1822

[330] Zur altdeutschen Baukunst, zur Prüfung ihres Charakters durch Schätzung ihres Sinnes, zum Begriff der Zeit, worin sie entstand, führten mich zwei bedeutende Werke. Mollers »Deutsche Baudenkmale«, deren erstes Heft nun geschlossen, lagen uns vor. Nach mehreren Probedrücken erschien auch das erste Heft des Boisseréeschen Domwerks. Ein großer Teil des Textes, den ich vorher im Manuskript studiert hatte, lag bei,[330] und die Überzeugung bestätigte sich, daß zu richtiger Einsicht in dieser Sache Zeit, Religion, Sitte, Kunstfolge, Bedürfnis, Anlage der Jahrhunderte, wo diese Bauart überschwenglich ausgedehnt in Anwendung blühte, alles zusammen als eine große lebendige Einheit zu betrachten sei. Wie sich nun an das Kirchtum auch das Rittertum anschloß zu anderm Bedürfnis in gleichem Sinne, wollte ebenmäßig wohl erwogen sein.

Die Plastik brachte wenig, aber Bedeutendes. Die kleinere Medaille mit Serenissimi Bild und der Inschrift »Doctarum frontium praemia« ward in Paris von Barre geschnitten. Ein kleiner Bacchus von Bronze, echt antik und von der größten Zierlichkeit, ward mir durch die Geneigtheit des Herrn Major von Staff. Er war auf dem Feldzuge nach Italien durch Welschland bis nach Kalabrien gekommen und hatte manches hübsche Kunstwerk anzuschaffen Gelegenheit. Meine Vorliebe für solche Werke kennend, verehrte er mir das kleine Bild, welches, wie ich es ansehe, mich zu erheitern geeignet ist.

Tischbein, aus alter guter Neigung, überraschte mich durch eine Gemme mit Storch und Fuchs, die Arbeit roh, Gedanke und Komposition ganz vortrefflich.

Ich erhalte Howards »Klima von London«, zwei Bände. Posselt schreibt eine Rezension. Die inländischen Beobachtungen gehen nach allen Rubriken fort und werden regelmäßig in Tabellen gebracht. Direktor Bischóf von Dürrenberg dringt auf vergleichende Barometerbeobachtungen, denen man entgegenkommt. Zeichnungen der Wolkengestalten wurden gesammelt, mit Aufmerksamkeit fortgesetzt. Beobachten und Überlegen gehen gleichen Schrittes, dabei wird durch synoptisch-graphische Darstellung der gleichförmige Gang so vieler, wo nicht zu sagen aller Barometer, deren Beobachtungen sich von selbst parallel stellten, zum Anlaß, eine tellurische Ursache zu finden und das Steigen und Fallen des Quecksilbers innerhalb gewisser Grenzen einer stetig veränderten Anziehungskraft der Erde zuzuschreiben.

Bei meinem diesmaligen Aufenthalt in Böhmen ward die[331] geologische Sammlung der Marienbader Gegend wieder aufgenommen und vervollständigt in bezug auf die Akten und das in den Druck gegebene Verzeichnis. In einem Schranke wurden solche, wohlgeordnet, bei der Abreise Dr. Heidler übergeben als Grundlage für künftige Naturforscher. Das Tepler Museum verehrt mir schönen Kalkschiefer mit Fischen und Pflanzen von der Herrschaft Waltsch. Angenehmes und lehrreiches Einsprechen des Herrn von Buch. In Eger traf ich den für Naturkunde aufmerksamen Herrn Rat Grüner beschäftigt, eine uralte kolossale Eiche, die quer über das Flußbett im Tiefen gelegen hatte, hervorziehen zu lassen. Die Rinde war völlig braunkohlenartig. Sodann besuchten wir den ehemaligen Kalkbruch von Dölitz, wo der Mammutszahn sich herschrieb, der, lange Zeit als merkwürdiges Erbstück der besitzenden Familie sorgfältig aufbewahrt, nunmehr für das Prager Museum bestimmt wurde. Ich ließ ihn abgießen, um ihn zur nähern Untersuchung an Herrn d'Alton mitzuteilen.

