I.

Hannibal ante Portas!

[89] Karthago.

Saal im Hause der Alitta.

Alitta und Brasidas.


BRASIDAS. Du liebst mich?

ALITTA. Ewiges Gefrag. Muß ich stündlich wiederholen, was man kaum sagt, ohne die Tiefe des Herzens zu entweihn?

BRASIDAS. So werde mir wieder ein heiterer Stern!

ALITTA. Ich? Die Waise?

BRASIDAS. Nicht das – Hat Dir auch die Pest furchtbar rasch die Eltern entrissen, Dir blieb –

ALITTA. Was?

BRASIDAS. Der Freund. Und Karthago, die allgemeine Mutter.

ALITTA. Ja, Die! von Stein, mit einer Menge teilnahmloser Geschwister! – Ach, nichts Schrecklicheres als des Hauses einzige Tochter mit ihren Tränen an der Bahre der Eltern, und Millionen Volks draußen im fremden Getrieb: ein Totenlichtlein in wüster, weiter Nacht!

BRASIDAS. Zerstreue –

ALITTA. Des kleinlichen Worts!

BRASIDAS. Laß uns die alten Abende erneun, wo wir hier saßen, von Hannibal sprachen und seinen Siegen.

ALITTA. Die beiden Sessel sind leer, in welchen die Eltern dabei saßen – – Doch! wie? – Du sprichst von dem Schwarzgelben vor Rom? Was aber tust Du?

BRASIDAS. Du zürnst? so plötzlich? Ich zittre!

ALITTA. Vor der Stirnfalte eines Mädchens? Nun ists mir klar.

BRASIDAS. Was?

ALITTA. Das Rätsel wär einem echten Manne nicht schwer.[89] Erbebst Du vor dem Stirnfalten der Geliebten, wie eher vor den Toren Roms!

BRASIDAS. Ha!

ALITTA. Zu den Stutzern, zu dem Ungeziefer erniedrigst Du Dich, das sich hier auf den Gassen brüstet, sie beschmutzt, wie Fliegen die Teller, welche an den Siegen mäkeln, bei denen mitzufechten sie sich gehütet. Der Schützer, Sieger, brauch ich ihn zu nennen? Hannibal, schändlich wird er unterstützt. Nicht zweitausend Bürger sind bei ihm, mit Negern, Nomaden, Gesindel jeder Art muß er sich von Sieg zu Sieg quälen, ohne Frucht und ohne Dank. – Sei besser, gib ein Beispiel, freiwillig zu ihm, und kämpf ihm zur Seite!


Sie ringt die Hände.


Heilige Astaroth, was hab ich gesagt!

BRASIDAS. Die Wahrheit. Ich schwelgt in Liebe und vergaß, sie zu verdienen. Noch heut reis ich ab.

ALITTA. Und willst mich lieben?

BRASIDAS. Gebotest Du die Reise nicht selbst?

ALITTA. Weiß nicht – Du, durchbohrt von den römischen Speeren – –

BRASIDAS. Wir haben einen tötenden Sandstaub vor uns: balearische Schleuderer und numidische Reiter, und die Römer müssen die Augen waschen, bevor sie zielen.

ALITTA. Nein – ich ahne – höre! – Rom ist mir im Traum erschienen, vorige Nacht, glaubs! Es leuchtete mit seinen Ziegeln: eine rote Sonne, alles verschwemmend! – Dann wieder wars 'ne Wölfin, mit Augen, groß, weit, wie das Meer, wenn es sich mit seinen stillen Tiefen nach dem Sturm hinsehnt, und in den Augen lagen versunkene Städte!

BRASIDAS. Weg mit Wolfstraum und roten Sonnen – Gibts nicht auch schwarze? Dunkelt Hannibal nicht so um Italien?

ALITTA. – Mitternächte sind lieblich, und die lieblichste – hast sie doch nicht vergessen?

BRASIDAS. Ewig durchspiegeln ihre Gestirne mir die Brust! Du sagtest zum ersten Mal: »Dein!« –

ALITTA. Nicht? Du bleibst also?

