[528] Erste Dekoration des ersten Akts.
Sternenhelle Nacht.
Miranda. Fernando.
Miranda sitzt bey Maja's Grabe, und zählt, während des Ritornells, die Korallen aus dem Beutel in ihren Schoos. Fernando, von ihr ungesehen, sitzt auf einem Block, mit dem Rücken gegen einen Baum, und zählt die Korallen aus dem Beutel in ein, über seine Knie gebreitetes, weisses Tuch.
Duo.
MIRANDA.
Traurige Korallen
Zählen soll ich euch!
Doch wer zählt die Thränen,
Die, vermischt mit euch,[528]
In den Schoos mir fallen?
Traurige Korallen,
Zählen soll ich euch!
Eins, zwey, drey – acht, neun, zehn –
Fährt leise fort zu zählen.
FERNANDO.
Wer euch zählt, Korallen,
Zählt der Wüste Sand;
Ach! benetzt von Thränen,
Läßt die matte Hand
Unbewußt euch fallen.
Wer euch zählt, Korallen,
Zählt der Wüste Sand.
Eins, zwey, drey, – acht, neun, zehn –
Fährt leise fort zu zählen.
ZUSAMMEN.
Halt! wo blieb ich stehn?
Schon ist mirs entfallen –
Traurige Korallen!
Acht – neun – zehn –
Fahren beyde fort, leise zu zählen.
MIRANDA.
Laute Seufzer wallen
Durch die öde Luft.[529]
FERNANDO.
Trauertöne hallen
Durch die öde Luft.
Ach, Miranda!
MIRANDA.
Ach, Fernando!
ZUSAMMEN.
Horch Fernando / Miranda ruft!
FERNANDO.
Ach, Miranda!
MIRANDA.
Ach, Fernando!
FERNANDO.
Klagst du auch?
MIRANDA.
Ich klage!
FERNANDO.
Rufst du mir?
MIRANDA.
Ach nein!
FERNANDO.
Sanfter tönt die Klage,
Stimmt ein Herz mit ein.[530]
MIRANDA.
Jedes von uns trage
Seinen Schmerz allein.
FERNANDO.
Einsamkeit ist Pein.
MIRANDA.
Einsam muß ich seyn.
Kurze Pause, das Theater verfinstert sich.
FERNANDO kömmt schnell hervor, und wirft sich ihr zu Füßen.
Mag ichs büssen
Mit dem Leben;
Dir zu Füssen,
Sterb' ich gern!
MIRANDA steht erschrocken auf, und will entfliehen.
Mit dem Leben
Werd' ich's büssen;
Sieh mich beben!
Bleibe fern!
Blitz und Donner. Miranda flieht betäubt in die Zelle; Fernando in heftiger Bewegung ab.
[531]
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro