30. Aus dem Lateinischen versetzt

[390] A und O du grosser Gott /

mein Gott / mein Gott in der Noht!

welches Krafft kan alles machen /

dessen Sinn weiß alle Sachen /

dessen Seyn das Höchste Gut /

der auch lauter Gutes thut;

ob- und unter allen schwebend /

ausser-und in allen lebend /

unter allen ungeschmäht /

ober allen unerhöht;

inner aller unverschlossen /

ausser allen unverstossen /[390]

über alls mit Herrsch-Gewalt /

untersich als Aufenthalt;

alls begreiffend' ausser allen /

drinn erfüllend nachgefallen /

wird darinnen nicht gedrängt /

noch heraussen was verlängt;

unten unbetrübt im walten /

oben auch ununterhalten /

Welt-bewegend unbewegt /

hätst all Oerter ungehegt;

wandelst unverwandt die Zeiten /

flüchtigs stillst ohn Flüchtigkeiten;

nötige noch äusre Krafft

endert dein' Ureigenschafft.

Was vorbey / was soll geschehen /

kanstualls vor Augen sehen:

ja es ist dir allzeit heut /

unzertheilte Ewigkeit!

deine Vorsicht / wacht in allen.

Schaffst auch alles nach gefallen.

Zu dem Bild des Höchsten Sinn /

ordnest die Urwesen hin.

Nun der wahre Gott in diesen /

Drey in einem / wird gepriesen:[391]

in dem Wesen Einigkeit /

Drey-Persöhnlich doch allzeit.

In Personen keine eher /

keine kleiner / keine höher.

Der gebohrn / dem Vatter gleichet /

gleich mit Wesen ist bereichet:

ist des Vatters Bild und Strahl /

Schöpfer und Geschöpf zumahl;

ist an Macht nicht minder mächtig /

an Gestalt und Seyn gleich prächtig;

so viel jener / so viel der;

welches jener / solches er.

Aus was der / er auch in gleichen /

kan in allem ihn erreichen.

Vatter / einer der gebahr;

Sohn / der / der gebohren war;

und der Geist von beeden gehet:

Drey-ein-wesend Gott bestehet.

Wahrer Gott muß jeder seyn:

doch nicht Götter / Gott allein.

Gott der Sohn / mit Fleisch umgeben /

wolt mit Fleisch bekleidet leben.

Du der ewig-Zeitlich bist /

der Unsterblich ewig ist:[392]

wahrer Gott / und Mensch gebohren /

Gott und Mensch / doch unverloren.

Gott ist nicht ins Fleisch versetzt.

durch das Fleisch auch nicht verletzt.

dieses nur der Höchst' annahm /

unverzehrt durch Gottheits-Flamm.

Nach der Gottheit jenem gleichet /

nach der Menschheit ihm doch weichet:

Gott muß Gottes Vatter seyn /

Mutter eine Jungfrau rein.

in so neuen seltnen Banden /

zwo Naturen sind verhanden.

Er behielte / was er war:

was er nicht / sie auch gebahr.

Unser Mittler und Vorsprecher /

unser Höll-und Tod-Zerbrecher /

ließ beschneid-und tauffen sich;

ward gekreutzigt / starb für mich;

fuhr hinab die Höll zu stürmen;

stund' und fuhr' auf / uns zu schirmen /

zu dem klaren Himmel-Liecht /

daß er alle Welt dann richt.

Und das unerschaffne Weben /

ohn Geburt und Seyn-Anheben /[393]

das dem Sohn und Vatter gleicht /

als ihr Geist aus beeden streicht.

Die selbständig Gottheits-Flammen /

die beständig hält zusammen /

Gott / ist unveränderlich /

läst auch nicht verwandlen sich.

Dieses ist das wahre glauben /

sonder falsche Irrthums-Schrauben.

Wie ich sage / glaub' ich auch /

gib nicht nach dem bösen Brauch.

Guter Gott! daher ichs wage /

ob wol böß / doch nicht verzage.

Hab' ich schon den Tod verdient:

hat mich doch dein Tod versühnt.

liebst du mich / ich nichts verlange

als den Glauben / der Sieg-prange

ohne schauen; bitt' allein /

brich die Bande meiner Pein.

In den Pflastern deiner Wunden /

wird der Kranken Heil gefunden.

Quelle:
Catharina Regina von Greiffenberg: Geistliche Sonnette, Nürnberg 1662, S. 390-394.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte
Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon