutendes Nordlicht im Februar.
Übereinstimmung des Stoffs mit der Form der Pflanzen belebte die Unterhaltung zwischen mir und Hofrat Voigt, dessen »Naturgeschichte«, als dem Studium höchst förderlich, dankbar anzunehmen war. An die Verstäubung der Berberisblume und der dorthin deutenden gelben Auswüchse älterer Zweigblätter wendete ich manche Betrachtung. Durch die Gefälligkeit Hofrat Döbereiners konnte ich mich der stöchiometrischen Lehre im allgemeinen fernerweit annähern. Zufällig[273] macht ich mir ein Geschäft, eine alte Ausgabe des Thomas Campanella, »De sensu rerum«, von Druckfehlern zu reinigen: eine Folge des höchst aufmerksamen Lesens, das ich diesem wichtigen Denkmal seiner Zeit von neuem zuwendete. Graf Boucquoi erfreute auch seine abwesenden Freunde durch fernere gedruckte Mitteilungen, in welchen seine geistreiche Tätigkeit uns um so mehr ansprach, als sie uns die persönliche Unterhaltung desselben wieder vergegenwärtigte.
Da aus näherer Betrachtung der Howardischen Wolkenformen hervorzugehen schien, daß ihre verschiedenen Formen verschiedenen atmosphärischen Höhen eigneten, so wurden sie versuchsweise auf jene frühere Höhentafel sorgfältig eingetragen und so die wechselseitigen Bezüge im allgemeinen versinnlicht und dadurch einer Prüfung angenähert.
Hier schließt sich nun, indem ich von Büchern zu reden gedenke, ganz natürlich die Übersetzung des indischen »Megha-Duta« freundlichst an. Man hatte sich mit Wolken und Wolkenformen so lange getragen und konnte nun erst diesem »Wolkenboten« in seinen tausendfältig veränderten Gestalten mit desto sichrerer Anschauung im Geiste folgen.
Englische Poesie und Literatur trat vor allen andern dieses Jahr besonders in den Vordergrund; Lord Byrons Gedichte, je mehr man sich mit den Eigenheiten dieses außerordentlichen Geistes bekannt machte, gewannen immer größere Teilnahme, so daß Männer und Frauen, Mägdlein und Junggesellen fast aller Deutschheit und Nationalität zu vergessen schienen. Bei erleichterter Gelegenheit, seine Werke zu finden und zu besitzen, ward es auch mir zur Gewohnheit, mich mit ihm zu beschäftigen. Er war mir ein teurer Zeitgenoß, und ich folgte ihm in Gedanken gern auf den Irrwegen seines Lebens.
Der Roman »Glenarvon« sollte uns über manches Liebesabenteuer desselben Aufschlüsse geben; allein das voluminose Werk war an Interesse seiner Masse nicht gleich, es wiederholte sich in Situationen, besonders in unerträglichen; man mußte ihm einen gewissen Wert zugestehen, den man aber[274] mit mehr Freude bekannt hätte, wenn er uns in zwei mäßigen Bänden wäre dargereicht worden.
Von Peter Pindar wünscht ich mir, nachdem ich seinen Namen so lange nennen gehört, endlich auch einen deutlichen Begriff; ich gelangte dazu, erinnere mich dessen aber nur, daß er mir wie ein der Karikatur sich zuneigendes Talent vorkam. »John Hunters Leben« erschien höchst wichtig als Denkmal eines herrlichen Geistes, der sich bei geringer Schulbildung an der Natur edel und kräftig entwickelte. Das »Leben Franklins« sprach im allgemeinen denselben Sinn aus, im besondern himmelweit von jenem verschieden. Von fernen, bisher unzugänglichen Gegenden belehrte uns Elphinstones »Kabul«, das Bekanntere dagegen verdeutlichte Raffles' »Geschichte von Java« ganz ungemein. Zugleich traf das Prachtwerk indischer Jagden, besorgt von Howett, bei uns an und half durch treffliche Bilder einer Einbildungskraft nach, die sich, ohne gerade diesen Punkt der Wirklichkeit zu treffen, ins Unbestimmte würde verloren haben. Auf Nordamerika bezüglich ward uns Vielfaches zuteil.
