Erster Auftritt

[744] SAPPHO kömmt aus der Grotte.

Es ist umsonst! Weit schwärmen die Gedanken

Und kehren ohne Ladung mir zurück!

Was ich auch tue, was ich auch beginne,

Doch steht mir jenes tiefverhaßte Bild,

Dem ich entfliehen möchte, wär es auch

Weit über dieser Erde dunkle Grenzen,

Mit frischen Farben vor der heißen Stirn!

Wie er sie hielt! Wie sie sein Arm umschlang!

Und nun, dem Drange weichend hingegeben,

Auf seinen Mund sie – fort! ich wills nicht denken!

Schon der Gedanke tötet tausendfach! –


Doch bin ich denn nicht töricht, mich zu quälen

Und zu beklagen, was wohl gar nicht ist.

Wer weiß, welch leichtverwischter, flüchtger Eindruck,

Welch launenvolles Nichts ihn an sie zog,

Das, schnell entschwunden so wie schnell geboren,

Der Vorwurf wie der Vorsatz nicht erreicht?[744]

Wer heißt den Maßstab denn für sein Gefühl

In dieser tiefbewegten Brust mich suchen?


Nach Frauenglut mißt Männerliebe nicht,

Wer Liebe kennt und Leben, Mann und Frau!

Gar wechselnd ist des Mannes rascher Sinn,

Dem Leben untertan, dem wechselnden.

Frei tritt er in des Daseins offne Bahn,

Vom Morgenrot der Hoffnung rings umflossen,

Mit Mut und Stärke wie mit Schild und Schwert

Zum ruhmbekränzten Kampfe ausgerüstet.

Zu eng dünkt ihm des Innern stille Welt,

Nach außen geht sein rastlos wildes Streben,

Und findet er die Lieb, bückt er sich wohl,

Das holde Blümchen von dem Grund zu lesen,

Besieht es, freut sich sein und steckts dann kalt

Zu andern Siegeszeichen auf den Helm.

Er kennet nicht die stille, mächtge Glut,

Die Liebe weckt in eines Weibes Busen!

Wie all ihr Sein, ihr Denken und Begehren,

Um diesen einzgen Punkt sich einzig dreht,

Wie alle Wünsche, jungen Vögeln gleich,

Die angstvoll ihrer Mutter Nest umflattern,

Die Liebe, ihre Wiege und ihr Grab

Mit furchtsamer Beklemmung schüchtern hüten;

Das ganze Leben als ein Edelstein

Am Halse hängt der neugebornen Liebe!

Er liebt, allein in seinem weiten Busen

Ist noch für andres Raum als bloß für Liebe!

Und manches, was dem Weibe Frevel dünkt,

Erlaubt er sich als Scherz und freie Lust.

Ein Kuß, wo er ihm immer auch begegnet,

Stets glaubt er sich berechtigt ihn zu nehmen.

Wohl schlimm, daß es so ist, doch ist es so!


Sich umwendend und Phaon erblickend.


Ha sieh, dort in des Rosenbusches Schatten –

Er ist es, ja, der liebliche Verräter!

Er schläft, und Ruh und stille Heiterkeit[745]

Hat weich auf seine Stirne sich gelagert.

So atmet nur der Unschuld frommer Schlummer,

So hebt sich nur die unbeladne Brust.

Ja, Teurer, deinem Schlummer will ich glauben,

Was auch dein Wachen Schlimmes mir erzählt.

Verzeihe, wenn im ersten Augenblicke,

Geliebter, mit Verdacht ich dich gekränkt,

Wenn ich geglaubt, es könnte niedre Falschheit

Den Eingang finden in so reinen Tempel!

Er lächelt – seine Lippen öffnen sich –

Ein Name scheint in ihrem Hauch zu schweben.

Wach auf und nenne wachend deine Sappho,

Die dich umschlingt. Wach auf!


Sie küßt ihn auf die Stirne.


PHAON erwacht, öffnet die Arme und spricht mit halbgeschloßnen Augen.

Melitta!

SAPPHO zurückstürzend.

Ha!

PHAON.

Ah! Wer hat mich geweckt? Wer scheuchte neidisch

Des süßen Traumes Bilder von der Stirn?