BRASIDAS. Bin ich Deiner wert, wenn ich nicht kämpfe?

ALITTA. Nun und nimmer!

BRASIDAS. So nehm ich diesen Kuß auf Deinen Busen mit[90] in das Feld, und oft noch wird er mich wärmen, lieg ich zeltlos in kalter Nacht!

ALITTA. Unverschämt!

BRASIDAS. Ich habe meine Lippen geheiligt, nie tönt von ihnen ein schlechtes, ein falsches Wort! Leb wohl! Ab.

ALITTA. Träum ich?


Sie drückt an ihre Stirn.


Wach auf! – – Er, fort zum Schiff?


Am Fenster.


Weh, dort spannen sich schon die Segel – Träger, Sklaven, Krieger, eilen an Bord – Da Er, sicher unheimlich im fremden Haufen. – Sieht er sich nach meinem Fenster um? Nein, er wagts nicht, sein Herz würde zu schwer. Schwer ists, das verrät der wankende Schritt – Atem der Liebe umweh ihn! – Ach, sie lichten die Anker, horch, laut schmettern die jubelnden Posaunen in den Abschiedsschmerz, und lustig springen die Flaggen dabei in die Lüfte, und von Sekunde zu Sekunde entfernt sich der Einzige, den ich liebe, auf dem Meer!


Sie greift ans Herz.


Armes Ding, beim Scheiden erst merkst du, was du besaßest! – Hanna!

HANNA alte Sklavin, kommt. Herrin!

ALITTA. Bleib heut bei mir und sticke. Hanna setzt sich und stickt. Wie? stickt sie mit meinen Tränen? Sie verdeckt ihre Augen mit der Hand.


Großer Marktplatz in Karthago.


AUSRUFER VON MEHREREN SEITEN. Kauft! hier Neger! Negerinnen! Mädchen, Weiber, Männer, Witwen, Ammen, Kinder, alle bester Sorte!

MARKTWEIBER. Gemüse!

ANDERE MARKTWEIBER. Datteln, Sago, Fisch, Thunfisch!

EIN MARKTJUNGE alle überschreiend. Ja Thunfisch! Syrakuser Thunfisch! frischer! allerbester!

MARKTWEIBER. Hyänen schreien nicht so vor Hunger, wie der Junge seine Ware ausschreit![91]

EIN MARKTWEIB. Hats von der Mutter. Hättet Ihr die gehört –

EIN ANDERES. Laß die Drommete. Ich höre, wenn ich träume, sie oft noch aus ihrem Grab schmettern: »Kohl und Wirsing, Wirsing und Kohl!«

EIN KARTHAGER. Das Pfund Sago?

MARKTWEIB. Fünf Silberlinge.

DER KARTHAGER. Drei –

MARKTWEIB. Nehmts, weil Ihr es seid.

DER KARTHAGER. Kennst Du mich?

MARKTWEIB. I nu – Ihr seid – ja Ihr – Zu einer Nachbarin. Trägst heut Seide? Das bedeutet?

EIN KAUFHERR zu einem Sklavenhändler. Dieser Neger?

ERSTER SKLAVENHÄNDLER. Viertausend Drachmen.

KAUFHERR. Hoffentlich Eunuch?

ERSTER SKLAVENHÄNDLER. Versteht sich. Ich kenne den Geschmack der Herrn Ehemänner und richte meine Ware zu.

KAUFHERR. Bringt ihn mir nach. Ich zahle zu Haus.

EIN ZIERBENGEL zum zweiten. Da, die beiden schwarzen Mädchen – allerliebst!

ZWEITER. Kohlen, die brennen wollen.

ERSTER. Moloch! sie brennen schon! Ganze Feuerherde auf den Lippen!

ZWEITER. Leih mir Geld, ich kaufe sie.

ERSTER faßt nach seiner Börse und tut dann verlegen. Habe grad nichts bei mir.

ZWEITER beiseit. Der Lügner, ich hörs klappern!

