Erster Aufzug

[1087] Saal in Bancbanus Hause. Hohe Bogenfenster, altertümliches, unscheinbares Geräte schicklich verteilt. Lichter auf dem Tische. Vor Tagesanbruch.

Bancbanus im Vorgrunde am Tische stehend. Zwei Diener sind beschäftigt ihn anzukleiden. Der eine hält den Kalpak, der andere kniet, die Sporne befestigend.


VON DER STRASSE HERAUF tönt unter Geschrei, Gelächter und Händeklatschen.

Bancbanus! Ho, Bancbanus!

BANCBANUS.

Der Sporn da drückt!

ERSTER DIENER.

Ach, Herr!

BANCBANUS.

Bei toll und unklug!

Du ziehst ja fester an! Laß nach! laß nach!

ERSTER DIENER.

Man weiß kaum, was man tut!

BANCBANUS.

So schlimmer denn!

ERSTER DIENER.

Der Lärm –

BANCBANUS.

Was nur?

ERSTER DIENER.

Dort unten auf der Straße –

BANCBANUS.

Was kümmert dich die Straße? Sieh du hier!

Ein jeder treibe, was ihm selber obliegt,

Die andern mögen nur ein Gleiches tun.

GESANG zur Zitherbegleitung auf der Straße.

Alter Mann

Der jungen Frau,

Ist er klug,

Nimmts nicht genau!

VIELE STIMMEN unter Lärm und Gelächter.

Bancbanus! Ho Bancbanus!

ERSTER DIENER die Faust vor die Stirn gedrückt.

Daß Gift und Pest!

BANCBANUS der mittlerweile den Gürtel umgebunden hat.

Den Säbel nun!

ERSTER DIENER.

Ach Herr!

Ihr wolltet?

BANCBANUS.

Was?

ERSTER DIENER den Säbel halb ausgezogen.

Den Säbel aus der Scheide,[1087]

Das Tor geöffnet, wir da hinter euch,

Hineingesprengt ins höhnende Gelichter,

Und – hui! – wo waren sie?

BANCBANUS.

Bist du so kriegrisch?

Ich will dir einen Platz im Heere suchen!

Hier wohnt der Frieden; ich bin nur sein Mietsmann,

Sein Lehensmann, sein Gast.

Verhüte Gott, daß er mich lärmend finde,

Und Miet und Wohnung mir auf Umzeit künde!

Die Narrenteidung laß, und gib den Säbel.


Er gürtet ihn um.


Der Ungar trägt im Frieden auch den Stahl,

Zückt er ihn gleich nicht ohne herbe Wahl;

Wie denn der Ehemann den Reifen, den er trägt,

Auch in der Fremde nicht vom Finger legt.

Der Säbel an der Hüfte soll nur kunden,

Daß Ungar und Gefahr wie Mann und Frau verbunden.

Nu, nu, laß nur und geh!

ERSTER DIENER.

Ach Herr, mein Herr!

Sie werfen Sand und Steine nach dem Fenster!

BANCBANUS.

So mach es auf; die Scheiben kosten Geld.

Sind sie geöffnet, schaden keine Würfe.

Den Kalpak reiche du, ich muß aufs Schloß.

Der König will mit Tagesanbruch fort.

Was ist die Glocke?

ZWEITER DIENER.

Vier Uhr!

BANCBANUS.

Hohe Zeit.

Sieh du nach meiner Frau.

ERSTER DIENER am Fenster.

Dort stehen sie!

BANCBANUS.

Laß stehn! laß stehn!

ERSTER DIENER.

Der Prinz inmitten drin.

BANCBANUS.

Was Prinz?

ERSTER DIENER.

Ich habs gesehn!

BANCBANUS mit halb gezücktem Säbel.

Gesehen, Schuft?

Hätt ichs gesehn mit diesen meinen Augen,

Weit eher glaubt ich, daß ich wachend träume,

Als Übles von dem Schwager meines Herrn!

Geh fort! – Muß ich hier toben wie ein Fant,[1088]

Scheltwort' ausstoßen – und – bei toll und unklug! –

Ein Rat des Königs! – Nu, ein feiner Rat!

Ei, wollt ich doch, du wärst auf Farkahegy.

Zwölf Steine über dir! – Ei, dies und das!

Geh, sag ich, geh! Ich will nicht weitersprechen.


Dienerin kommt mit einem Becher.


BANCBANUS.

Was bringst nun du?

DIENERIN.

Den Frühtrunk, gnädger Herr!

BANCBANUS.

Setz immer hin! –

Ist meine Frau schon wach?

DIENERIN.

Ja wohl!

BANCBANUS.

Ja wohl? Warum denn kommt sie nicht?

Ja wohl ist zweimal Ja; wenn zweimal wach denn,

So sollte sie doch mindstens einmal kommen!

Ja wohl! Gott segne mir die Redensarten!

Ein andermal sprich: Ja! Nun also denn!

Warum nur kommt sie nicht?

DIENERIN.

Ich sollte fragen,

Ob ihr erlaubt?

BANCBANUS.

Ich gebe mich gefangen!

Die Torheit, merk ich, steckt, wie Fieber an.

Ob ich erlaube, frägt sie? Guter Gott!

Soll ich erlauben, und hab nie verwehrt!


Erny erscheint in der Türe.


BANCBANUS.

Ei Erny, grüß dich Gott! Was ficht dich an?

Läßt du durch Kämmrer mich um Einlaß bitten?

Ich bin ein Feind von Neuerungen, Kind!

Mach mir nichts Neues, bitt ich dich gar sehr!

ERNY nach vorn kommend.

So zürnt ihr nicht?

BANCBANUS.

Warum denn? – Ja, dort unten?

Die Straße, Kind, ist jedermanns Gemeingut.

Wir haben sie nicht herbestellt, wir können,

Genau genommen, ihnens auch nicht wehren.

Obs gleich nicht artig ist, so früh am Tage

Die Schläfer schon zu stören durch Gesang.[1089]

ERNY.

Doch wißt ihr denn auch, wer? –

BANCBANUS.

Ich mags nicht wissen.

ERNY.

Gertrude sagt, – der Prinz –

BANCBANUS.

Nu, seis darum!

Der gute Herr hat Muße, laß ihn schwärmen!

GESANG auf der Straße.

Schön Erny, lieb und gut,

Verschläfst dein junges Blut,

Vermählest ohne Scheu

Dem Winter deinen Mai.

VIELE STIMMEN.

Bancbanus! Ho Bancbanus!

BANCBANUS der während des Gesanges den Becher ergriffen und getrunken hat.

Der Mittlere singt falsch, und hält nicht Takt.

Daß Gott! Ein schlechtes Lied verdirbt die reinste Kehle!

ERNY.

Ha, Scham und Schmach!

BANCBANUS.

Für wen? Mein liebes Kind!

Nur eine Schmach weiß ich auf dieser Erde,

Und die heißt: unrecht tun!

ERNY.

Allein, die Worte!

Des argen Liedes Worte, die sie sangen.

BANCBANUS.

Ich achtete nicht drauf und rate dir ein Gleiches.

Der Vorzug ists der Worte vor den Taten,

Sie schädgen nur, wenn man sich ihnen leiht.

Nun laß von anderm uns, von Nötgerm sprechen.

Der König zieht nach Halisch mit dem Heer,

Des Reiches alte Rechte zu bewahren;

Mit Tagesanbruch will er heute fort,

Ich bin beschieden, samt den andern Räten,

Zu hören noch sein königlich Gebot.

Ich geh aufs Schloß.

ERNY.

Wie? jetzt?

BANCBANUS.

Warum denn nicht?

ERNY.

Jetzt, da das Haus von jenen tollen Haufen

Umlagert steht?[1090]

BANCBANUS.

Mein Kind, gib dich zufrieden!

Die lauten Kläffer scheu ich nicht zumeist!

Ich geh in meines Königs Dienst und Auftrag;

Und dann: hätt ich dies Haupt an sechzig Jahre

Aufrecht getragen unter Sturm und Sonne,

Damit ein junger Fant sich mutig fühlte,

Zu mehr, als drauß zu lärmen vor der Tür?


Auf die Brust schlagend.


Sei ruhig, Kind, mein Wächter geht mit mir.

Ich also will nach Hofe. Du indes,

Wenns anders dir gefällt, zieh dich zurück

Ins Innere des Hauses, hörst du wohl?

Verlischt das Licht hier, und ermangelt Antwort,

So wird der Poltrer seines Polterns satt

Und geht zuletzt von selbst. Willst du, mein Kind?

ERNY.

Wie gern!

BANCBANUS.

Nun denn, leb wohl! Noch einen Kuß!

Doch nein! So aufgeregt, das hieße rauben,

Komm ich zurück, so gibst du ihn wohl selbst!

ERNY in seine Arme eilend.

Mein Gatte!

GESCHREI auf der Gasse.

Bancbanus! Ho Bancbanus!

BANCBANUS.

Lärmet, lärmt nur zu!


Die Hand auf Ernys Herz legend.


Wenns ruhig hier,


Auf seine eigne Brust.


ist hier auch alles Ruh.


Geht ab. Die Diener folgen.


ERNY bleibt in horchender Stellung, nach der Türe gekehrt, stehen.

Er geht. – Nun sind sie still! Horch! – Es war nichts!

KAMMERFRAU die ein Licht ergriffen hat.

Beliebts euch, gnädge Frau?

ERNY.

Ja so! – ich komme!


Zum Gehen gewendet.


Sonst war der Prinz doch artig, scheu vielmehr.

Was sah er wohl an mir, das ihm zu solchem

Tolldreistem, frevlem Treiben gab den Mut?

Komm, komm, wir wollen noch ein Stündchen schlafen!


Geht ab, die Kammerfrau mit dem Lichte voran.

[1091] Straße vor Bancbanus Hause. Otto von Meran, und Edelleute von seinem Gefolge. Sie halten zum Teile musikalische Instrumente.


ERSTER BEGLEITER.

Das Licht verschwindet oben in der Kammer.

OTTO.

Beachtet man so wenig unser Tun?

Schlag einer an das Tor, und jubelt laut!

Ich will ihn reizen, will! und gälts das Ärgste!

ERSTER BEGLEITER am Tore horchend.

Der Riegel klirrt, man dreht den Schlüssel, Herr!

Der Feind tut einen Ausfall, wie es scheint.

OTTO.

Zieht euch zurück und harret, was geschieht.


Sie ziehen sich zurück.

Das Tor wird geöffnet. Bancbanus tritt heraus, vor ihm ein Diener mit einer Fackel.


BANCBANUS zum Pförtner.

Verschließ das Tor genau und öffne niemand,

Bis ich zurückgekehrt. Hörst du? – Nun gut!


Das Tor wird geschlossen.


ERSTER BEGLEITER leise.

Es ist Bancbanus selbst!

ZWEITER BEGLEITER.

Er geht nach Hofe.

OTTO.

Gebt ihm noch einen Ärger auf den Weg!

ERSTER BEGLEITER laut.

Der Dachs fährt aus dem Bau!

OTTO.

Windhunde vor!

ERSTER BEGLEITER.

Melamp!

ZWEITER BEGLEITER.

Garzaun!

ERSTER BEGLEITER.

Baff, baff!

ZWEITER BEGLEITER.

Bau, bau!

DIENER.

Seht ihr?

Im Finstern stehen sie!

BANCBANUS.

Was kümmerts dich?

Geh mit dem Licht voran, und leuchte! Fort!


Quer über die Bühne gehend, ab.


OTTO nach vorn kommend.

Er ist nicht aufzubringen, nicht zu ärgern,

Was ich beginn, er spottet meiner Wut!

Ich will ihm nach, ich will ihn stehen heißen,

Ihm lachen in sein glotzend Angesicht;[1092]

Ihr werdet sehn, die hochgekniffnen Brauen,

Sie senken sich um keines Haares Breite;

Die Falten alle seiner Lederhaut,

Sie bleiben, wie sie Zeit und Stumpfheit bogen.

Ich zupf ihn an dem Bart, er merkt es nicht!

Ich ras und tob, er aber fragt: Was nun?

Setzt mich nach Frankreich, bringt nach Welschland mich!

Der Mann, der Bruder, der mein Liebchen hütet,

Er mische Gift, er sende Mörder aus!

Den Todesdolch in der durchstoßnen Brust,

Will sterbend ich ihm sagen: wohlgetan!

Doch dieser Gleichmut foltert, martert mich!

Bringt Licht! ich will mein Toben sehn!

ERSTER BEGLEITER.

Allein

Bedenkt, erlauchter Herr!

OTTO.

Bedenken? was?

ERSTER BEGLEITER.

Die Nachbarschaft!

OTTO.

Ich lache dieser Tröpfe!

Ist meine Schwester Königin im Land,

Daß ich viel fragen soll nach Brauch und Sitte?

Ich wollt ihn ärgern; seht, das war der Punkt!

Ihn, der die Jagd mir hemmt, die Lust verdirbt.

Was kümmert mich sein Weib mit ihrem blonden Haar?

Nicht einmal blond, aus Gelb und Fahl gemischt;

Mit ihrem Antlitz, weiß und weiß und weiß,

Kaum auf den Wangen rötlich überstrahlt.

Schön ist sie wohl! – Wenn dieses blaue Auge,

So ernst und schroff, und doch so feurig auch,

Wenn je – Ich sage dir, ich habs gesehn,

Wie sie im vollen Kreis des ganzen Hofes

Die teilnahmsvollen Augen, blau und groß,

Nach mir hin richtete, minutenlang,

In starrer, wohlgefälliger Betrachtung.

Von mir ertappt, von meinem Blick begegnet,

Zog sie den ihren nicht verstohlen ab;

Nein, noch verweilend, wie ein kühner Feind,

Der nicht den Rücken kehrt und langsam weicht,

Ertrug sie die Begegnung, und erst spät,[1093]

Willkürlich, nicht gezwungen, kehrte sie

Von mir den frostgen Strahl. Es war nicht Liebe,

Ich geb es zu; doch Wohlgefallen wars.

Allein, was kümmerts mich? Was frag ich viel

Nach ihr und ihrem Blick? Noch andre Weiber,

Und schönre Weiber gibts, und minder spröde,

Mich reizt es nicht, zu schmelzen diesen Schnee,

Zu Eis gedämmt in ihres Mannes Gletschern;

Den Mann zu ärgern gilts, der meiner Werbung

Durch seine Sicherheit zu spotten scheint.

Was sonst sich gibt, als Zutat nehm ichs hin;

Reicht mir die Zither! Noch den letzten Sturm!


Der Hauptmann des königlichen Schlosses tritt auf, von einem Diener begleitet.


HAUPTMANN zum Herzoge.

Wo weilt der Herzog Otto von Meran?

Ist er zugegen?

OTTO.

Nein!

HAUPTMANN zum Gefolge gewendet.

Man sagte doch –


Ottos Begleiter weisen schweigend auf ihren Herrn.


HAUPTMANN zu Otto zurückkehrend.

Verzeiht, ich kannt euch nicht, die Schatten trügen!

OTTO.

Ich muß doch selber wissen, wo ich bin!

Der Herzog ist nicht hier, er will nicht hier sein!

HAUPTMANN.

Doch sendet mich die Köngin, eure Schwester.

OTTO.

O Schwesterliebe, lästig schon als Liebe!

Was will sie denn, die Schwester, stets besorgt?

HAUPTMANN halbleise.

Sie läßt euch bitten, eilig heimzukehren.

Der König will zur Stunde fort. Sie hofft

Ihn noch ein Weilchen aufzuhalten, und

Das Äußerste, das Letzte zu versuchen,

Um ihren Wunsch, sich euch, solang er fern,

Beizugesellen in des Reichs Geschäften,

Beim Abschied zu erlangen. Zwar sie zweifelt.

Doch sollt ihr heim, damit, wenns doch gelänge,

Ihr euch beflissen zeigt, durch kluge Worte

Befestiget den Eindruck, den sie hofft.[1094]

OTTO.

Nun denn, es sei! Es ist ihr Lieblingswunsch;

Sie fügt sich gerne sonst auch meinen Wünschen.

Obgleich mich selbst erborgte Herrschaft,

Geteilte Herrschaft nimmermehr erfreut.

Kommt! die Belagerung ist aufgehoben!

Der Feind erhole sich und träum indessen

Von seinem, der zuletzt wohl unser Sieg.


Alle ab.

Saal in der königlichen Burg.

König Andreas, völlig gerüstet, tritt aus der Seitentüre links. Die Königin, im Nachtkleide, folgt, ihn zurückhaltend. Ein Kämmerer, der des Königs Helm trägt, öffnet die Türe.


GERTRUDE.

Ich bitt euch, weilt noch länger, mein Gemahl!

KÖNIG.

Geliebtes Weib, du weißt, es drängt die Pflicht.

GERTRUDE.

Doch drängt auch Liebe jeden, der sie fühlt.

KÖNIG.

Schon eine Stunde gab dir der Gemahl,

Der König darf dir keine zweite geben.

Der Tag bricht an, das Heer erwartet mich.


Zum Kämmerer.


Ruft meine Räte, ruft den ganzen Hof,

Daß sie vernehmen ihres Königs Willen!

GERTRUDE zum Kämmerer.

Halt noch! – Verzeiht! Es ist die Gattin nicht,

Es ist das Reich, das noch zwei Worte fordert.


Zum Kämmerer.


Verweilt im Vorgemach, bis man euch ruft!


Der König winkt gewährend. Der Kämmerer geht ab.


GERTRUDE.

Ich weiß, ihr ruft den Hofhalt und die Räte,

Um für die Zeit, da ihr vom Lande fern,

Zu ordnen die Regierung, das Geschäft.

Den ersten Platz im Staate nun, ich weiß es,

Weil Eure Lieb ich kenn, und ihrs verspracht,

Bestimmt ihr mir, der Mutter Eurer Kinder,

Der treusten Hüterin von ihrem Erbe.

Insoweit dank ich euch und bin zufrieden.

Doch ist noch eins, das mich mit Sorg erfüllt.

KÖNIG.

Und was, Gertrude, sprich!

GERTRUDE.

Ihr habt erklärt,[1095]

Ob nun mit Recht, mit Unrecht, stell ich hin,

Daß manches sich ergibt im Kreis des Herrschers,

Das rasch persönliches, selbsteignes Walten,

Zutun und Fassen fordert und bedingt

Und eines Männerarms bedarf.

KÖNIG.

So ists.

GERTRUDE.

Den Mann nun, der vollziehe, was beschlossen,

Erübrigt noch zu nennen, zu bestimmen.

KÖNIG.

Auch dafür ist gesorgt!

GERTRUDE.

O, stille! still!

Sprecht keinen Namen aus, der, ausgesprochen,

Zu Schlüssen stempelt prüfende Gedanken,

Und euch zu halten nötigt das Gesagte;

Nicht weil es gut, nein, weil ihr es gesagt.

Wenn ihr mich liebt, wenn ich euch jemals wert,

So gebt den Herzog, meinen Bruder, mir

Als Mitgenoß des fürstlichen Geschäfts.

Ich seh es, Eure Stirne runzelt sich.

Ihr liebt ihn nicht! Schon oft hab ichs bemerkt,

Mit Schmerz, mit tiefem Kummer es bemerkt,

Ihr liebt ihn nicht!

KÖNIG.

Ich liebe, was ich achte.

GERTRUDE.

So achtet ihr ihn nicht? Wer darf das sagen?

O, glaubt nicht, was der Neid von ihm berichtet,

Die Scheelsucht, die nur lobt, was klein wie sie.

Der Schwester glaubt, die ich ihn kenn und liebe;

Die ich ihn liebe, ja! denn wahrlich, Herr,

Die Liebe nur erkennt und ist gerecht.

Ihr gebt ihm Fehler. Seis! doch schaut um euch,

Wo lebt der Mann hier Landes, ihm vergleichbar?

Sprech ich zuerst von seines Äußern Gaben?

Wie sie so herrlich sind, unübertroffen,

Und alle dienstbar seinem kühnen Geist!

Sein blitzend Aug, es blitzt auch auf die Feinde,

Der frische Mund macht Überredung süß,

Die Heldenbrust, der Glieder kräftger Bau

Verkündet ihn als Herrn und als Gebieter.

Glaubt ihr, ein Meuter wagte zu bestehn,[1096]

Mit dem Gefühl der Schuld in seiner Brust,

Vor eines solchen Blick? – Fürwahr, fürwahr!

Des Geistes hohe Gaben acht ich alle,

Doch erst, wenn so des Äußern Trefflichkeiten,

Herolden gleich, vor ihnen her trommeten,

Dann ziehn sie ein als Könige der Welt.

KÖNIG.

Du bist begeistert.

GERTRUDE.

Ja, ich bins, und weh mir,

Wenn ichs nicht wäre, wo es Würdges gilt.

Sagt selbst, ist nicht mein Bruder tapfer, klug,

Entschlossen und verschwiegen, listig, kühn,

Kein Zaudrer?

KÖNIG.

Ja.

GERTRUDE.

Was fehlt ihm also?

KÖNIG.

Sitte!

GERTRUDE.

Nun, er ist jung, viel geht der Jugend hin,

Und viel erreicht sie selbst durch ihre Fehler.

Er ist geschäftlos, gebt ihm ein Geschäft!

Und dann, was tut er auch? Er schwärmt, er liebt.

In Frankreich achtet man den Jüngling wenig,

Der nicht bei Weibern gilt, im Zwist der Minne

Den Geist vorübend schärft für ernstern Zwist.

KÖNIG.

So üb er sich in Frankreich, wo mans duldet,

Und abgeklärt, sei er willkommen mir.

Von andern Völkern borgt das Schlimme nicht,

Wer weiß, ob euch erreichbar ist ihr Gutes?

Der Franke mag durch manche hohe Gaben

Den Leichtsinn adeln, dem er gern sich gibt;

Mein Land bewohnt ein einfach stilles Volk,

Zu jeder Art des Guten rasch und tüchtig,

Doch Sitte hält ihr unverrückbar Maß

Streng zwischen allzuwenig, und zuviel,

Und bannt den spröden, überscharfen Sinn.

So ist, so muß es sein, so soll es bleiben!


Geht gegen die Mitteltüre zu.


GERTRUDE.

Hört nur noch eins! – Ihr nanntet oft mich stolz,

Ein kühnes Weib, vergleichbar einem Mann.

Ich wars, ich bins! Und doch – seht mich hier knien.


[1097] Sie kniet.


Gebt meinen Bruder mir als Reichsgehilfen!

Gönnt ihm den Namen nur! Ich will ihn hüten,

Er soll nichts tun, um was ich nicht gewußt.

Wie einem Vogel man die Flügel schneidet,

Nun hüpft er frei, und dünkt sich frei, und ists nicht.

So will ich halten ihn, mit Liebe füttern,

Und er soll Dank mir zwitschern, und gedeihn.

Gönnt ihm den Namen nur, daß er sich fühle,

Zufrieden sei, zum erstenmal zufrieden.


Der König hat sie aufgehoben.


Ihr seht mich schwach; ich schäme mich, und doch

Kann ich nur wiederholen: Tuts, o tuts!

KÖNIG.

Macht mich der Bruder eifersüchtig nicht?

GERTRUDE.

Nicht so! Ich liebe dich, weiß Gott, wie innig!

Doch war die Zeit, da ich dich noch nicht kannte.

Erst nach durchlebter Jugend fand ich dich,

Und seitdem wandelt auch mein Geist mit dir.

Doch er, an seiner Wiege stand ich schon,

Er war die Puppe, die ich tändelnd schmückte;

Mein Vaterland, der Eltern stilles Haus,

Mein erst Gefühl, die Kindheit lebt in ihm.

Ich grollte stets, daß ich ein Mädchen war,

Ein Knabe wünscht ich mir zu sein, wie Otto.

Er wuchs heran, in ihm war ich ein Jüngling,

In ihm ging ich zur Jagd, bestieg das Roß,

In ihm lockt ich des Burgwarts blöde Töchter. –

Ihr wißt, wie ich die Zucht als Weib gehalten,

Doch tat mirs wohl, in seinem kecken Tun

Traumweis zu überfliegen jene Schranken,

In die ein enger Kreis die Weiber bannt.

Er ist mein Ich, er ist der Mann Gertrude,

Ich bitt euch, trennt mich nicht von meinem Selbst!

Soll er mein Helfer sein, wir wollen leben

Wie drei Geschwister, euer Volk das dritte!

Soll er?

KÖNIG.

Was machst du, Weib, aus mir?

GERTRUDE.

Soll er?[1098]

KÖNIG.

Nun wohl, ich will ihn sprechen.

GERTRUDE.

Dank, o Dank!

KÖNIG.

Du dankst zu früh! Nur einen Teil der Macht,

Das Heer vielleicht, soll er indes verwalten,

Und unter Aufsicht.

GERTRUDE.

Unter mir! das Ganze!

KÖNIG mit dem Fuße stampfend.

Holla!


Der Kämmerer tritt ein.


Ruft meinen Schwager, Herzog Otto!

Ihr zögert? –

KÄMMERER.

Herr!

GERTRUDE gegen den Kämmerer, der indes Gebärden gemacht hat.

Mein Bruder ist nicht wohl!

KÖNIG zum Kämmerer.

Bei deinem Kopf! Wo ist der Herzog Otto?

KÄMMERER.

Herr, nicht daheim.

KÖNIG.

Seit wann?

KÄMMERER.

Die ganze Nacht.

KÖNIG zu Gertruden.

Ihr seht, der Reichsverweser hat Geschäfte,

Wir wollen sie nicht lästig noch vermehren.


Er öffnet selbst die Mitteltüre.


Herein, wer noch im Vorsaal! Herrn und Räte!

Laßt uns besorgen, was noch weiter obliegt.

KÄMMERER zur Königin.

Erlauchte Frau!

GERTRUDE.

Daß du verdammt wärst!


Sie zerreißt ihr Schnupftuch.

Die Großen und Räte sind indes mit Verbeugungen eingetreten. Darunter Bancbanus, die Grafen Simon und Peter. Sie ordnen sich im Mittelgrunde. Der König steht vorn am Tische rechts. Die Königin ihm gegenüber auf der linken Seite.


KÖNIG.

Edle Herrn!

Die Pflicht ruft mich aus eurer Mitte fort.

Galizien, das Ungarns altes Anrecht,

Durch Erb und Unterwerfung uns zu Dienst,

Man sucht durch Trug und schlaugelegte Ränke

Es abzuziehn von der beschwornen Pflicht.[1099]

Mein Heer erwartet mich, daß wir versuchen,

Was die Gewalt vermag im Dienst des Rechts.

Ich scheide, lebet wohl. Damit indes –


Herzog Otto kommt, sich durch die Versammlung durchdrängend, die er mit den Augen mustert.


OTTO.

Wie? Keine Frauen hier? Nur Bärte, Bärte! –

Ah, Schwester!

GERTRUDE.

Sieh, Unselger! dort der König!

OTTO.

Nun schön! Ich dacht, ihr wärt schon abgereist!


Geht auf ihn zu.


KÖNIG.

Beliebts euch, tretet dorthin, Herr! Wir haben

Noch einge Kleinigkeiten abzutun.

Nicht hier! ich bitt euch, dort. Wir werden eilen!


Otto geht quer über die Bühne und stellt sich in die Nähe der Königin.


Nun denn. Solang ich fort, vom Lande fern,

Wird meine Frau hier, eure Königin,

Vertreten meine Statt. Ihr gebt die Ehren,

Sonst mir gezollt. Sie wird im Rate sitzen,

Vollziehn mit Unterfertgung das Geschäft.

Sie teilt Belohnung, leiht im Lehenhof;

Was Gnade gibt, empfängt man nur durch sie.

In Sachen bloß des Rechts, und was noch sonst

Des kühlern Blicks bedarf, und dies Papier benennt,

Stell ich an ihre Seite zum Genossen,

Der auch im Rate sitzt und ohne den

Nichts von dem übrigen auch wird verhandelt;

Der stets den Vortrag führt und mir berichtet,

Wo sich in Wichtigem die Meinung teilt –


Pause, in der er die Räte fixiert.