Von Büchern und sonstigen Druckschriften und deren Einwirkung bemerke folgendes: Hermann, »Über die älteste griechische Mythologie«, interessierte die weimarischen Sprachfreunde auf einen hohen Grad. In einem verwandten Sinne Raynouard, »Grammatik der romanischen Sprache«. »Manuscrit venu de Sainte-Hélène« beschäftigte alle Welt. Echtheit oder Unechtheit, halbe oder ganze Ursprünglichkeit wurde durchgesprochen und durchgefochten. Daß man dem Heroen gar manches abgehorcht hatte, blieb offenbar und unzweifelhaft. »Deutschlands Urgeschichte« von Barth griff in unsere Studien der Zeit nicht ein; dagegen war »Der Pfingstmontag« von Professor Arnold in Straßburg eine höchst liebenswürdige Erscheinung. Es ist ein entschieden anmutiges Gefühl, von dem man wohltut, sich recht klares Bewußtsein zu geben, wenn sich eine Nation in den Eigentümlichkeiten ihrer Glieder bespiegelt: denn ja nur im besondern erkennt man, daß man Verwandte hat, im allgemeinen fühlt man immer nur die[275] Sippschaft von Adam her. Ich beschäftigte mich viel mit gedachtem Stück und sprach mein Behagen daran aufrichtig und umständlich aus.
Von Ereignissen bemerke weniges, aber für mich und andere Bedeutendes. Seit vierzig Jahren zu Wagen, Pferd und Fuß Thüringen kreuz und quer durchwandernd, war ich niemals nach Paulinzelle gekommen, obgleich wenige Stunden davon hin und her mich bewegend. Es war damals noch nicht Mode, diese kirchlichen Ruinen als höchst bedeutend und ehrwürdig zu betrachten; endlich aber mußte ich so viel davon hören, die einheimische und reisende junge Welt rühmte mir den großartigen Anblick, daß ich mich entschloß, meinen diesjährigen Geburtstag, den ich immer gern im stillen feierte, einsam dort zuzubringen. Ein sehr schöner Tag begünstigte das Unternehmen, aber auch hier bereitete mir die Freundschaft ein unerwartetes Fest. Oberforstmeister von Fritsch hatte von Ilmenau her mit meinem Sohne ein frohes Gastmahl veranstaltet, wobei wir jenes von der schwarzburg-rudolstädtischen Regierung aufgeräumte alte Bauwerk mit heiterer Muße beschauen konnten. Seine Entstehung fällt in den Anfang des zwölften Jahrhunderts, wo noch die Anwendung der Halbzirkelbogen stattfand. Die Reformation versetzte solches in die Wüste, worin es entstanden war; das geistliche Ziel war verschwunden, aber es blieb ein Mittelpunkt weltlicher Gerechtsame und Einnahme bis auf den heutigen Tag. Zerstört ward es nie, aber zu ökonomischen Zwecken teils abgetragen, teils entstellt, wie man denn auf dem Brauhause noch von den uralten Kolossalziegeln einige, hart gebrannt und glasiert, wahrnehmen kann; ja ich zweifle nicht, daß man in den Amts- und andern Angebäuden noch einiges von dem uralten Gebälke der flachen Decke und sonstiger ursprünglichen Kontignation entdecken würde.
Aus der Ferne kam uns Nachricht von Zerstörung und Wiederherstellung. Das Berliner Schauspielhaus war niedergebrannt; ein neues ward in Leipzig errichtet. Ein Symbol der Souveränetät ward uns Weimaranern durch die Feierlichkeit,[276] als der Großherzog vom Thron den Fürsten von Thurn und Taxis in seinem Abgeordneten mit dem Postregal belieh, wobei wir sämtlichen Diener in geziemendem Schmuck nach Rangesgebühr erschienen und also auch unsrerseits die Oberherrschaft des Fürsten anerkannten, indessen im Lauf desselben Jahrs eine allgemeine Feier deutscher Studierenden am 18. Juni zu Jena und, noch bedeutender, den 18. Oktober auf der Wartburg eine ahnungsvolle Gegenwirkung verkündigten.
Das Reformationsjubiläum verschwand vor diesen frischen jüngeren Bemühungen. Vor dreihundert Jahren hatten tüchtige Männer Großes unternommen; nun schienen ihre Großtaten veraltet, und man mochte sich ganz anderes von den neuesten öffentlich-geheimen Bestrebungen erwarten.
Persönliche Erneuerung früherer Gunst und Gewogenheit sollte mich auch dieses Jahr öfter beglücken. Die Frau Erbprinzessin von Hessen wußte mich niemals in ihrer Nähe, ohne mir Gelegenheit zu geben, mich ihrer fortdauernden Gnade persönlich zu versichern. Herr Staatsminister von Humboldt sprach auch diesmal wie immer belebend und anregend bei mir ein. Eine ganz eigene Einwirkung jedoch auf längere Zeit empfand ich von der bedeutenden Anzahl in Jena und Leipzig studierender junger Griechen. Der Wunsch, sich besonders deutsche Bildung anzueignen, war bei ihnen höchst lebhaft sowie das Verlangen, allen solchen Gewinn dereinst zur Aufklärung, zum Heil ihres Vaterlandes zu verwenden. Ihr Fleiß glich ihrem Bestreben, nur war zu bemerken, daß sie, was den Hauptsinn des Lebens betraf, mehr von Worten als von klaren Begriffen und Zwecken regiert wurden.