ERSTER. Indes, Freund, laß uns die Ware besehen. – Mein Guter, was kosten die beiden Mädchen?

ZWEITER SKLAVENHÄNDLER. Ihr Herren, treffliches Gewächs! Ja, ich darfs kaum sagen,


Er spricht lauter.


aber fühlt den Sammet ihrer Haut, seht wie sie zittern bei der leisesten Bewegung, das macht ihre zarte Erziehung, denn unter uns: Königstöchter sinds, vom Gambia, und äußerst wohlfeil –


Sehr laut.


Wohlfeile Königstöchter!

ERSTER ZIERBENGEL. Nette, quecke Geschöpfe – Probier das Innere der Hände, keine Schwiele!

ZWEITER. Feines Fell![92]

ZWEITER SKLAVENHÄNDLER. Das Stück kostet –

ERSTER ZIERBENGEL. Wir kommen wieder.


Die beiden Negerinnen haben während der Untersuchung bitterlich geweint.


ZWEITER SKLAVENHÄNDLER den Zierbengeln nachsehend. Probier euch Baal in die Hölle! Immer probiert, nichts gekauft! – He! der Kran da? Wird er toll? Das agiert mit den langen, zweifingrigen Eisenarmen!

EIN VORÜBERGEHENDER. Eilschiffe aus Italien hebt er ans Land.

ZWEITER SKLAVENHÄNDLER. So – – ? wieder Siegsnachrichten, die uns keinen Scheffel Weizen eintragen. Seit die Barkas den Kaufmann aufgegeben, und Soldaten geworden, haben wir den kahlen Nord, statt des üppigen Sudan, Eisen statt Gold, Wandel statt Handel, Rekruten statt Schöpsbraten!

EIN ALTER MANN an einer Krücke, hat mit ernster Miene zugehört. Das ist leider nur zu wahr!


Er geht weiter, wackelnden Kopfes.


EIN BOTE eilt durch die Menge. Bei Kannä Sieg! Unermeßlicher Sieg!

VIELE. Gut. Schrei nur nicht so. – – Sie kommt, da kommt sie, die äthiopische Karawane! Ha, die Kamele, Pferde, Strauße! Das spreizt, das bäumt sich! Wie da hinten die Elefanten schnobernd die Rüssel erheben! Die Löwen, wie sie an den Stäben ihrer Kasten knirschen, wie die Panther brüllen, die Giraffen den Hals recken! Prächtig!


Die Karawane kommt.


DER FÜHRENDE SCHEICH. Die Karawane halte. Dort unter den tausend Säulen ist die letzte Zollstatt und das Ziel.

ZOLLBEDIENTE kommen. Ehrwürdger Vater, woher?

SCHEICH. Tief aus Sudan.

EIN ZOLLBEDIENTER. Ihr führt?

SCHEICH. Elefanten, Kamele, Sklaven, Goldstaub, auch manches seltne Tier, den Völkern hinter dem Mohrenland, wo das Antlitz wieder hell wird wie unsres, abgekauft.

ZOLLBEDIENTE. Auch Palmwein? Er fehlt dermal am Platz und wird gesucht.

SCHEICH. Auch den. Nehmt hier die Listen, und vergleicht.

ZOLLBEDIENTE. So zieht vorüber, und werft am Stadthaus die Ballen ab.[93]

SCHEICH. Die Sterne seien um Euch und die Bewohner dieser Stadt, wie sie um uns auf nächtiger Wanderung durch die Wüste waren: leitende Gottheiten, in funkelnden Gewändern!


Er legt die Arme eine kurze Zeit betend über die Brust, und zieht dann mit der Karawane zur Zollstatt.


Karthago. Abend.

Kabinett in Hannos Palast.

Brennende Kerzen auf einem kleinen runden Tische, um welchen Hanno, Melkir und Gisgon sitzen.


MELKIR. Ist der Bote gekettet?

HANNO. Daß ihm die Adern bluten.

MELKIR. Und was noch hattest Du im Sinn?

