Fünfte Szene

[410] Andere Gegend des preußischen Feldlagers. Abenddämmerung.

Ein Bataillon freiwilliger Jäger in Reih und Glied.


DER MAJOR. Es fehlt niemand – – Büchsen ab – Aus dem Glied getreten und an den Wachtfeuern ausgeruht, bis das Flügelhorn ruft.

ERSTER JÄGER. Herr Major, setzen Sie sich in den Kreis, der sich um dieses Wachtfeuer lagert. Er enthält Ihre besten Bekannten.

MAJOR. Gern, Brüder, deren Major zu sein, mir die höchste Ehre ist. – Wann auch wohl säh man sich so gern bei dem Schein der geselligen Flamme noch einmal gegenseitig in das befreundete, lebensfrische Antlitz als am Vorabend der Schlacht?


Major und sechs Jäger setzen sich um das Feuer.


VIERTER JÄGER. Freunde, denken wir unserer Lieben – Wie mancher zärtliche, besorgte Blick von Müttern, Schwestern, Bräuten richtet sich hieher!

MAJOR. Mit ihnen das Auge des Königs.

DRITTER JÄGER. So umwölke der Himmel seine Sterne noch dichter als er schon tut, – uns leuchten bessere Sonnen als er besitzt.

ERSTER JÄGER. Große Augenblicke erwecken große Erinnerungen: es war doch eine wundervolle, alles entflammende Zeit, als wir im Februar 1813 den Aufruf des Königes vernahmen und sofort Breslaus Straßen zu eng wurden für unsere bis zum Tode für das Vaterland begeisterten[410] Scharen, – als wir dann in den furchtbaren Schlachten von Lützen und Bautzen zurückgedrängt, aber nicht besiegt, sondern immer kühner, immer stolzer wurden, als selbst Rußlands Kaiser mit seinen Veteranen von Eylau und Borodino, denen wir die Ehre des Vorkampfes nicht gönnten, uns als staunende Zuschauer ihr bewunderndes Hurra zurufen mußten – Welchen Klang hatten da alle großen Worte!

ZWEITER JÄGER. Ja, das ganze Heer war wie elektrisch, – Berliner und Schlesier, Pommer und Märker, alle Eine freudige, aber übergewaltige Glut, sowie es hieß »auf den Feind!«. – Jetzt ists ziemlich anders: die Feigheit unserer Diplomaten ließ auf Wiens Kongresse sich die Früchte unserer Tapferkeit rauben. Hielt man den Kongreß im Feldlager der siegenden Nationen, so möchte für die Souveränität Kniphausens und für Aufbewahrung manches anderen Drecks nicht so außerordentlich besser gesorgt sein, als für das Interesse Europas, und insbesondere Preußens. Wir Preußen opferten das meiste, den größten Lohn erhielten die anderen.

MAJOR. Was bedeutet der Quadratmeilengewinn gegen die Sternenkrone, die das dreimal erneuerte, aber dreimal wieder mit ihr geschmückte Preußenheer der beiden vergangenen Jahre umflicht? Die Lappen von Ländereien, welche Österreich, Rußland, England und Holland sich anflickten, fallen einstens doch ab, aber wahrlich die blutroten Arkture der Schlachten, in denen wir vor allen die Kette des Weltherrschers zerreißen halfen, funkeln noch nach Jahrhunderten vom Himmel, und zeigen, wenn Preußen längst so untergegangen, den spätesten Geschlechtern – die Stellen wo es prangte.

SECHSTER JÄGER. Das, Herr Major, hilft alles nichts gegen den Spruch »besser ist besser«, und besser war es, wenn Preußen, wenn Deutschland sich mehr konsolidierten.

FÜNFTER JÄGER. Alter Bruder Studio, ich sags auch: Ruhm ist gut, ein fideler Bursch ist auch gut, aber ein rundes Stück Land hält den Ruhm, ein rundes Stück Geld den Burschen am besten zusammen.

ZWEITER JÄGER. Denken Sie an sich selbst, Herr Major – Goldnere Träume als die jetzigen, umglänzten uns, als wir mit hochschlagender, in der Hitze der Schlacht entblößter[411] Brust, durch die Gärten von Leipzig dem Feinde in die Flanken drängten – Preußens Hoheit, der Kaiserthron Deutschlands, dem sie als schützender Cherub zur Seite stand, warfen ihre Strahlen mitten durch den Qualm der Geschütze. Der Rhein war wieder frei und deutsch, wie er geboren, in der Mosel und der Maas spiegelten sich nur deutsche Gauen, – das schöne Elsaß, das freundliche Lothringen, das herrliche Burgund mit seinen sonne- und weinglühenden Gebirgen, – wie grüßten wir sie schon als zurückgewonnene Glieder deutscher Genossenschaft! – Und dermalen?

MAJOR. Unser König ist nicht schuld, ward nicht alles, wie wir wollten. Er wollte wie wir.

FÜNFTER JÄGER. Er hätte seinen Willen nur durchsetzen und den Augenblick ergreifen sollen, – nichts in der Welt konnte ihn damals hindern, und hätt er auch die vom sonst so bedenklichen Österreich so leichtsinnig aufgegebene römisch-deutsche Krone als ein herrenlos gewordenes Gut in Besitz genommen und sich auf das Haupt gedrückt.

DRITTER JÄGER. Er konnt es wagen, – wir wären gern für ihn gefallen, und Hunderttausende mit uns.

MAJOR. Wer fiele nicht gern für einen Herrscher, so ritterlich, gerecht und edel als Er?

SECHSTER JÄGER. Ja, Napoleon ist auch groß, ist riesengroß, – aber er ist es nur für sich, und ist darum der Feind des übrigen Menschengeschlechtes, – unser König ist es für alle.

MAJOR. Marketenderin!


Marketenderin kommt.


Führst du einige Flaschen erträglichen Weines? – Guten hast du nicht, und kannst ihn im Felde nicht haben.

MARKETENDERIN. Herr Major, ich hole Ihnen doch vier bis fünf sehr gute Flaschen.


Sie geht.


MAJOR. Kinder, noch einmal wechselseitig die Hand – Männerfreundschaft in der Lust wie in dem Kampf – Es gibt nichts Höheres. – Da – da – Ihr verbeißt Tränen – Laßt sie rinnen – sie fließen edlen Abschiedsgefühlen, – wer sich deren schämt, wer die nicht besitzt, hat sie aus der Brust verbannt, weil er sich davor fürchtet.

ZWEITER JÄGER. So kalt der Regen zu tröpfeln beginnt, so[412] rauh der Wind weht, so nahe der korsische Löwe liegt, und vermutlich schon auf den Hinterfüßen steht, und die Vordertatzen nach uns ausreckt, – wahrhaftig, mir ists hier wohler um das Herz, als wenn ich in der gut geheizten Stube am Teetisch sitze, daselbst Geschwätz vernehme, was die Sekunde darauf vergessen ist, oder gar selbstgefällige belletristische Vorlesungen anhöre, bei denen ich mein Aufgähnen in Bewunderungsausrufungen verstecken muß.

FÜNFTER JÄGER. Überleb ich diesen Feldzug, so wird mir das Andenken an euch manche flaue Teevisite, in der ich sonst nichts gefühlt hätte, sehr heiß machen.

MAJOR. Was bloß Teevisiten! Nicht nur bei ihnen, – auch in Sturm und Not, unter Kanonenkugeln und unter Friedenssonnen, vor dem Trauungsaltar und vor dem Grabeshügel, brenne in unseren Brüsten im ersten Glanze stets der Name eines jeden von uns – Seht, die Marketenderin hat den Wein gebracht, und er ist unendlich trefflicher als ich vermutete – das Weib ist eine brave Seele, sie kennt unsere Art, und hat für einen Augenblick wie den gegenwärtigen trefflichen Hochheimer aus dem Mutterfäßchen aufgespart. – Angestoßen!

ZWEITER JÄGER. Zuerst denn: »die Toten sollen leben«, und über alle hinaus die auf den Schlachtfeldern von 1813 und 1814 hingesunkenen vaterländischen Helden!

MAJOR. »Die Toten sollen leben«, und mit ihnen der, welcher es schrieb: der erhabene, wetterleuchtende Schiller!

ALLE. Schiller hoch!

FÜNFTER JÄGER. Schillers Jünger nicht vergessen, der grade durch seinen Tod bewies, daß er ihm nicht nachklimperte, sondern nachfühlte.

MAJOR. Theodor Körner, hoch trotz seiner ofenhockerischen Rezensenten!

ERSTER JÄGER. Wie wär es, wir sängen seine wilde Jagd?

MAJOR. Ein herrlicher Einfall – Die Hornmusik des Bataillons begleite uns!


Die Hornisten des Bataillons treten herbei.


Angefangen!

MAJOR UND JÄGER singen, unter Begleitung der Hörner.

»Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein?[413]

Hör's näher und näher erbrausen.

Es zieht sich herunter in düsteren Reihn,

Und gellende Hörner schallen darein,

Und erfüllen die Seele mit Grausen.

Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt,

Das ist Lützows wilde verwegene Jagd!«

VIERTER JÄGER. Wer ließe sich nicht gern von Kartätschen zerschmettern bei diesem Liede und seiner Musik?

MAJOR UND JÄGER.

»Was zieht dort rasch durch den finstern Wald,

Und streift von Bergen zu Bergen?

Es legt sich in nächtlichen Hinterhalt,

Das Hurra jauchzt, und die Büchse knallt,

Es fallen die fränkischen Schergen.

Und wenn ihr die schwarzen Jäger fragt,

Das ist Lützows wilde verwegene Jagd.


Wo die Reben dort glühen, dort braust der Rhein,

Der Wütrich geborgen sich meinte,

Da naht es schnell mit Gewitterschein,

Und wirft sich mit rüstgen Armen hinein,

Und springt ans Ufer der Feinde.

Und wenn ihr die schwarzen Schwimmer fragt,

Das ist Lützows wilde verwegene Jagd.


Was braust dort im Tale die laute Schlacht,

Was schlagen die Schwerter zusammen?

Wildherzige Reiter schlagen die Schlacht,

Und der Funke der Freiheit ist glühend erwacht,

Und lodert in blutigen Flammen.

Und wenn ihr die schwarzen Reiter fragt,

Das ist Lützows wilde verwegene Jagd –«

BLÜCHER kommt, zu Fuß, von einigen Adjutanten begleitet. Recht, Kinder – ihr haltet mit eurem Singen und Musizieren das Lager wacher als ich mit zwanzig Tags- und Nachtbefehlen.

DER MAJOR UND DIE JÄGER springen auf. Der Feldmarschall hoch, und noch einmal und tausendmal hoch!


Tusch der Hörner.


BLÜCHER. Danke, danke, – ich bitte, hört nur wieder auf, – still die Hörner, – es ist genug.[414]

DER MAJOR. Ich muß gestehen, Feldherr, wir haben eben bei unseren Toasten an alle Welt gedacht, und Sie, das uns Nächste, Liebste vergessen.

BLÜCHER. Major das nehm ich nicht übel. Man sucht zuerst das, was man nicht bei der Hand hat. – Burschen, bleibt morgen so lustig wie heute.


Ein preußischer Unteroffizier und mehrere Gemeine treten auf mit dem General Grafen Bourmont und einem Adjutanten desselben.


DER UNTEROFFIZIER. Herr Feldmarschall –

BLÜCHER. Was bringst du?

UNTEROFFIZIER. Zwei Franzosen.

BLÜCHER. Weiter nichts?


Er blickt seitwärts über die Achsel nach Bourmont und dessen Adjutanten. – Dann zu den Jägern.


Man wird finster, wird man in eurer heiteren Gesellschaft durch solchen Anblick gestört. Zu Bourmont. Wer sind Sie und Ihr Nebenmann?

BOURMONT. Er ist mein Adjutant, und ich, Herr Feldmarschall, erscheine hier freiwillig, und bin Graf Bourmont, General im sogenannten kaiserlichen Heere –

BLÜCHER. Demnach nunmehr ein Überläufer aus demselbigen Heere?

BOURMONT. Ich werde Ihnen alle Operationspläne Bonapartes entdecken.

BLÜCHER. Französische Entdeckungen mag ich nicht, – überdem sehen Sie grade nicht darnach aus, als hätt er Ihnen viel von seinen Operationen zum besten gegeben.

BOURMONT. Solchen Empfang hätten treue Diener König Ludwigs des Achtzehnten, für den auch Sie kämpfen, für den auch wir mit Ihnen und Ihren Truppen streiten wollen, nicht erwartet.

BLÜCHER. Kennen Sie Deutschland?

BOURMONT. Ich habe Achtung für die lobenswürdige, loyale Nation, welche es bewohnt.

BLÜCHER. So wissen Sie denn, Herr Graf, wenn wir kämpfen, so kämpfen wir just für dieses Land mit der von Ihnen geachteten, lobenswürdigen, loyalen Nation, – unser Blut opfern wir, daß nicht abermals ein Tyrann, wie Bonaparte es ist, von seinen Biwaks aus uns und die Welt wie Negersklaven kommandiert, – aber Gott soll uns behüten, daß[415] wir für Ihren Sire Louis dix-huit, den ich, als er emigriert war, in Hamm samt seinen Mätressen, recht gut kennen und schätzen lernte, nur an ein Degengehenk faßten, – unsrethalb mag er auf Frankreichs Thron oder auf seinem Nachtstuhl sitzen, Kirschen oder Roastbeef essen, – abscheulich, wenn das Blut, welches wir verlieren, bloß für Herrn Ludwig den Achtzehnten hingeströmt sein sollte.

BOURMONT. Ich ersuche, mich sofort in das englische Lager bringen zu lassen, Herr Blücher.

BLÜCHER. Ich heiße Blücher, Fürst von Wahlstadt, bin königlich preußischer Feldmarschall, duze mich gern mit jedem braven deutschen Füselier, aber mit Ihnen und Ihresgleichen nicht, – verlange daher von Ihnen die geziemende Titulatur oder es –

BOURMONT. Eure Durchlaucht, es war verzeihliche Unvorsicht, wenn ich –

BLÜCHER. Schon gut. Machen Sie Ihre Unvorsicht durch einen Schwanz von Entschuldigungen nur nicht länger.


Zu dem Unteroffizier und dessen Soldaten.


Schafft den Herrn mit seinem Begleiter zu den Engländern, und meldet dem Wellington dabei, es wäre mir eins, ob er sie zu König Ludwig schickte oder sie festhielte, – aber weder er noch ich dürften Überläufern trauen.

BOURMONT. Ha!

BLÜCHER. Pah! Zu den Jägern. Kinder, singt wieder darauf los!


Bourmont und sein Adjutant werden fortgeführt.

Blücher mit seiner Begleitung ab.


DRITTER JÄGER. Wetter, der Feldmarschall ist ein Mann von Schrot und Korn. Wie schrumpften die beiden Franzosen zusammen, als er mit dem Fürsten Wahlstadt herausrückte.

SECHSTER JÄGER. Ja, und er ist darum so tüchtig, weil seine Nase im Feuer der Schlacht nicht weiß wird, – weil er immer gradeaus sieht, wo andere links und rechts die Augen verdrehen, – weil er dem Napoleon ohne Furcht auf den Leib geht, und dabei denkt: »hab ich dich, pack ich dich«, – weil er die Franzosen so offenbar haßt, als er die Deutschen liebt, – und kurz und wahr: Blücher ist ein rascher Mann, der mehr als ein anderer 1813 und 1814 dem Korsen das Genick brach, weil er so ehrlich und kühn in die Welt sah, wie der Korse verschmitzt und verwegen.[416]


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 410-417.
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