Mit durchreisenden Fremden wurde das Gesammelte betrachtet wie auch der problematische Kammerberg wieder besucht. Bei allem diesem war Dlask, »Naturgeschichte von Böhmen«, förderlich und behülflich.

Herr von Eschwege kommt aus Brasilien, zeigt Juwelen, Metalle und Gebirgsarten vor. Serenissimus machen bedeutenden Ankauf. Bei dieser Gelegenheit wird mir die Edelsteinsammlung übergeben, welche früher aus der Brückmannischen Erbschaft erkauft wurde. Mir war höchst interessant, eine solche von einem früheren passionierten Liebhaber und für seine Zeit treuen und umsichtigen Kenner zusammengestellte Folge zu revidieren, das später Akquirierte einzuschalten und dem Ganzen ein fröhliches Ansehn zu geben. Eine Zahl von funfzig rohen Demantkristallen, merkwürdig einzeln, noch mehr der Reihe nach betrachtet, jetzt von Herrn Soret nach ihrer Gestaltung beschrieben und geordnet, gab mir eine ganz neue Ansicht über dieses merkwürdige und höchste Naturereignis. Ferner teilte Herr von Eschwege brasilianische[332] Gebirgsarten mit, die abermals bewiesen, daß die Gebirgsarten der Neuen Welt mit denen der Alten in der ersten Urerscheinung vollkommen übereinstimmen; wie denn auch sowohl seine gedruckten als handschriftlichen Bemerkungen hierüber dankenswerten Aufschluß verleihen.

Zur Pflanzenkunde verfertigte ich das »Schema zur Pflanzenkultur im Großherzogtum Weimar«. Ein wunderbar gezeichnetes Buchenholz gewann ich als pathologisches Phänomen. Ein gespaltener Klotz war es von einem Buchstamme, in welchem sich entdeckte, daß vor mehreren Jahren die Rinde regelmäßig mit einem eingeschnittenen Kreuze bezeichnet worden, welches aber, vernarbend überwachsen, in den Stamm eingeschlossen, sich nunmehr in der Spaltung als Form und Abdruck wiederholt.

Das Verhältnis zu Ernst Meyer gab mir neues Leben und Anregung. Das Geschlecht Juncus, von demselben näher bestimmt und durchgeführt, bracht ich mir mit Beihülfe von Host, »Gramina Austriaca«, zur Anschauung.

Und so muß ich noch zum Schluß eines riesenhaften Cactus melocactus, von Herrn Andreä zu Frankfurt gesendet, dankbar erwähnen.

Für das Allgemeine erschienen mehrere bedeutende Werke. Die große naturgeschichtliche Karte von Wilbrand und Ritgen in bezug auf das Element des Wassers und auf Bergeshöhe, wie sich die Organisation überall verhalte. Ihr Wert ward sogleich anerkannt, die schöne augenfällige Darstellung an die Wand geheftet, zum täglichen Gebrauch vorgezeigt und kommentiert in geselligen Verhältnissen und immerfort studiert und benutzt.

Kefersteins »Geognostisches Deutschland« war in seiner Fortsetzung gleichfalls sehr förderlich und wäre es bei genauerer Färbung noch mehr gewesen. Man wird sich's in solchen Fällen noch öfter wiederholen müssen, daß da, wo man durch Farben unterscheiden will, sie doch auch unterscheidbar sein sollten.

Das vierte Heft meiner morphologischen und naturwissenschaftlichen[333] Bemühungen ward sorgfältig durchdacht und ausgeführt, da mit ihm die beiden Bände für diesmal geschlossen sein sollten.

»Die Veränderung der Erdoberfläche« von Herrn von Hoff gab neuen Reiz. Hier liegt ein Schatz, zu welchem man immer etwas hinzutun möchte, indem man sich daran bereichert.

