1764

1/1.


An Ludwig Ysenburg von Buri

Wohlgebohrner,

Insonders Hochzuehrender Herr,

Ew. Wohlgebhrn werden Sich wundern, wenn ein unbekannter sich unterstehet, bey Ihnen eine Bitte vorzubringen. Doch billig solten Sie mit allen Denjenigen, die ihre Verdienste kennen, nicht erstaunen. Da Sie wohl wissen können, daß ihre Eigenschafften selbst auch noch in fernern Ländern als wo ich wohne die Gemüther Ihnen eigen zu machen vermögend sind.

Sie sehen aus meiner Vorrede, daß ich zur Zeit, um nichts als ihre Bekanntschafft anhalte, biß Sie erfahren, ob ich werth bin, ihr Freund zu seyn, und in ihre Gesellschafft einzugehen.

Werden Sie über meine Künheit nicht unwillig, und verzeihen Sie ihr. Ich kann nicht anders, denn wenn ich auch länger schweigen und ihre große Eigenschafften insgeheim verehren wolte, wie ich bißher gethan habe, so würde mir dieses die größte Betrübtnüß von der Welt erwecken. Keiner von meinen Freunden die Sie kennen, gönnt mir dieses unschätzbare Glück. Vielleicht ist auch ein kleiner Neid Schuld daran. Aber eben fällt mir die beste Ursache ein, Sie wollen[1] keinen Menschen, der meinen Fehler hat in ihre Bekanntschafft bringen, damit Sie deswegen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Ew. Wohlgebhrn werden wißen, daß wir unsere Mängel gar gern bedecken, wenn wir einen Zutritt zu einer Persohn, die wir verehren, zu erlangen suchen. Ich aber habe es mit dem Freyer im Raabener gemein, daß ich meine Fehler voraus sage. Ich weiß zwar, daß Ihnen die Zeit bey meinem Geschwätze sehr lang werden wird, doch was hilfts, eimal müßte Sie es erfahren, entweder vor, oder nach der Bekanntschafft. Einer meiner haupt Mängel, ist, daß ich etwas heftig bin. Sie kennen ja die colerische Temperamente, hingegen vergißt niemand leichter eine Beleidigung als ich. Ferner bin ich sehr an das Befehlen gewohnt, doch wo ich nichts zu sagen habe, da kann ich es bleiben laßen. Ich will mich aber gerne unter ein Regiment begeben, wenn es so geführt wird, wie Mann es von ihren Einsichten erwarten kann. Gleich in dem Anfange meines Briefes, werden Sie meinen dritten Fehler finden. Nemlich daß ich so bekannt an Ihren schreibe, als wenn ich Sie schon Hundert Jahre kennete, aber was hilfts, diß ist eimal etwas, das ich mir nicht abgewöhnen kann. Ich hoffe Ihr Geist, der sich nicht an Kleinigkeiten, wie das Ceremoniel ist, bindet, wird mir es verzeihen, glauben Sie aber, daß ich niemals die schuldige Hochachtung außer Acht setze.

[2] Noch eins fällt mir ein, ich habe auch denjenigen Fehler mit dem vor angeführten Mann gemein, nemlich, daß ich sehr ungedultig bin, und nicht gerne lange in der Ungewißheit bleibe. Ich bitte Sie entscheiden als Sie so geschwind als es mögl ist.

Dieses sind die Haupt-Fehler. Ihr scharfsichtiges Auge wird noch Hundert kleine an mir bemercken, die mich aber dennoch, wie ich hoffe, nicht aus ihrer Gnade setzen sollen, sondern alles wird vor mich reden, und meine Fehler so wohl als mein Eifer werden Ihnen zeigen, daß ich bin und beständig bleiben werde

Meines Wohlgebohrnen und

Franckfurth

Insonders Hochzuehrenden Herrn

d. 23den May

aufrichtigst ergebener Diener

1764.

Joh. Wolfgang Goethe.


P.S. Solten Sie wegen meines Alters besorget seyn, so sag ich Ihnen zur Beruhigung, daß ich ohngefehr die Jahre des Alexis habe. Ich beschwere mich sehr über Ihn, daß Er mich bißher von einem Tag zum andern vertröstete, mich in ihre Bekanntschaft zu bringen. Belieben Sie wie ich hoffe und Sie inständigst darum ersuche, mich mit einem Rück-Schreiben zu beehren, so haben Sie die Gütigkeit, und setzen mei nen vornahmen auf die Addresse. Ich wohne auf dem grosen Hirsch-Graben. Leben Sie wohl.[3]


1/2.


An Ludwig Ysenburg von Buri

Mein Herr.

Ich will alle meine Entzückungen und alle meine Freuden versparen, biß ich die Ehre habe Ihnen zu sehen, denn meine Feder ist sie nicht vermögend auszudrucken. Sie sind allzugütig gegen mich, da Sie mir sobald Hoffnung machen, in ihre Gesellschaft einzutretten, da ich dieses Glück weit von mir entfernt zu seyn glaubte. Ich bin Ihnen sehr davor verbunden.

Alexis ist einer meiner besten Freunde. Er kann Ihnen gnug aus der Erfahrung erzehlen. Ich habe Ihm eingebunden, alle nur mögliche Wahrheiten zu bekennen. Er soll keinen von meinen Fehlern auslaßen, aber auch mein Gutes nicht verschweigen. Mit allem dem aber bitte ich, daß Sie sich selbst die Mühe geben möchten, mich zu prüfen, denn so klug Alexis auch ist, so könnte ihm doch etwas verborgen bleiben, das Ihnen unangenehm seyn möchte. Ich gleiche ziemlich einem Camaeleon. Ist nun meinem Alexis zu verdencken? Wenn Er mich noch nicht von allen Gesichts-Puncten betrachtet hat. Genug hiervon.

Sie mögen sich aufs leugnen legen, wie Sie wollen, so verrathen Sie sich gar balde. Sie sprechen sich Vollkommenheiten ab, und eben in dem Augenblicke leuchten solche aus ihren Handlungen hervor.

[4] Ihre Vorsichtigkeit ist lobenswürdig. Fern daß Sie mich beleidigen sollten, so ist sie mir vielmehr angenehm, und dienet vielleicht gar zu meinem Ruhm. Wäre ihre Gesellschafft so beschaffen, daß jeder dem es einfiele, ohne Untersuchung hineinkommen könnte, wenn er sich nur meldete, sollte es gleich der größte Dumm-Kopf seyn. Wäre dieses wohl eine Ehre vor mich? O nein! Aber da Sie erst wählen, prüfen und untersuchen, so gereichet mir dieses zur grösten Freude, wenn Sie mich ia noch einnehmen solten. Sie vergleichen sich mit dem Herrn von Abgrund, aber dieses Gleichnüß ist falsch, und zwar sehr falsch. Gehen Sie die ganze Person durch, und halten Sie sich dargegen, so werden Sie lauter Merckmahle finden, die nicht miteinander übereinstimmen. Er macht ein Geheimnüß aus einer Sache, die es nicht ist, und ist in dem übertriebensten Grade mißtrauisch, Sie aber sind es mit Recht. Daß Ihre Vorsicht im geringsten nicht übertrieben ist, will ich mit einem Beyspiel beweisen.

Wir haben viele Dumm-Köpfe in unsrer Stadt, wie Ihnen ohne Zweifel gar wohl bewust seyn wird. Gesetzt nun, einem solchen fiele ein, in Ihre Gesellschaft zu tretten. Er ersucht seinen Hofmeister, ihm einen Brief aufzusetzen, und zwar einen allerliebsten Brief. Dieser thuts, der iunge Herr unterschreibt sich. Da durchbekommen Sie einen hohen Begriff von seiner Gelahrtheit, und nehmen ihn ohne Untersuchung[5] auf, wenn Sie ihn beym Lichte betrachten, so finden Sie, daß Sie statt eines Gelehrten, Ihre Gesellschafft mit einem Rinds-Kopf vermehret haben. Das ist unverantwortlich! Es ist nun gar möglich daß ich auch ein solcher bin, Ihre Vorsichtigkeit ist also wohl angewandt.

Vor diesmal schreibe ich nichts mehr, als nur noch die allergewißeste Versicherung, daß ich bin, und immer bleiben werde

Frankfurth

den 2ten Junii

1764.

Meines Herrn

ergebenster Diener

Joh. Wolfg. Goethe.[6]


2/2a.


An Ludwig Ysenburg von Buri

Ich bin meinem Freude sehr verbunden, daß er ihnen eine so vorteilhafte Meynung von mir beygebracht hat. Wenn sie mich sehen und dieselbe beybehalten so soll es mir angenehm seyn. Ich fürchte sehr daß mein äußerliches – doch was hat man nötig von sich selbst zu schwäzen. Sie werden mich schon sehen. Dennoch wünsche ich daß es geschähe ehe ich aufgenommen würde. Da es aber nicht wahrscheinlich ist, daß sie so balde zu uns kommen und noch unwahrscheinlicher daß sie mich balde bey ihnen sehen, so wollte ich anfragen, ob sie es nicht vor genehm hielten einen Ort der zwischen uns beyden ist zu bestimmen wo wir uns mit einander besprechen könnten. Dieses mein Herr ist nur, ein ohngefährer Vorschlag den sie nach abschlagen können.

Nun will ich das was die Gesellschaft über mich verhänget erwarten. Nun will ich gebeten haben das sie mich manchesmahl wenn es ihre Geschäfte zu lassen mit einigen Zeilen vergnügen. Und wenn sie auch[3] gleich nichts anders zu schreiben als wie sie sich befinden: so wird es dennoch stets angenehm seyn dem der stets bleiben wird

Mein Herr

dero

aufrichtigst ergebenster

Diener

Ffurt den 6. Juli 1764.

J. W. Göthe[4]


Quelle:
Goethes Werke. Weimarer Ausgabe, IV. Abteilung, Bd. 1.
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