HANNO. Alles, wird nur der Gisgon nicht einmal öffentlich zu hitzig.

GISGON. Wir sind die Dreimänner, durch Kugeln erlost, und niemand weiß recht, daß wir es sind, wohl aber, daß drei Monde am Himmel stehen, unter denen Suffeten und Volk sich bewegen. Jeder von uns hat seinen Anhang im vornehmen Synedrion und unter den guten Hundertmännern des Pöbels, streitet mit dem anderen öffentlich und unterstützt ihn heimlich hinter zehnfachen verschlossenen Türen. Das weiß ich, und leise raschl ichs mit der Zunge hin, wie die Schlange durchs gefallne Laub schleicht. Drum, beim Satanas, beleidigt mich nicht, ich scheine nur unter Euch der jüngste, denn das Klima dieses engen Zimmers machte mich bald so alt wie ihr.

HANNO. Nicht ärgerlich! Heftigkeit schadet stets. Mit Ruhe.

GISGON. Ja, es ist gut, tut man das Schlechte mit Ruhe.

HANNO. Demnach – die Barkas müssen unter, bald, baldigst, – sie werden zu bedeutend, sie siegen zu viel, einige im Volk bewundern sie schon.

GISGON. Und andere meinen, sie wären schon unter, als tüchtige Anker dieser mastenwimmelnden Stadt. Doch ich lasse mich belehren.

MELKIR. Du lächelst, Hanno? – Was ist?[94]

HANNO. Man sollte nicht lächeln.

MELKIR. Und nicht weinen. Beides verrät.

HANNO. Ich freute mich, daß Gisgon sich belehren läßt. – Die Barkas, Gisgon, haben mächtige Gruben in Spanien –

GISGON. Und wir haben prächtige Katakomben, alle Barkas darin zu begraben –


Für sich.


sobald es Zeit ist. Aber noch ists nicht Zeit, diesen beiden greisen Ziegenböcken, mir widerlich, als müßt ich sie einmal essen, zu zeigen, daß ich ihr Gemecker verstehe.

HANNO. Sie haben Italien –

MELKIR. – zausen nur an dem Erdstreif – wir dagegen kennen und nützen die von Pol bis Pol sich ausdehnende Atlantis.

HANNO. Als Hannibal die Alpen überstieg, zauste er ihnen am Schneehaar, daß die Flocken Italien umdüsterten und es auch hier seinen Gegnern winterlich ward. Jetzt abermalen der ungeheure Sieg –

MELKIR. Nach welchem er sich noch lange verschnaufen muß!

HANNO. Dazu die weitschichtige Familie der Barkas –

GISGON. Freilich, damit umranken sie Mauern und Dächer.

HANNO. Zerrissen den Efeu!

GISGON. Reißen wir! – Doch wie?

MELKIR. Leicht. Gebt dem Hannibal nicht weitere Unterstützung und er scheitert vor Rom.

HANNO. Einige Hülfe muß er haben, zum Schein. Schicken wir ihm etwa sechstausend Mann erbärmlicher Söldner, und verbreiten wir, es seien sechzigtausend gute Stück, so bewundern uns Karthago und die Welt.

GISGON für sich. Wird man bei diesen Zweien nicht schlecht, hat man ein steinernes Herz.

MELKIR. Warum auch nur diese Söldner? Sie könnten ihm immerhin nützen, er weiß Kleines anzuwenden.

HANNO. Melkir! Wenige schlechte Truppen, scheinbar zahlreich, geheime Befehle gegen ihn, die öffentliche Meinung für unsren guten Willen, jedenfalls besser als offner Kampf mit ihm und seiner Partei.

MELKIR nach einiger Überlegung. Nicht unrecht – Ich aber will die Truppen auswählen.

GISGON beiseit. Der wird was aussuchen! Armer Hannibal!


Laut.
[95]

Der gefesselte Bote von Kannä, der so hell war auf den Gassen, hat gewiß noch mehr im kupfernen Schlund. Er muß nun zu Tod.

