Rual li Foitenant.

[20] Trauer und stäte Treu,

Nach Freundes Tode neu,

Da bleibt der Freund stets neu,

Das ist die größte Treu.

Wenn Einer einen Freund betrauert,

Wenn Treue nach dem Tode dauert,

Das geht vor allem Lohne,

Das ist der Treue Krone.

Und diese Krone tragen,

Wie uns die Mären sagen,

Der Marschall und sein hohes Weib,

Die Eine Treue und nur Ein Leib

Beides gewesen vor Gott und Welt,

Und deß ein Vorbild aufgestellt

Vor Welt und Gott, zur Zeit der Noth,

Da sie Beide nach Gottes Gebot

Gänzliche Treu bewiesen

Und sie nicht wanken ließen,

Und hielten sie ohne Wende

Bis an ihr Beider Ende.

Sollte Jemand auf Erden

Um der Treue willen werden

Zum König oder zur Königin,

Fürwahr, da taugten wohl diese hin,

Als ich euch von den Beiden

Wahrhaftiglich mag bescheiden,

Was er und sie für Treu bewies.

Als Riwalin sein Leben ließ

Und Blancheflur begraben war,

Da ging's dem Kind, das sie gebar,

Dem Unglückskinde dennoch wohl

Als einem, der vorwärts kommen soll.

Der Marschall und die Marschallin

Nahmen das kleine Waislein hin

Und bargen's im Geheimen da,

Wo keines Menschen Aug es sah.

Sie sagten aus und hießen sagen,

Die Herrin habe ein Kind getragen,

Das sei in ihr und mit ihr todt.

Da ward von der dreifachen Noth

Des Landes Klage größer denn eh,

Dreifache Klage, dreifaches Weh,

Klage, daß Riwalin erstarb,

Klage, daß Blancheflur verdarb,

Klage auch um das Kindelein,

Das ihr Trost und Freude sollte sein,

Daß das verdorben wäre.

Zu aller dieser Schwere

Ging ihnen noch der Schrecken

Vor Morgans Hand, des Recken,

So nah als ihres Herren Tod;

Denn dieses ist die größte Noth,

Die man auf Erden haben mag,

Wenn einem Manne Nacht und Tag

Der Todfeind vor den Augen steht;

Das ist die Noth, die nahe geht,

Und ist wohl ein lebendiger Tod.

In aller dieser lebenden Noth

Ward Blancheflur zu Grab getragen.

Viel Jammer und viel Weheklagen

Erhob sich über ihrem Grab.

Nun mögt ihr wissen kurz, es gab

Des Jammers viel und nur allzu viel.

Ich aber soll und kann und will

Eure Ohren nicht beschweren

Mit gar zu kläglichen Mären,

Weil es den Ohren mißbehagt,

Wo man zu viel von Klagen sagt;

Das Beste nicht im Werthe bleibt,

Sobald es Einer übertreibt.

Darum so lassen wir langes Klagen

Und fleißen uns, euch anzusagen

Von dem verwaisten Herrenkind,

Um das die Mären erhoben sind.

In dieser Welt das Glücke

Geht oft und viel zurücke,

Und aber kommt's zurücke

Wieder zu gutem Glücke.

Der biedre Mann am bösen Tag,

Wohin es ihn auch führen mag,

Gedenke, wie ihm werde Rath:

Dieweil und er das Leben hat,

So soll er mit den Lebenden leben,

Ihm selber Trost zum Leben geben.[21]

So that der Marschall Foitenant.

Da es um ihn besorglich stand,

So bedachte er mitten in der Noth

Des Landes Schaden, den eignen Tod:

Da ihm's gebrach an Waffenmacht,

Er nicht vermochte mit einer Schlacht

Sich wider den Feind zu fristen,

So that er es mit Listen.

Er brachte die Herren all zu Hand

Aus seines Herren ganzem Land

Und sprach und hieß die Waffen ruhn;

Auch gab es ihnen nichts zu thun,

Als flehn und sich ergeben:

Sie ergaben Gut und Leben

Zu Herzog Morgans Hulden;

Haß, Mord und andre Schulden,

Und was feindlich gehandelt sei,

Das legten sie alles weislich bei,

Und also erhielten sie Leut und Land.

Der getreue Marschall Foitenant

Fuhr heim und sprach sein hohes Weib

Und befahl ihr an auf Seel und Leib,

Sich in das Bett zu legen,

So wie die Weiber pflegen,

Wenn sie in Kindesnöthen sind;

Und daß sie dann dasselbe Kind,

Wenn's an der Stunde wäre,

Mit allem Schein gebäre,

Das Waisenkind von Riwalin.

Die gesegnete Marschallin,

Die gute, die stete,

Die reine Florete,

Weiblicher Ehren ein Spiegel rein,

Rechter Güte ein Edelstein,

Die war gar leicht zu dem gebracht,

Was edel ist und Ehre macht:

Sie stellte sich mit Sinn und Leib

Zu Wehen an recht wie ein Weib,

Die eines Kindes soll genesen.

Ihre Kammer und all ihr Wesen

Hieß sie zu heimlichen Sachen

Richten und fertig machen;

Und da sie alles kannte wohl,

Wie man sich da gebaren soll,

So ahmte sie Wöchnerinnen nach

Und heuchelte groß Ungemach,

Wehleiden an Seel und Leibe

Und that gleich einem Weibe,

Die solcher Zeit entgegengeht

Und deren Wesen gänzlich steht

Auf Nöthen, wie dergleichen sind.

Da ward zu ihr gelegt das Kind

Gar heimlich und verstohlen,

Vor Jedermann verhohlen,

Der Ammen einer nur bekannt.

Bald ging die Märe durch das Land,

Es liege der Weiber Krone

Darnieder mit einem Sohne.

Es war auch wahr, und that sie so:

Sie lag allda des Sohnes froh,

Der ihrer mit Sohnestreue pflag

Bis an ihr Beider Endetag.

Das süße Kind trug gegen ihr

So süße kindliche Begier,

Wie nur ein Kind zur Mutter soll,

Und das war rechtgethan und wohl.

Auch stellte sie auf ihn ihr Herz

Mit Mutterlieb und Mutterschmerz

Und hielt daran mit allen Treun,

Als hätte sie ihn der Monde neun

Unter dem Herzen getragen.

Wir hören die Märe sagen,

Es habe kein Paar nicht vor, noch seit

Mit solcher Lieb und Lauterkeit

Erzogen ihres Herren Sohn;

Auch zeugt hernach die Märe davon

Und läßt uns unverborgen,

Wie väterliche Sorgen

Und Mühsal, Angst und Leids genug

Um ihn der treue Marschall trug.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 20-22.
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