Zweiter Aufzug

[110] Waldgegend. Im Hintergrunde Felsen, die ein Bergstrom trennt und eine Brücke verbindet. Rechts im Vorgrunde ein vereinzelt stehender Fels, an dessen nach vorn gekehrter Seite ein Springquell und daneben eine Moosbank. Gegenüber links eine einzelne Palme.

Rustan und Zanga kommen.


RUSTAN.

Freiheit! Ha, mit langen Zügen

Schlürf ich deinen Äther ein.

In des Morgens Purpurschein

Seh ich deine Banner fliegen,

Die auf Höhn, am Himmelszelt,

Weit umher du aufgestellt,

Allen Lebenden ein Zeichen

In der Schöpfung weiten Reichen.

Freiheit! Atem der Natur,

Zeiger an der Weltenuhr,

Alles Großen Wieg und Thron,

Nimm ihn auf, den neuen Sohn,

Laß mein Stammeln dir gefallen,

Die du Mutter bist von allen.

ZANGA.

Herr, und jetzt genug geschwärmt,

Nun laßt uns von Nötgerm sprechen.

RUSTAN.

Nötig? Nötgerm? O, nicht denken!

Laß mich fühlen jetzo noch!

Nicht mehr in dem Qualm der Hütte,

Eingeengt durch Wort und Sorge,

Durch Gebote, durch Verbote,

Frei, mein eigner Herr und König.

Wie der Vogel aus dem Neste,

Nun zum erstenmal versuchend

Die noch ungeprüften Flügel.

Schaudernd steht er ob dem Abgrund,

Der ihn angähnt. Wagt ers? Soll er?

Er versuchts; er schlägt die Schwingen,

Und es trägt ihn, und es hebt ihn.

Weich schwimmt er in lauen Lüften,

Steigt empor, erhebt die Stimme,[111]

Hört sich selbst mit eignen Ohren,

Und ist nun erst, nun geboren.

Also fühl ich mich im Raume,

Möcht auf alle Berge steigen,

Möcht aus allen Quellen trinken,

Laub und Bäume möcht ich grüßen,

Bin ein Mensch erst und ein Mann.

ZANGA.

Sprecht nur zu, 's hat keine Eile,

Ich erfrische mich derweile.


Er setzt sich.


RUSTAN.

Zanga, nein, nicht ruhn, nicht rasten,

Bis begonnen unser Werk.

ZANGA.

Unser Werk! So wollt ihr also

Handeln, prüfen, denken, trachten?


Er steht auf.


Nun, da bin ich euch zu Dienst.

RUSTAN.

Fort, und auf nach Samarkand.

Oben nur von jenen Hügeln,

Sah in seiner Türme Brand

Ich die Sonne strahlend spiegeln.

Wir sind dort, eh sie entschwand.

ZANGA.

Nur so zu und auf gut Glück?

Herr, um selig einst zu sterben,

Denkt bei allem mir ans Ende;

Doch wollt ihr, ein Tüchtger, leben,

So erwägt und prüft den Anfang,

Denn das Ende kommt von selber.

Tretet ein bei Unbekannten,

Herr, und strauchelt auf der Schwelle,

Bleibt ihr Meister Ungeschickt,

Sprächt ihr wie die sieben Weisen.

Freunde, die's beim Becher wurden,

Lachen auf aus voller Kehle,

Sehn sie sich nach Jahren wieder,

Und die Braut, gefreit in Tränen,

Folgt mit Seufzern euch durchs Leben.

Unsre Neigungen, Gedanken,

Scheinen gleich sie ohne Schranken,[112]

Gehn doch wie die Rinderherde

Eines in des andern Tritt.

Drum, bei allem, was ihr macht,

Sei der Anfang reif bedacht.


Ihr geht nun nach Samarkand.

Da ist denn vor allem nötig,

Daß ihr gleich als der erscheinet,

Der ihr später denkt zu werden.

Euern Vater, lobesam,

Adeln wir nur gleich im Grabe,

Machen ihn zum Chan, zum Emir,

Aus – Grusinien – aus dem Monde.

So was hilft beim ersten Eintritt,

Und erreicht ihr eure Wünsche,

Deckt das andre der Erfolg.

RUSTAN.

Gut!

ZANGA.

Ei, gut? Nu, das geht besser,

Als ich glaubte, als ich hoffte.

Euer Oheim, seine Hütte –

RUSTAN.

Arme Mirza.

ZANGA.

Ja, weil arm,

Hindert sie ein reiches Wollen.

Ahmt mir nur nicht jene nach,

Die das nahe Gut verschmähen,

Aber, unerhört, getrennt –

Lichterloh, wie Wolle brennt –

Heiß in Liebesglut vergehen.

Laßt das jetzt und seid ein Mann!


Jener Fürst aus Samarkand

Ist gedrängt von seinem Feinde,

Von dem mächtgen Chan aus Tiflis,

Der um seine Tochter freite,

Ein verwöhntes, einzges Kind,

Das, gar stolz und hochgesinnt,

Selbst den Gatten wählen möchte.

Ein geziertes, äffges Wesen,[113]

Tat so was in Dichtern lesen.

Ich war erst in wirren Zweifeln,

Ob dem Stärkeren, ob dem Schwachen

Zu vertrauen unsre Sachen.

Doch der Starke gnügt sich selbst,

Und das Unglück macht erkenntlich.

Darum geht nach Samarkand,

Suchet Dienst in seinem Heer.

Und wenn an Entscheidungstagen

Ich euch sage: losgeschlagen!

Stürzt dann in den Feind mit Macht,

Tief ins Herz der wilden Schlacht.

Augen zu und links und rechts

Kreuzt die Blitze des Gefechts.

Fallt ihr: wars euch so bestimmt,

Siegt ihr: sprechen wir vom Lohne.

Mancher fand so eine Krone.

RUSTAN.

Also sei es und so komm!

ZANGA.

Herr, nur noch ein kleines Weilchen;

Auch der Körper will sein Recht.

Hier in meines Ränzels Weite,

Führ ich Kost für mäßge Leute.

Erst getafelt, eins gezecht.

Dann hervor die besten Kleider,

Euch als Junker angetan,

So was hilft und fördert leider,

Drauf als wackrer Edelmann

Hin zur Stadt, dem Glücke nach,

Komme dann, was kommen mag.

EINE STIMME hinter der Bühne.

Hilfe! Hilfe!

ZANGA.

Horch, welch Rufen?

STIMME.

Hilfe! Hilfe!

ZANGA.

Näher kommts.

Das beginnt mit Weh und Ach,

Abenteuer, seid ihr wach?


Ein reichgekleideter Mann erscheint im Hintergrunde auf der Brücke. Er wird von einer nur je und dann auf Augenblicke sichtbaren Schlange verfolgt.
[114]

KÖNIG.

Keine Rettung! Hilft denn niemand?


Er flieht über die Brücke und verschwindet auf der linken Seite des Hintergrundes.


ZANGA.

Herr, den Speer nun angefaßt,

Rasch zum Wurf, mit kluger Hast.


Der König tritt fliehend vom Hintergrunde her links auf. Er eilt nach vorn, während Rustan rechts, Zanga links im Mittelgrunde sich gestellt haben.


KÖNIG.

Götter! Götter! Kein Erbarmen?


Er sinkt besinnungslos am Felsensitze nieder.


ZANGA.

Werft und trefft!


Rustan wirft den Speer nach dem noch nicht sichtbar gewordenen Untier.


ZANGA.

Verfehlt! – Nun, Herr,

Braucht die Beine! Nehmt euch Raum,

Ich erklettr indes den Baum.


Im Begriffe, die auf der linken Seite stehende Palme zu erklettern.

Während die Schlange links im Hintergrunde zum Teil sichtbar wird und Rustan nach dem Vorgrunde rechts flieht, erscheint auf dem daselbst vorspringenden Felsen ein Mann, in einen braunen Mantel gehüllt, mit gehobenem Wurfspieß.


DER MANN AUF DEM FELSEN.

Schlechte Schützen!


Er wirft und heftet durchbohrend, die Schlange an den Boden.


Topp!


Herablachend.


Ha! Ha!

Schlechte Schützen! lernt erst treffen!


Verschwindet von der Höhe.


ZANGA vom Baume herabsteigend.

Was war das? – He, liegt die Schlange?

RUSTAN.

Nicht durch mich!

ZANGA.

Nu, desto schlimmer!

Und doch gut, daß sie nur liegt.


Zu dem Hingesunkenen tretend.


Herr, das ist ein reicher Mann!

Wohl ein Fürst, vielleicht ein König! –

Zieltet besser ihr ein wenig,

Zahlten Ehren euch und Gold.

RUSTAN.

Wirst du, Glück, mir nimmer hold?

ZANGA.

Seht die Perlen, das Geschmeide –

Herr, und seid ihr sicher auch,

Daß nicht ihr, daß jener andre

Hingestreckt das grimme Tier?

Eure Lanze traf.[115]

RUSTAN.

Nicht meine.

ZANGA.

Und wo ist er, dieser andre?

Warum steigt er nicht hernieder,

Pflückt die Früchte seiner Tat?


Gegen den Felsen emporrufend.


Mann vom Felsen, Mann vom Berge,

Komm herunter, sprich mit uns!


Seht, er kommt nicht, war wohl nie.

Wo auch sollt er sein und weilen,

Rings herum auf viele Meilen

Kein Lebendiger als wir.


Bei dem am Boden Liegenden.


Hu, am Turban seht die Krone!

Ich verwette Hals und Hand,

's ist der Fürst von Samarkand.


Täuschung, Augentrug das Ganze.

Herr, ich sah es, eure Lanze

Streckte jenes Tier in Sand.

RUSTAN.

Der wars, der am Felsen stand.

ZANGA.

Nun, zum Henker! Noch einmal,

Mann vom Berge, komm herunter,

Zeige dich zu dieser Frist,

Sonst negier ich frisch und munter,

Leugne, daß du warst und bist.

Seht, er kommt nicht, seht, er war nie.

Schaut umher doch in der Runde,

Niemand kann sich da verbergen,

Rings der Felsen abgeschnitten,

Auf dem Felsen selber niemand.

RUSTAN.

Doch ich sah ihn.

ZANGA.

Saht und seht.

Herr, ihr hattet Furcht, gesteht,

Und der Schrecken, wild und wilder,

Zeigt gar sonderbare Bilder.

Hier ein Mann im Fürstenschmuck,

Leichenblaß in Sand gebettet,[116]

Und ihr seids, der ihn gerettet.

Nehmt die Gabe des Geschickes,

Und glaubt nur, der heutge Tag

Ist der Anfang unsers Glückes.


Hörnerklang in der Ferne.


Hört ihr fernen Hörnerklang?

Zweifelt nur nicht ewig lang.

Ihr erlegtet jenes Tier,

Schoß ein andrer, schoßt auch ihr,

Wir sind zwei hier gegen einen,

Wag er nur, es zu verneinen.

DER GERETTETE sich emporrichtend.

Hörnerschall? – Ach, und wo bin ich?

ZANGA zu Rustan.

Ha, nun gilts!


Zum Fremden.


Herr, unter Freunden.

Edler Fürst! vielleicht wohl mehr noch?

Hochgeehrt nach Rang und Stande –

DER FREMDE der aufgestanden ist.

Ich bin König dieser Lande.

ZANGA knieend.

Herr, dein Knecht.


Rustan läßt sich in einiger Entfernung aufs Knie nieder.


KÖNIG.

Und jenes Tier,

Blutig, tot, liegts dort am Boden.

Meine Retter!


Zu Zanga.


Du?


Auf Rustan zugehend.


Nein du!

ZANGA.

Herr, ihr habt es gut erraten!