GERTRUDE zu Otto.

Unglücklicher, warum kamst du so spät?

KÖNIG.

In alledem zum Reichsgehilfen nenn ich –

Tritt vor, Bancbanus! Hier! – Ernenn ich dich!

Sei du ihr Aug und Ohr, sei Hand und Arm,

Sie wird der Geist sein, der durch dich gebietet.

Stets warst du treuer Diener deines Herrn,

Du wirsts auch hierin sein.

BANCBANUS.

Ach Herr, bedenkt![1100]

KÖNIG.

Es ist bedacht!

BANCBANUS.

Ich bin ein schwacher Mann!

KÖNIG.

So minder wohl verlockt dich die Gewalt!

BANCBANUS.

Bin alt!

KÖNIG.

Ist Herrschen denn ein Knabenspielwerk!

Ich habs gesagt, und reif erwogen auch;

Dein Weigern zeigt mir, daß ich recht gewählt.

Wo ist mein Sohn? bringt meinen Sohn zum Abschied!

Hier, dies Papier bezeichnet deinen Kreis.

Wie vorwärts nicht, so rückwärts nicht gefußt!

Denn, was du darfst, ist dem gleich, was du mußt.

Kannst du den Herzog hier im Heere brauchen,

So tus; wenn nicht, ich stell es dir anheim.

Geh hin, und küß die Hand der Königin,

Sei ihr zu Dienst, und bitt um ihre Gnade.

Wo ist mein Sohn?

BANCBANUS sich der Königin nähernd.

Erlauchte Frau, erlaubt –!

GERTRUDE ihre Hand heftig zurückziehend.

Tolldreist und Tor.

KÖNIG.

Was ist? Gertrude, wie?

Verweigerst du die Hand dem Manne, den –

Gott und Gericht! Ist das der volle Dank?

Beginnt der Unfried, eh ich noch geschieden?

Gib deine Schrift! Bancbanus, gib die Vollmacht!

Vor weiterm will ich wohl mein Land bewahren!

Die Königinnen saßen sonst am Kunkel,

Solang ihr Mann im Feld. Bancbanus, gib!

Ich will euch Grenzen setzen, daß ihrs wahrnehmt,

Und wärt ihr blind vor Hochmut und vor Grimm!

GERTRUDE.

Hier meine Hand! Ich werd euch gnädig sein,

Wenn ihrs verdient!

KÖNIG.

Geh hin, Bancban, geh hin!

Was? Seh ich recht? Wohl eine Träne gar?

BANCBANUS.

Ich sagt euchs, Herr, ich tauge nicht dafür!

KÖNIG.

Du taugst, mein Freund, nur du! Küß ihre Hand.

Ob heftig zwar, ist sie gerecht und klug.


Man hat den kleinen Bela gebracht. Bancbanus küßt die Hand der Königin.
[1101]

KÖNIG.

Und nun, lebt wohl! Gertrude, teures Weib!

Bela, mein Sohn! Mein gutes, liebes Kind.

Lebt wohl, ihr alle! alle meine Freunde!


Zu Bancbanus.


Vor andern aber wend ich mich zu dir,

Dem ich mein Haus vertraue, Weib und Kind.

Als ich dich wählte, dacht ich Ruhe mir,

In Feld und Stadt, in Schloß und Hütten Ruhe.

Die fordr ich nun von dir. Kehr ich zurück,

Und finde sie gestört, die fromme Ruhe; –

Nicht strafen werd ich dich, nur dich vermeiden,

Und stirbst du, setzen auf dein ruhmlos Grab:

Er war ein Greis, und konnte sich nicht zügeln;

Er war ein Ungar, und vergaß der Treu;

Er war ein Mann, und hat nicht Wort gehalten!

Doch wirds nicht kommen so, ich weiß, ich weiß!

Lebt alle wohl, und Gott sei über euch!


Er geht.


ALLE drängen sich um ihn, indem sie rufen.

Heil auf den Weg!

Glück zu!

Kehrt siegreich wieder!


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 1087-1102.
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Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

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