Ich erhielt zu Anfrischung der Berg- und Gesteinlust bedeutende Pflanzenabdrücke in Kohlenschiefer durch den sorgfältigen und diesen Studien ergebenen Rentamtmann Mahr. Fichtelbergische Mineralien erhalte ich von Redwitz, manches andere von Tirol, wogegen ich den Freunden verschiedenes zusende. Herr Soret vermehrt meine Sammlung durch manches Bedeutende sowohl aus Savoyen als aus der Insel Elba und fernern Gegenden. Seine kristallographische Kenntnis war höchst förderlich in Bestimmung der Diamanten und anderer näher zu bezeichnenden Mineralien, wobei er denn die von ihm in Druck verfaßten Aufsätze willig mitteilte und besprach.

Im Chromatischen ward mir großer Gewinn, indem endlich die Hoffnung erschien, daß ein Jüngerer die Pflicht über sich nehmen wolle, dieses wichtige Kapitel durchzuführen und durchzufechten. Herr von Henning besuchte mich und brachte höchst glücklich geratene entoptische Gläser, auch schwarze Glasspiegel mit, welche verbunden durchaus alle wünschenswerten Phänomene ohne viel weitere Umständlichkeit vor die Augen bringen. Die Unterhaltung war leicht, er hatte das Geschäft durchdrungen, und manche Frage, die ihm übrigblieb, konnt ich ihm gar bald beantworten. Er erzählte von seinen Vorlesungen, wie er es damit gehalten, und zu denen er mir schon die Einleitung mitgeteilt. Wechselseitig tauschte man Ansicht und Versuche; einen älteren Aufsatz über Prismen in Verbindung mit Linsen, die man im bisherigen Vortrag zu falschen Zwecken angewendet, überlieferte ich ihm, und er dagegen regte mich an, die chromatischen Akten und Papiere nunmehr vollkommener und sachgemäßer zu ordnen. Dieses alles geschah im Herbst und gab mir nicht wenig Beruhigung.

Ein entoptischer Apparat war für Berlin eingerichtet und[334] fortgesendet, indessen die einfachen entoptischen Gläser mit schwarzen Glasspiegeln auf einen neuen Weg leiteten, die Entdeckungen vermehrten, die Ansicht erweiterten und sodann zu der entoptischen Eigenschaft des schmelzenden Eises Gelegenheit gaben.

Die »Farbentabelle« wurde revidiert und abgedruckt; ein höchst sorgfältiges Instrument, die Phänomene der Lichtpolarisation nach französischen Grundsätzen sehen zu lassen, ward bei mir aufgestellt, und ich hatte Gelegenheit, dessen Bau und Leistung vollkommen kennenzulernen.

In der Zoologie förderte mich Carus' »Urwirbel«, nicht weniger eine Tabelle, in welcher die Filiation sämtlicher Wirbelverwandlungen anschaulich verzeichnet war. Hier empfing ich nun erst den Lohn für meine früheren allgemeinen Bemühungen, indem ich die von mir nur geahnte Ausführung bis ins einzelne vor Augen sah. Ein gleiches ward mir, indem ich d'Altons frühere Arbeit über die Pferde wieder durchnahm und sodann durch dessen »Pachyderme und Raubtiere« belehrt und erfreut wurde.

Der hinter dem Ettersberg im Torfbruche gefundene Urstier beschäftigte mich eine Zeitlang. Er ward in Jena aufgestellt, möglichst restauriert und zu einem Ganzen verbunden. Dadurch kam ich wieder mit einem alten Wohlwollenden in Berührung, Herrn Dr. Körte, der mir bei dieser Gelegenheit manches Angenehme erwies.

Heinroths »Anthropologie« gab mir Aufschlüsse über meine Verfahrungsart in Naturbetrachtungen, als ich eben bemüht war, mein naturwissenschaftliches Heft zustande zu bringen.

Herr Purkinje besuchte uns und gewährte einen entschiedenen Begriff von merkwürdiger Persönlichkeit und unerhörter Anstrengung und Aufopferung.