HANNO drückt an eine der in den Wänden versteckten Springfedern, und schmunzelt. Jetzo ist er tot, lieber Gisgon –


Gisgon tut erstaunt.


denn, Bester, ich habe nach dem Beispiel Melkirs –

MELKIR mit einem lang werdenden Gesicht. Hann – Hanno?

HANNO. Warum nicht sagen, was unser Genoß je früher je besser erfährt?


Wieder zu Gisgon.


Ich habe nämlich mein Haus mit Drahtfedern eingerichtet, deren jegliche auf einen der oberen Mittelquader der unteren Gewölbe wirkt, so daß jegliches einstürzt, drück ich seine Feder. Dieses Federchen nun hat den Boten in Schutt und Trümmer eben lebendig begraben oder auch schon zerquetscht, und wir drei nur wissen das.

GISGON springt auf. Ein Spinnweb! Ich muß fort! Meinen Mantel! Für sich. Der Schwätzer, mein Haus ist besser unterminiert als das seine.

HANNO. Nicht bang. Wir sind Freunde.

GISGON setzt sich. Ah – das vergaß ich.

MELKIR. Gisgon! Hanno tadelte nicht ohne Ursache Deine Heftigkeit.


Rom. Kapitol

Sitzung des Senats.


ERSTER KONSUL. Wißt ihr es?

PRÄTOR ruhig und fest. Ja.

ZWEITER KONSUL. Demnach zur Tagesordnung.

EIN SENATOR. Hier ein Gesetzvorschlag, nach welchem der Vormund dem Senat jährlich Rechnung über seines Mündels Vermögen abzulegen hat.

KATO ZENSOR. Fügt hinzu: der Vormund haftet doppelt für jedes Versehn!

ERSTER KONSUL. Billigt ihr das Gesetz und Katos Bedingung?

ALLE. Ja.

ERSTER KONSUL. Liktor, heft es unter die zwölf Tafeln an das Forum.


[96] Ein Liktor geht ab.

Tiefes Schweigen. Der erste Konsul in sich.


Ich, ein Konsul Roms, und darf die Hand nicht nach der Stirn bewegen, weil jeder auf mich achtet. Zwei Söhne fielen auch mir, und mein Weib zergeht in Schmerz, und ich muß die Stürme in mir behalten, in meiner Brust die Wolken ausregnen lassen. Denn – – was Söhne, verglichen mit Rom?

KATO ZENSOR. Sind wir versammelt, um zu schweigen, so ists besser wir gehen heim.


Plötzliches erschütterndes Getöse, fernher.


MEHRERE SENATOREN. Ha! nun meldet er sich! nun klopft er an!

ZWEITER KONSUL. Bleibt sitzen. Verräter, der sich bewegt! –

Die Mauern und Tore sind hinreichend verteidigt, und nur das Wort des Konsuls, des Tribunen, nicht die Sturmmaschinen eines verwegenen Puniers heben die Sitzung des Senates auf. Tribunen, habt ihr heute Veto?

TRIBUNEN. Nein! Wir haben nur den Feind zurückzuwerfen!

PRÄTOR. Es scheint, er wird schon ohne uns zurückgeworfen. Das Getöse verhallt.

KATO ZENSOR. Da hallt was Schlimmeres: auf den Gassen die Weiberstimmen!

EIN KURULISCHER ÄDIL. Laß sie! Es fielen bei Kannä sechzigtausend ihrer Söhne.

KATO ZENSOR. »Laß sie!« Die Weiber rasen lassen? Das hör ich vom kurulschen Sitz? Fielen sechzigtausend ihrer Söhne, so mögen sie sorgen, sechzigtausend ehelich dafür wieder zu gebären. Ehen und Kinder daraus werden ohnehin selten.

ÄDIL. Das Unglück darf Nachsicht fodern.

KATO ZENSOR. Nicht, wenn es heult!


Abermals Weibergeschrei von draußen.