Du, Sappho? Sei gegrüßt! Ich wußt es wohl,

Daß Holdes mir zur Seite stand, darum

War auch so hold des Traumes Angesicht!

Du bist so trüb! Was fehlt dir? Ich bin froh!

Was mir den Busen ängstigend belastet,

Fast wunderähnlich ists von mir gesunken,

Ich atme wieder unbeklemmt und frei.

Und gleich dem Armen, den ein jäher Sturz

Ins dunkle Reich der See hinabgeschleudert,

Wo Grausen herrscht und ängstlich dumpfes Bangen,

Wenn ihn empor nun hebt der Wellen Arm

Und jetzt das heitre, goldne Sonnenlicht,

Der Kuß der Luft, des Klanges freudge Stimme

Mit einemmal um seine Sinne spielen:

So steh ich freudetrunken, glücklich, selig,

Und wünsche mir, erliegend all der Wonne,

Mehr Sinne oder weniger Genuß!

SAPPHO vor sich hin.

Melitta![746]

PHAON.

Fröhlich, Liebe, sei und heiter!

Es ist so schön hier, o, so himmlisch schön.

Mit weichen Flügeln senkt der Sommerabend

Sich hold ermattet auf die stille Flur,

Die See steigt liebedürstend auf und nieder,

Den Herrn des Tages bräutlich zu empfangen,

Der schon dem Westen zu die Rosse lenkt,

Ein leiser Hauch spielt in den schlanken Pappeln,

Die, kosend mit den jungfräulichen Säulen,

Der Liebe leisen Gruß herüberlispeln!

Zu sagen scheinen: Seht, wir lieben! Ahmt uns nach!

SAPPHO für sich.

Fast wills von neuem mir die Brust beschleichen,

Doch nein! zu tief hab ich sein Herz erkannt!

PHAON.

Der Fiebertaumel ist mit eins verschwunden,

Der mich ergriffen seit so langer Zeit.

Und glaube mir, ich war dir nie so gut,

So wahrhaft, Sappho, gut, als eben jetzt.

Komm laß uns froh sein, Sappho, froh und heiter! –

Doch sprich, was hältst du wohl von Träumen, Sappho,

SAPPHO.

Sie lügen, und ich hasse Lügner!

PHAON.

Sieh,

Da hatt ich eben, als ich vorhin schlief,

Gar einen seltsam wunderlichen Traum.

Ich fand mich nach Olympia versetzt,

Gerade so wie damals, als ich dich

Zuerst beim frohen Kampfspiel dort gesehn.

Ich stand im Kreis des fröhlich lauten Volks,

Um mich der Wagen und des Kampfs Getöse.

Da klingt ein Saitenspiel, und alles schweigt.

Du warsts, du sangst der goldnen Liebe Freuden,

Und tief im Innersten ward ich bewegt.

Ich stürze auf dich zu, da – denke doch!

Da kenn ich dich mit einem Mal nicht mehr.

Noch stand sie da, die vorige Gestalt,

Der Purpur floß um ihre runden Schultern,

Die Leier klang noch in der weißen Hand;

Allein das Antlitz wechselt schnell verfließend[747]

Wie Nebel, die die blauen Höhn umziehn.

Der Lorbeerkranz, er war mit eins verschwunden,

Der Ernst verschwunden von der hohen Stirn,

Die Lippen, die erst Götterlieder tönten,

Sie lächelten mit irdisch-holdem Lächeln,

Das Antlitz, einer Pallas abgestohlen,

Verkehrt sich in ein Kindesangesicht

Und kurz, du bists und bist es nicht, es scheint

Mir Sappho bald zu sein und bald –

SAPPHO schreiend.

Melitta!

PHAON.

Fast hast du mich erschreckt! Wer sagte dir,

Daß sie es war? Ich wußt es selber kaum! – –

Du bist bewegt, und ich –


Sappho winkt ihm mit der Hand Entfernung zu.


PHAON.

Wie? gehen soll ich?

Nur eines laß mich, Sappho, dir noch sagen –


Sappho winkt noch einmal.


PHAON.

Du willst nicht hören, ich soll gehen? Ich gehe!


Ab.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 744-748.
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