Papadopulos, der mich in Jena öfters besuchte, rühmte mir einst im jugendlichen Enthusiasmus den Lehrvortrag seines philosophischen Meisters. »Es klingt«, rief er aus, »so herrlich, wenn der vortreffliche Mann von Tugend, Freiheit und Vaterland spricht!« Als ich mich aber erkundigte, was denn dieser treffliche Lehrer eigentlich von Tugend, Freiheit und Vaterland vermelde, erhielt ich zur Antwort, das könne er so eigentlich[277] nicht sagen, aber Wort und Ton klängen ihm stets vor der Seele nach: Tugend, Freiheit und Vaterland.
Es ist derselbe, welcher zu jener Zeit meine »Iphigenie« ins Neugriechische übersetzte, und, wunderbar genug, wenn man das Stück in dieser Sprache und in dieser Beziehung betrachtet, so drückt es ganz eigentlich die sehnsüchtigen Gefühle eines reisenden oder verbannten Griechen aus: denn die allgemeine Sehnsucht nach dem Vaterlande ist hier unter der Sehnsucht nach Griechenland als dem einzig menschlich gebildeten Lande ganz spezifisch ausgedrückt.
Eine neue angenehme Bekanntschaft machte ich an einem Fellenbergischen Gehülfen namens Lippe, dessen klare Ruhe, Entschiedenheit seiner Lebenszwecke, Sicherheit von dem guten Erfolg seiner Wirkungen mir höchst schätzbar entgegentraten und mich zugleich in der guten Meinung, so für ihn wie für das Institut, dem er sich gewidmet hatte, bestärkten. Gar mannigfaltig war ein erwünschtes Wiedersehen: Wilhelm von Schütz von Ziebingen erneuerte frühere Unterhaltungen in Ernst und Tiefe. Mit diesem Freunde erging es mir indessen sehr wunderlich: bei dem Anfange jedes Gespräches trafen wir in allen Prämissen völlig zusammen; in fortwährender Unterhaltung jedoch kamen wir immer weiter auseinander, so daß zuletzt an keine Verständigung mehr zu denken war. Gewöhnlich ereignete sich dies auch bei der Korrespondenz und verursachte mir manche Pein, bis ich mir diesen selten vorkommenden Widerspruch endlich aufzulösen das Glück hatte. Doch auch das Umgekehrte sollte mir begegnen, damit es ja an keiner Erfahrung fehle. Hofrat Hirt, mit welchem ich mich, was die Grundsätze betraf, niemals hatte vereinigen können, erfreute mich durch einen mehrtägigen Besuch, bei welchem so im ganzen Verlauf als im einzelnen auch nicht die geringste Differenz vorkam. Betrachtete ich nun das angedeutete Verhältnis zu beiden Freunden genau, so entsprang es daher, daß von Schütz aus dem Allgemeinen, das mir gemäß war, ins Allgemeinere ging, wohin ich ihm nicht folgen konnte, Hirt dagegen das beiderseitige Allgemeine auf sich beruhen ließ und[278] sich an das Einzelne hielt, worin er Herr und Meister war, wo man seine Gedanken gern vernahm und ihm mit Überzeugung zustimmte.
Der Besuch von Berliner Freunden, Staatsrat Hufeland und Langermann, Varnhagen von Ense, blieb mir, wie die Frommen sich auszudrücken gewohnt sind, nicht ohne Segen: denn was kann segenreicher sein, als wohlwollende, einstimmende Zeitgenossen zu sehen, die auf dem Wege, sich und andere zu bilden, unaufhaltsam fortschreiten?
Ein junger Batsch, an seinen Vater durch freundliches, tätiges Benehmen sowie durch übereinstimmende, gefällig-geistreiche Gestalt erinnernd, kehrte von Kairo zurück, wohin er in Geschäften europäischer Kaufleute gegangen war. Er hatte zwar treue, aber keineswegs kunstgemäße Zeichnungen von dortigen Gegenden mitgebracht, so auch kleine Altertümer ägyptischer und griechischer Abkunft. Er schien mit lebendiger Tätigkeit dasjenige im praktischen Handel wirken zu wollen, was sein Vater theoretisch in der Naturwissenschaft geleistet hatte.
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