Hört, nochmals Gequicke von »Kannä und Rache!«

Elendes Ende, braune Bastardenkel, schlösse Niederlage der Weiber unsre Annalen! Dahin mit ihnen, wo sie sein sollen, nach Haus! Und jedes, das nicht binnen einer Stunde an seiner Spindel sitzt, verhafte ich, der Zensor, und lasse ihm Scham eingeißeln, blutrote, wenn im Gesicht nicht, doch – Und seinem Mann nehm ich das Bürgerrecht.


Mehrere Celeres ab.
[97]

ZWEITER KONSUL nach einer Pause, in welcher es auf den Straßen still geworden. Die innere Ordnung kehrt zurück. Nun paßt es sich, die äußere Gefahr zu beraten. Hannibal steht vor den Toren – Was beschließt der Senat?

KATO ZENSOR erhebt die Hand. Karthago soll zu Grunde gehen!

ALLE. Wie der Zensor!

ZWEITER KONSUL. Karthagos Heer überschritt die Alpen, uns unerwartet zu Land zu überfallen. Lernen wir vom Feind, und tun etwas Ähnliches. Durchschneiden wir die See und packen ihm in Spanien in den keck entblößten Nacken.

KATO ZENSOR. Das sei! Denn ob Hannibal auch Sieg' an Siege gekettet, nie bricht er mit Gesindel wie das seinige, das nur im freien Feld zu tummeln weiß, in unsre Straßen, und wehrt sich auch nur ein Häuflein darin. Drum junge Mannschaft, so viel als möglich, ausgehoben, und mit ihr nach Spanien, – dem grimmen Hunde aus Afrika die Tore zu verhalten, bleibt der Rest der Bürger sattsam stark.

ZWEITER KONSUL. Vier Legionen also ausgehoben, und mit ihnen graden Wegs nach Karthagos Lieblingstochter: Numantia.

KATO ZENSOR. Wer führt sie?

ZWEITER KONSUL. Du.

KATO ZENSOR. Entschuldigung. Mein Zensoramt erlaubts nicht.

ERSTER KONSUL beiseit. Sein Landgut bestellen, Bücher darüber schreiben, in hohem Alter das Griechische (Zeus weiß vielleicht weswegen!) studieren und große Worte machen, das kann er, obgleich er Zensor ist – Aber Schlachtfelder – Rübsenfelder sind ihm angenehmer.


Laut.


Ich schlage vor: ernennt jene beiden Scipionen zu Prokonsuln und vertraut ihnen das Heer. Sie haben im Gefecht und auf dem Forum sich schon oft sehr tüchtig bewährt, und ihre Jugendfrische wird der Stadt not.

DER SENAT. Du sagst es – Heil euch, Jünglinge, Prokonsuln!

SCIPIO DER JÜNGERE errötend. Ihr erwählt uns. Wir werden tun, was wir vermögen.


Er drückt seinem Bruder die Hand, heimlich.


Bruder, wie wird die Mutter sich freun!

SCIPIO DER ÄLTERE. Die vier Legionen?

ZWEITER KONSUL. Sind heut abend ausgehoben, und ihr zieht[98] durch die vom Feinde noch unbesetzten Tore nächste Nacht ab.

SCIPIO DER JÜNGERE. Dürfen wir beim Ausheben gegenwärtig sein? Beachten, wählen, auch verwerfen?

ZWEITER KONSUL. Der Feldherr darf das nicht nur, es geziemt ihm.

KATO ZENSOR. Wie aber mit dem Tyrannen Mazedoniens? Er hat sich mit Hannibal gegen uns verbündet.

ZWEITER KONSUL. Mit leeren Worten. Er hat zuviel an all den Taschen zu schleppen, die ihm der große Alexander nachließ, um sich ernstlich um uns zu bemühen.

KATO ZENSOR. Demnach ihm vorerst Krieg erklärt –

ZWEITER KONSUL. – mit Worten, und zu seiner Zeit ihm Tod im Hungerturm.

EIN LIKTOR kommt. Er stürmt wieder, der Punier! Die Mauern wanken und zittern!