Indem ich zu meiner eigenen Aufklärung Kunkels »Glasmacherkunst«, die ich bisher in düsterem Vorurteil und ohne wahre Schätzung betrachtet hatte, genauer zu kennen und anschaulicher zu machen wünschte, hatte ich manche Kommunikation mit Herrn Dr. Döbereiner, welcher mir die neusten[335] Erfahrungen und Entdeckungen mitteilte. Gegen Ende des Jahrs kam er nach Weimar, um vor Serenissimo und einer gebildeten Gesellschaft die wichtigen Versuche galvanisch-magnetischer wechselseitiger Einwirkung mit Augen sehen zu lassen und erklärende Bemerkungen anzuknüpfen, die bei kurz vorher erfreuendem Besuche des Herrn Professor Oersted nur um desto erwünschter sein mußten.

Was gesellige Mitteilungen betrifft, war dieses Jahr unserem Kreise gar wohl geraten; zwei Tage der Woche waren bestimmt, unsern gnädigsten Herrschaften bei mir einiges Bedeutende vorzulegen und darüber die nötigen Aufklärungen zu geben. Hiezu fand sich denn jederzeit neuer Anlaß, und die Mannigfaltigkeit war groß, indem Altes und Neues, Kunstreiches und Wissenschaftliches jederzeit wohl aufgenommen wurde.

Jeden Abend fand sich ein engerer Kreis bei mir zusammen, unterrichtete Personen beiderlei Geschlechts; damit aber auch der Anteil sich erweiterte, setzte man den Dienstag fest, wo man sicher war, eine gute Gesellschaft an dem Teetisch zusammen zu sehen; auch vorzügliche, Geist und Herz erquickende Musik ward von Zeit zu Zeit vernommen. Gebildete Engländer nahmen an diesen Unterhaltungen teil, und da ich außerdem gegen Mittag gewöhnlich Fremde auf kurze Zeit gern annahm, so blieb ich zwar auf mein Haus eingeschränkt, doch immer mit der Außenwelt in Berührung, vielleicht inniger und gründlicher, als wenn ich mich nach außen bewegt und zerstreut hätte.

Ein junger Bibliothek- und Archivsverwandter macht ein Repertorium über meine sämtlichen Werke und ungedruckten Schriften, nachdem er alles sortiert und geordnet hatte.

Bei dieser Gelegenheit fand sich auch ein vorläufiger Versuch, die Chronik meines Lebens zu redigieren, der bisher vermißt war, wodurch ich mich ganz besonders gefördert sah. Ich setzte gleich darauf mit neuer Lust die Arbeit fort durch weitere Ausführung des Einzelnen.

Van Brée aus Antwerpen sendete seine Hefte »Zur Lehre[336] der Zeichenkunst«. Tischbeins »Homer«, siebentes Stück, kam an. Die große Masse lithographischer Zeichnungen von Strixner und Piloty sonderte ich nach Schulen und Meistern, wodurch denn die Sammlung zuerst wahrhaften Wert gewann. Steindrücke von allen Seiten dauerten fort und brachten manches gute Bild zu unsrer Kenntnis. Einem Freund zuliebe erklärte ich ein paar problematische Kupfer, Polidors »Manna« und ein Tizianisches Blatt, Landschaft, Sankt Georg mir dem Drachen und der ausgesetzten Schönheit; »Mantegnas Triumphzug« ward fernerweit redigiert.

Maler Kolbe von Düsseldorf stellte hier einige Arbeiten aus und vollendete verschiedene Porträte; man freute sich, diesen wackern Mann, den man schon seit den weimarischen Kunstausstellungen gekannt, nunmehr persönlich zu schätzen und sich seines Talents zu freuen. Gräfin Julie Egloffstein machte bedeutende Vorschritte in der Kunst. Ich ließ die Radierungen nach meinen Skizzen austuschen und ausmalen, um sie an Freunde zu überlassen.

Meyers »Kunstgeschichte« ward schließlich mundiert und dem Druck angenähert. Dr. Carus gab einen sehr wohlgedachten und wohlgefühlten Aufsatz über Landschaftsmalerei in dem schönen Sinne seiner eigenen Produktionen.[337]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 16, Berlin 1960 ff, S. 330-338.
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