Auf Rustan zeigend.


Jener wars. Ein tüchtger Wurf,

Stracks hinein durch Herz und Lungen,

Und es hatte ausgerungen.

RUSTAN.

Herr, verzeiht –

ZANGA.

's ist wohl verziehn!

RUSTAN.

Wenn noch Zweifel –

ZANGA.

Ob wir leben?

Ob dort jenes tot genug?


[117] Leise.


Nun, zum Henker, seid doch klug.


Wiederholter Hörnerschall.


KÖNIG.

Ha, sie rufen, meine Lieben!

Suchend, wo ihr Hort geblieben.

Hier, Getreue! Hier der Ort!


Er geht in die Mitte der Bühne zurück, wo er antwortend in ein an seiner Hüfte hängendes Jagdhorn stößt.


RUSTAN.

Zanga, komm und laß uns fort!

ZANGA.

Nach dem allen, Herr, und fliehn?

Jetzt, da unsre Bohnen blühn?

RUSTAN.

Nimmer sollst du mich berücken,

Mich mit fremder Tat zu schmücken.

Und doch könnt ichs auch nicht sehn,

Erst gepriesen, erst gehuldigt,

Zager Feigheit dann beschuldigt,

Einem andern nachzustehn.


Nach wiederholtem Hörnerruf kommt nun das Gefolge des Fürsten, Gülnare, seine Tochter, an der Spitze.


GÜLNARE.

Vater! Vater!

KÖNIG.

O mein Kind!


Sie stürzen sich in die Arme.


ZANGA zu Rustan.

Schaut nur, schaut! Seht halb euch blind!

Gold und Spangen, Perlen, Kleider,

Seht der Hoheit Vollgewalt.

RUSTAN.

Zanga, jene Lichtgestalt,

Sich um seinen Nacken schmiegend,

Weich in Vaterarmen liegend.

Wie sie atmet, wie sie glüht,

Jede Fiber wogt und blüht.

Nun weist her auf mich sein Blick,

Danket mir der Rettung Glück.

Zanga, nun nicht mehr zurück.

Wärs am Rand mit meinen Tagen!

Ich hab jenes Tier erschlagen!

KÖNIG.

Ja, mein Kind, ein Raub des Todes,

Wenn nicht dieser Jüngling war.

Sieh, so nahe die Gefahr.


Auf das erlegte Tier weisend.
[118]

GÜLNARE mit der Hand die Augen bedeckend.

Ah!

KÖNIG.

Entfernt dies Schreckbild.

GÜLNARE.

Nein!

Stark, entschlossen will ich sein!


Nach vorn kommend.


Glaub nur nicht, mein edler Fremdling,

Daß, ein schwach erbärmlich Weib,

Hinter dir so fern ich bleib.

Oft hat man mich wohl gesehen,

Männlich die Gefahr bestehen,

Eine gleiche stand ich ihr.

Doch das Widrige, den Grauen

So verwirklicht anzuschauen,

Nimmt entfremdend mich von mir.

Und doch schaffts nicht fort, es bleibe,

Selbst bezwingen will ich mich.


Nun zu dir, mein edler Retter,

Der mit seines Armes Walten,

Alles, alles mir erhalten,

Was der Schwachen übrig blieb.

Rings von Feindesmacht umgeben,

Von verschmähter Liebe Trutz,

War mir dieses Greises Leben,

Einzge Stütze, all mein Schutz.

Und der Drache bleckt' die Zähne,

Und es war um ihn geschehn,

Da – o lohn es diese Träne –

Hebt sich eines Armes Sehne

Und das Untier muß vergehn.

Vater, schau, so sehen Helden,

Vater, schau, so blickt ein Mann.

Was uns alte Lieder melden,

Schau es hier verwirklicht an.

RUSTAN leise.

Kohlen, Zanga, glühnde Kohlen!

ZANGA ebenso.

Laßt die Furcht den Henker holen!

GÜLNARE.

Doch du sprichst nicht, doch du schweigest?[119]

RUSTAN auf die Kniee stürzend.

Herrin, o, ich bin vernichtet!

KÖNIG entschuldigend zu Gülnare.

Wohl das Neue unsers Anblicks –!

GÜLNARE.

Laß ihn, Vater, es erquickt mich,

Einen Mann beschämt zu sehn.

O, ich sah sie brüstend gehn,

Mit gedunsnen Worten prahlend,

Mit Versprechen Taten zahlend,

Doch kam der Erfüllung Zeit,

Wie war Held und Tat so weit.

Dieser kommt uns, als von oben,

In der Stunde der Gefahr,

Tut, was seiner würdig war,

Und verstummt, wenn wir ihn loben.

Vater, sag es selbst, fürwahr,

Stellt er nicht die Zeit dir dar,

Nicht die Zeit, die einst gewesen,

Und von der wir staunend lesen,

Wo noch Helden, höhern Stammes,

Wo ein Rustan, weitbekannt,

In der Parsen Fabelland –

ZANGA.

Rustan ist auch er genannt.

GÜLNARE.

Rustan! Hörst du, Vater? Rustan!

O, die Zeiten sind noch immer,

Wo, wenn Menschenkräfte enden,

Götter ihre Hilfe senden.

Er kommt uns von ihrer Hand.


Zu ihrem Vater.


Und so wird gefaßt dich finden,

Was soeben Boten künden.

Jener blutge Chan von Tiflis,

Mein Bewerber und mein Feind,

Hat in mächtigen Heeres Mitten

Unsre Grenze überschritten,

Hundert Völker stolz vereint,

Weil er hilflos uns vermeint.


Auf Rustan zeigend.


Hier die Hilfe! Hier der Hort![120]

Stell ihn an der Treuen Spitze,

Laß ihn tragen deine Blitze,

Mut sein Atem, Tat sein Wort.

Und die Deinen, neu ermutet,

Sehn mit Neid, wenn einer blutet,

Und sein Beispiel reißt sie fort.


Zu Rustan.


Sei mein Schützer, sei mein Retter,

Banne diese dunkeln Wetter


Nach und nach langsamer sprechend.


Und der glänzend neue Tag

Bringt dir dar, was er vermag.

KÖNIG halblaut.

Sprichst du doch, als hättest du

Sie vernommen, die Gelübde,

Die ich tat in der Gefahr;

Dem Erretter – käme Rettung –

Schwor ich, nichts, ich nichts zu weigern,

Und wenn es das Höchste war.

Du errötest, du verstehst mich.

GÜLNARE.

Vater, komm und laß uns gehn.

KÖNIG.

Nun so karg, und erst so warm!

Warst du hier an meiner Stelle,

Dünkte jeder Lohn dir arm.

GÜLNARE nach rückwärts gewendet, wie ablenkend.

Und wo ist, wo ist die Stelle,

Die so vieles mir gedroht?

KÖNIG.

Dort kam ich und floh den Tod,

Jene Schlange mein Gefolg,

Keine Wehr als einen Dolch.

ZANGA.

Seht, hier liegt er noch am Boden,

Reich besetzt mit edlen Steinen.


Er hebt den Dolch auf und gibt ihn seinem Herrn, der ihn dem Könige überreicht.


KÖNIG mit ablehnender Gebärde.

Zähl was mein ist zu dem Deinen.

Zahlt ich mit so armen Steinen

So beglückenden Erfolg?

Dort kam ich und dort die Schlange,

Dieser Mann –


[121] Auf Rustan zeigend.


ZANGA am Boden den Platz bezeichnend.

Hier stand er, hier!

KÖNIG.

Nein, du irrst, er stand dort oben,

Eingehüllt im braunen Mantel.

RUSTAN.

Zanga! Zanga!

ZANGA.

Heißer Tag!

KÖNIG auf Zanga.

Erst warfst du, allein du fehltest.

Dann schoß er, die Schlange lag.

In der Sinnenkraft Vergehen

Hab, wie träumend, ichs gesehen.

Du standst hier und er stand dort

Und war bleich und schien viel kleiner,

Wohl gebückt zum Wurf sich neigend.

Wo auch blieb der braune Mantel?

ZANGA.

Irgend dort wohl in den Sträuchen.

RUSTAN leise.

Zanga, Zanga!

ZANGA.

Mut, nur Mut!

KÖNIG.

Nun genug, und damit gut.

Dort auf jener Klippe Zinnen

Soll ein Tempelbau beginnen

Dem, der waltend niederblickt,

In der Not den Retter schickt.

Tochter, komm!

GÜLNARE zu Rustan.

Du folg uns bald.


Gehend, und vor der getöteten Schlange zurückschauernd.


O, des Anblicks Nachtgewalt

Übt von neuem seine Rechte.

O, verzeih es dem Geschlechte,

Das der Seele Kraft bezwingt,

Kindisch solche Schauer bringt.

KÖNIG.

Reich den Arm ihr, gib die Rechte.

GÜLNARE.

Vor dem Toten schütze mich,

Lebt' es noch, ich zagte nicht.


Sie stützt sich auf Rustans Arm. Alle bis auf Zanga ab.


ZANGA ihnen nachschauend.

Das geht gut, bei meiner Treu!

Das Prinzeßchen hat gefangen:[122]

Tat zwar noch ein bißchen scheu,

Kämpft noch Stolz mit dem Verlangen.

Wie sie fest an ihm sich hält.

Nun ein Graben – hupp! – gesprungen,

Ha, sie gleitet, strauchelt, fällt!

Nein, er hat sie rasch umschlungen.

Nichts so köstlich in der Welt,

Als wenn eins das andre hält.

RUSTAN zurückkommend.

Zanga, Zanga, ich bin selig!

ZANGA.

Ei, es geht, nicht wahr, es geht?

RUSTAN.

Und nun komm, dort deinen Bündel

Wirf ihn in den nächsten Fluß.

Nichts laß unsern Stand verraten,

Wir sind Kinder unsrer Taten,

Und nach aufwärts strebt der Fuß.

Komm nur, komm!

ZANGA.

Doch früher, Herr,

Laßt die Gegend uns durchspüren,

Ob nicht jener Mann vom Felsen –

RUSTAN.

Zanga, ich habs überdacht,

Jener Mann war kein Lebendger.

Bote einer höhern Macht,

Kam er in des Schreckens Nöten,

Um zu treffen, um zu töten,

Und entschwand, da ers vollbracht.

ZANGA.

Nun, der Dank wär abgemacht!

RUSTAN.

Laß ihn Mensch auch sein, wie wir,

Kommen und sich stellen mir.

Will mit Gold ihn überhäufen,

Fülle auf ihn niederträufen,

Groß ihn machen, groß und reich,

Wenn auch nicht dem Geber gleich,

Stellen auf des Glückes Zinne.

Und wer wirft mir Unrecht vor?

Zanga, denn was ich gewinne,

Ist nicht das, was er verlor.

Laß ihn tun sie, jene Tat,[123]

Bittend dann nach Lohn sich wenden,

Man gibt Gold mit spröden Händen,

Und er geht, wie er genaht.

Doch bei mir, mit mir wars anders.

Unerklärt, ein dunkles Etwas,

Zog des Vaters, zog der Tochter,

O, des Weibs voll hehrem Sinn! –

Beider Blicke nach mir hin.

Gleich gilt nicht von gleichem Scheine!

Und ich nehme nur das Meine.

Komm und fort, dem Glücke nach,

Heut ums Jahr ist auch ein Tag!

ZANGA.

Herr, ach Herr!

RUSTAN.

Was ist?

ZANGA.

O, schaut!


Der Mann, dessen Wurf die Schlange getötet, ist hinter dem Felsen hervor und in den Vorgrund rechts getreten. Er hat den ihn umhüllenden braunen Mantel auf die Moosbank gelegt und steht nun in kurzem schwarzem Leibrocke, nackten Armen und Beinen, mit schwarzem Bart und Haar, das Antlitz leichenblaß, da.


RUSTAN.

Ha! wie mirs im Tiefsten graut!

ZANGA.

's ist derselbe, dessen Speer,

Jenes Tier, vom Felsen her –

RUSTAN.

Unheil, nie dein Köcher leer!


Der Mann vom Felsen ist einige Zeit, unbeweglich vor sich hin schauend, auf der Moosbank gesessen, jetzt neigt er sich zur Quelle und trinkt.


ZANGA.

Herr, er lebt! Ist leibhaft! Trinkt!

RUSTAN.

Meines Traums Gebäude sinkt.

Zanga!

ZANGA.

Herr?

RUSTAN die Hand am Dolche.

Ists nicht Osmin,

Der Verweichlichte, Verwöhnte,

Der mich jüngst beim Jagen höhnte –?

ZANGA.

Seht doch nur, den Bart, das Haar!

RUSTAN.

Du hast recht, und es ist wahr.

Aber erst nur glich er ihm.

Jeder Blick, mit neuer Lüge,

Zeigt mir anders seine Züge.[124]

Was je greulich und verhaßt,

All in sich sein Anschaun faßt.


Der Mann richtet sich empor, legt den zusammengefalteten Mantel über den Arm und macht sich gefaßt, quer nach dem Hintergrunde zu fortzugehen.


ZANGA.

Schaut, er geht!

RUSTAN.

Nicht so! Und halt!

Steht mir Rede! Wohin geht ihr?

DER MANN VOM FELSEN mit klangloser Stimme.

Hin nach Hofe, vor den Thron.

RUSTAN.

Was dort suchend?

DER MANN VOM FELSEN.

Meinen Lohn.

RUSTAN.

Lohn? Wofür?

DER MANN VOM FELSEN auf das erlegte Tier zeigend.

Für meine Tat.

RUSTAN.

Deine? – Meine! – Unsre Tat!

DER MANN VOM FELSEN.

Arme Schützen! – Ha! ha! ha!

Lernt erst treffen! – Arme Schützen.


Zum Fortgehen gewendet.


RUSTAN.

Halt! Noch einmal! – Er, der König,

Dankbar dir für dein Bemühn,


Den Dolch des Königs aus dem Gürtel ziehend.


Sendet dir dies edle Kleinod,

Diesen reich besetzten Dolch,

Wo des Demants klares Scheinen –

DER MANN VOM FELSEN.

Zahlt ihr mit so armen Steinen

So beglückenden Erfolg?

RUSTAN.

Nun, der Dolch hat eine Spitze!

Sie auch zahlt.

DER MANN VOM FELSEN.

Ei ja! Ja doch!

RUSTAN.

Scheusal! Teufel! Greulich Untier!

Zieh nicht deine grimmen Fratzen,

Denn der Dolch in meinen Händen

Zuckt und mahnt mich, rasch zu enden.

Zanga!

ZANGA.

Herr!

RUSTAN.

Sieh hin! Nur hin!

Gleicht er wieder nicht Osmin,[125]

Wenn er grinset, wenn er lacht.

ZANGA.

Fassung, Herr! Und kühl bedacht!

RUSTAN.

Nun es sei! Ich will mich fassen.

Mensch, was willst du? was begehrst du?

Geizest du nach Reichtum, Schätzen?

Will dich in ein Goldmeer setzen,

Gießen aus ob deinem Haupt,

Was die Welt das Höchste glaubt.

All dein Wünschen, dein Verlangen,

Ehs zu keimen angefangen,

Solls verwirklicht vor dir stehn,

Sollst dus reif in Garben sehn.

DER MANN VOM FELSEN.

Langes Rinnen trübt die Welle;

Ich trink gerne aus der Quelle.

RUSTAN vor ihm niederstürzend.

Sieh mich denn zu deinen Füßen,

Sieh ein flehendes Geschöpf.

Heut, zu allen künftgen Tagen,

Hat des Glückes Stund geschlagen.

Geh und schreite über mich,

Tritt ein Dasein unter dich.

DER MANN VOM FELSEN.

Willst mit andrer Taten prahlen?

Willst aus fremdem Golde zahlen?

Glück und Unrecht? Luftger Wahn!

Rühm dich des, was du getan!


Er geht nach dem Hintergrunde, indem er den Mantel wieder um die Schultern wirft.


RUSTAN nach vorn kommend.

Er hat recht. Und ich will fort!

Zanga komm, wir kehren heim.

In der Nahverwandten Mitte

Sei das Glück der ersten Schritte,

Sei die Schmach – und dennoch! – Nein!

Nein, es darf, es soll nicht sein!


Der Unbekannte ist den Steig, der zur Brücke führt, hinaufgeschritten.


RUSTAN folgt ihm.

Unmensch, halt! Nicht von der Stelle!

Diese Brücke wölbet sich[126]

Als des Glücks, der Hoheit Schwelle,

Sei es dir, sei es für mich.

Unmensch, halt!


Er hat den Mantel des vor ihm Hinschreitenden angefaßt.


DER MANN.

's ist nur mein Kleid.

RUSTAN.

Nun, der Herr ist auch nicht weit.

Halt! Ich oder du!


Er faßt ihn an.


DER MANN.

Nicht ich!


Sie ringen auf der Brücke.


RUSTAN.

Sein Berühren ist Entmannen.

Zanga! Zanga! rette mich!


Der Fremde drängt Rustan bis hart an den Rand der Brücke, im Begriff ihn hinabzustürzen.


RUSTAN.

Ich erliege.

ZANGA.

Braucht den Dolch!

Braucht den Dolch, ihr seid bewaffnet.

DER FREMDE.

Ganz nun mein!

RUSTAN.

Noch nicht! Noch nicht!


Er hat den Dolch gezogen und stößt ihn nun dem Fremden in die Brust.


DER FREMDE auf der Brücke niedersinkend.

Blutig! Blutig! Schwarzer Tag!

RUSTAN von der Höhe herabkommend.

Zanga! Zanga! Lebt er? Bin ich?

ZANGA.

Herr, ihr seid! Und seht, er blutet!

RUSTAN.

O, daß ichs getan! Entsetzen!

DER FREMDE halb emporgerichtet.

Kinderjahre! Kinderjahre!

Folgt der Unschuld Leichenbahre!


Zurücksinkend.


Rustan! Rustan! – Mirza, Rustan!

RUSTAN.

Zanga, schnell! Sieh, ob noch Rettung,

Ob noch Hilfe möglich. Eile!


Der Fremde, der sich im Todeskampfe auf der Brücke gewälzt, stürzt jetzt in die Flut.


ZANGA.

Herr, zu spät! Ihn hat die Flut.


Zu Rustan, der, die Hände vors Gesicht geschlagen, dasteht.


Schlimm genug und dennoch gut.

Wenn nicht er, wart ihr verloren.

RUSTAN.

O! und wär ich nie geboren!


[127] Hörnerschall.


ZANGA.

Herr, nur Fassung, Fassung! Mut!

Fall der Notwehr! – Hört, man ruft uns.

Seht, man kommt. Nun ausgehalten!


Ein Kämmerer kommt von der linken Seite.


KÄMMERER.

Herr, des Königs hohe Gnaden

Lassen euch zur Heimkehr laden

Und zum Heereszug demnächst.

Dort sie selbst.


Der König und Gülnare erscheinen im Hintergrunde auf der Anhöhe, rechts der Brücke.


KÖNIG.

Nun, Rustan, folgt ihr?

RUSTAN.

Hoher Herr, ich bin bereit.


Zu Zanga.


Nun gilts fallen oder siegen!

Ausgedauert und – geschwiegen.


Indem er sich zum Gehen wendet und die Hörner von neuem ertönen, fällt der Vorhang.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 2, München [1960–1965], S. 110-128.
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Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

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