ZWEITER KONSUL. Der Senat?

PRÄTOR. Steht auf wie ihr jetzt, und folgt seinen Konsuln dahin, wo die Gefahr ist, und die Rache für Kannäs Niederlage mit Stahl bezahlt werden kann!


Die Konsuln schreiten voraus, und die Übrigen folgen, die Hände an den Schwertern.

Vor Rom.


HANNIBAL seine Truppen vom Sturm zurückführend. Lagert.


Es geschieht.


Die Backsteinhütten nicht zu erstürmen? List, Mut, Kriegskunst, alles umsonst. Das tun Karthagos Lederbeutel, worin das Geld steckt, wohl verwahrt, nur kein Heer für mich.

EIN NEGERHÄUPTLING. Herr, jenes Rom ist ein Geschwür, es steckt die Welt an.

HANNIBAL. Fragt ich?

NEGERHÄUPTLING. Verzeihung! Nein!

EIN BOTE kommt. Feldherr –

HANNIBAL. Die Briefe.


Er erbricht sie.


Dieser vom Großvater Barkas – Ich küsse Deine Handschrift, edler Greis!


[99] Während des Lesens.


Auch Du, fast Hundertjähriger, klagst? Wardst deshalb so alt und grau? – Ja, man will uns Barkas unterdrücken – Doch, Melkir, Hanno, noch schwebt dieses Schwert blutdampfend über euch, kennt ihr die List, so kennt es Schlachten! – »Verschwörungen in Hannos Hause, Dir eine geringe Hülfe bestimmt.« – Wohl, werfen mich Roms Mauern zurück, an Karthago scheitr ich sobald nicht. – Die Barkas wissen im Geheim von den Zinninseln und der Atlantis so gut als ihr, ziehn Geld genug daher. Sie verschließens aber nicht, sie säen es, und Soldaten wachsen, die euch einst die Kisten öffnen sollen, während ihr weglauft, und die Taler sich nicht wehren. Die Sinnlosen! Roms furchtbare Nähe zu vergessen um die goldblinkenden Fernen im West – das Herz wegen des Rocks!


Zum Boten.


Bringst Du nicht auch Briefe vom Synedrion?

BOTE. Hier ein Paket.

HANNIBAL. Gewaltge Siegel, sicher so Kleineres dahinter!

BOTE. Die hohen Herren des Synedrion schicken mich eigentlich.

HANNIBAL. Eigentlich?


Während des Lesens.


»Gruß und Glückwunsch für Kannä.« – Billiger Preis für sechzigtausend Römerleichen! – »Eine angemessene Hülfe soll kommen.« Ja, meßt ihr erst, so schneidert ihr den Himmel zu einem Kleid, daß die Sterne darin ersticken, und seine Donner engbrüstig werden. »Und Abgeordnete begleiten den Boten, um von Dir die Ringe, welche Du, recht ehrenhafter Feldherr« – Recht ehrenhafter! Messen sie auch an Worten? Mich wundert, daß sie mich nicht mit ziemlicher Ehrenhaftigkeit abspeisen. – »bei Kannä erobert hast, in Empfang zu nehmen.« Ha, die kostbaren Ritterringe, dahin gucken die Nasen, denn ihre Augen überließen längst das Sehen dem Sinn des Geruchs und Gestanks. Zum Glück sind die besten beiseit, für meine Leute.


Zum Boten.


Die Abgeordneten mögen kommen, die Ringe empfangen, gegen Schein. Aber, Du, tritt einmal näher!

Kerl, tritt nicht links hin, hieher, vor mein rechtes[100] Auge – Thrasymene (ganz Karthago muß es wissen) schlug das andere mit Blindheit.

BOTE. Ja, Herr! man siehts Euch auch an.

HANNIBAL nachdem er ihn eine Zeitlang betrachtet hat. Du bist ein doppelter Kerl!

BOTE bestürzt, besieht sich. Herr, ich wüßte nicht – doppelte Gliedmaßen? Nein – Er sagts aber – Baal, wäre was dran?

HANNIBAL. Es ist. Du bringst zugleich Nachrichten vom Barkas und dem ihm feindlichen Synedrion.

BOTE. So meint Ihrs? Ach, Herr, ich habe neun arme Würmer, (Kinder wollt ich sagen) und da ich sie ernähren muß –

HANNIBAL. Wirst Du ein Schurk?

BOTE. Ich nahm also, da ich von Eurem Großvater und vom Synedrion jederseits insbesondre bezahlt ward, beider Aufträge insbesondre an.

HANNIBAL. Freund –

BOTE. – Freund! Der gnädige Herr! Das sagt kaum unser Profoß, hält man ihm auch noch so willig den Buckel hin.

HANNIBAL. Berühre, wenn er es erlaubt, mit Deiner rechten Hand, die ich Dir drücke, in meinem Namen Großvaters Füße –

BOTE. Herr, ich küsse die Füße!

HANNIBAL. Nein, sie werden leicht schmutzig. – Und sag ihm, auf der weiten Erde wäre mir das Kostbarste ein Gruß von ihm, und einer an ihn. – – Ist das bestellt, so gehst Du ins Synedrion und meldest: wenn man mich nicht bald besser unterstütze, so ständen nächstens zwei Scipionen vor der Stadt, in einem Feuerglanz, der mir jetzt schon die Stirn heiß macht, – dann: sie sollten eins sein, keiner des anderen Säcke beneiden, und schließlich: das Vaterland geht sonst unter in Familienzwisten und die Familien mit ihm!


Bote ab.


– Ich muß abziehn mit meinen siebzehntausend Mann, aus allen Nationen zusammengeflickt. – Wohin? – – Kapua! Die Stadt ist groß, voll Proviant, von Rom nicht fern, Karthago näher, Hülfstruppen aus Afrika da billiger – Billiger! fechte der Satan, wo Kaufleute rechnen!


Zum Negerhäuptling.


Hast Du schnellwirkendes Gift?[101]

NEGERHÄUPTLING. Herr?! Ich hätte nicht, was jeder Knabe in Nubien besitzt?


Er zeigt eine Giftflasche vor.


Ich selbst brach der Natter die Zähne aus, sorgsam (sie wehrte sich, doch ich streichelte sie, wie das in Nubien auch bei den Weibern hilft) und wer dieses gelbe Gift aus ihren Zähnen genießt, wird grad so toll, windet sich und stirbt so in Wut und Angst, wie die Viper, als sie merkte, daß sie nichts Giftiges mehr an sich hatte. Zweifelst? Probiere, wirst Dich wundern, Dein Gedärm wird ein wimmelndes Schlangennest.

HANNIBAL. Du heißt?

NEGERHÄUPTLING. Turnu.


Hannibal nimmt ihm die Flasche und steckt sie zu sich.


Ihr Götter, Feldherr, Du nimmst meinen letzten Trost. Vater und Mutter und Brüder schlafen im Grab mir – nur dieses Gift –

HANNIBAL. – blieb Dir! – Wahr, Mohr, Gift ist ein letzter Trost, und darum will ich, sicherer als Du vermagst, ihn Dir und mir verwahren.

TURNU. O, dann ist es in besten Händen!


Zur Befehlsannahme beorderte Hauptleute treten auf.


HANNIBAL zu ihnen. Das Heer bricht heute nacht auf. – Was staunt ihr? Ich will nur Gehorsam! – Wir schlagen die Straße nach Kapua ein. Besorgt das Nötige, still und schleunig.


Hauptleute ab. Er zu Turnu.


Und fragen Dich Deine Landsleute, warum wir aufbrechen, so sag ihnen, weil der Winter nah sei, und es in Kapua sich wärmer lagre.

TURNU. Ich verstehe!

HANNIBAL. Der versteht mehr, als ich.[102]

Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 3, Emsdetten 1960–1970, S. 89-103.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Hannibal
Hannibal

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Flucht in die Finsternis

Flucht in die Finsternis

Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«

74 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon