Fünfter Aufzug

[505] Saal im Schlosse zu Retiro, mit einer Mittel- und zwei Seitentüren. Überall Zeichen der Zerstörung. Links im Vorgrunde ein umgestürzter Putztisch mit zerstreutem Geräte. Rechts im Hintergrunde ein gleichfalls umgeworfener Tisch, darüber ein Gemälde, halb aus dem Rahmen herarausgerissen. In der Mitte des Gemaches ein Stuhl. Es ist dunkel. Von außen, hinter der Mittelwand, Geräusch von Stimmen, Fußtritte und Waffengeklirr, endlich.


VON AUSSEN.

Es ist genug!

Das Zeichen tönt!

Zu Pferde!


Die Stimmen und die Fußtritte entfernen sich. – Pause. –

Dann kommt der alte Isaak aus der Seitentüre rechts, einen nachschleifenden Teppich über den Kopf gestülpt, den er später fallen läßt.


ISAAK.

So sind sie fort? – Ich höre nichts.


Zurücktretend.


Doch ja. –

Nein, wieder nichts. Ich habe mich versteckt,

Als sie nach Räuberart das Schloß durchsuchten.

Am Boden lag ich in mich selbst gekrümmt,

Und diese Decke war mir Dach und Schirm.

Doch nun wohin? – Was ich erspart, erworben,

Hab ich vorlängst im Garten eingescharrt,

Das hol ich später, wenn der Lärm vorüber. –

Wo ist die Tür? Wie rett ich meine Seele?


Esther tritt aus der Türe links.


ISAAK.

Wer kommt? Weh mir!

ESTHER.

Seid ihrs?

ISAAK.

Bist du es, Rahel?

ESTHER.

Wie meinst du? Rahel? Esther bin ich nur.

ISAAK.

Nur, sagst du, nur? du, meine einzge Tochter,

Die einzge, weil die beste.

ESTHER.

Sag vielmehr:

Die beste, weil die einzge. Alter Mann,

So weißt du nichts vom heutgen Überfall

Und weißt du nicht, wem all ihr Wüten galt?

ISAAK.

Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen.

Ist Rahel doch entflohn, in Sicherheit.[506]

O, sie ist klug. – Gott meiner Väter!

Was suchst du mich, mich armen, alten Mann,

Und sprichst zu mir aus meiner Kinder Munde?

Ich aber glaub es nicht. Es ist nicht. Nein!


Er sinkt am Stuhle in der Mitte der Bühne nieder, sein Haupt dagegenlehnend.


ESTHER.

So sei denn stark durch feige Furchtsamkeit.

Doch nenn ich andre, was ich selber war.

Als sie nun kamen und, vom Schlaf erwacht.

Ins letzte, ferne, innerste Gemach

Ich hin zur Hilfe meiner Schwester eilte;

Da faßt mich einer an mit starker Hand

Und schleudert mich zu Boden. Und ich Feige,

Ich fiel in Ohnmacht, als es galt,

Mein Leben für die Schwester hinzugeben,

Zu sterben wenigstens zugleich mit ihr.

Als ich erwachte, war die Tat geschehn,

Vergebens jedes Mittel der Belebung.

Da konnt ich weinen, mir die Haare raufen.

Das ist die rechte Feigheit. Weiberart.

ISAAK.

Sie sagen dies und das. Ich aber glaubs nicht.

ESTHER.

Leih deinen Stuhl zu sitzen, alter Mann!


Sie rückt den Stuhl nach vorn.


Die Glieder werden schwach mir unterm Leib.

Hier will ich bleiben und will Wache halten.


Sie sitzt.


Vielleicht, daß einem dünkt der Mühe wert,

Die Stoppeln zu verbrennen nach der Ernte,

Und kommt zurück und tötet, was noch übrig.

ISAAK am Boden.

Mich nicht! mich nicht! – Hier kommt schon einer. Horch!

Nein, viele! – Schütze mich, ich flieh zu dir.


Er flieht zu ihrem Stuhle, wo er sich am Boden niederkauert.


ESTHER.

Ich will euch hüten einer Mutter gleich,

Des altergrauen Vaters zweite Kindheit.

Und kommt der Tod, so sterbt ihr kinderlos,

Ich geh voran und folge meiner Schwester.


In der Mitteltüre erscheint der König mit seinem Knappen, der eine Fackel trägt.


KÖNIG.

Dring ich noch weiter vor? Begnüg ich mich[507]

Mit dem, was ich schon weiß, eh ichs gesehn.

Das ganze Schloß, zerstört, verheert, verwüstet,

Ruft mir aus allen Winkeln gellend zu:

Es ist zu spät! der Greuel ist geschehn.


Und des trägst du die Schuld, verruchter Zaudrer,

Wenn etwa gar nicht einverstanden auch.

Allein du weinst, und Tränen lügen nicht.

Sieh her, ich weine auch. Allein aus Wut.

Aus unbefriedigter Begier nach Rache.


Steck deine Fackel hier in diesen Ring

Und geh ins Dorf; versammle die Gemeinde,

Heiß sie mit Waffen, die der Zufall beut,

Sich stellen hier im Schloß. Ich selbst entbiete,

Wenns Morgen erst, durch Schreiben rings mein Volk,

Der Arbeit Kinder und der harten Mühn.

An ihrer Spitze will ich rächend gehn

Und brechen all die Schlösser jener Großen,

Die, Diener halb und halb auch wieder Herrn,

Sich selber dienen und den Herren meistern.

Beherrscher und Beherrschte, also seis,

Und jene Zwitter tilg ich rächend aus,

Die stolz auf Blut, auf das in ihren Adern

Und auf das fremde, wenns ihr Schwert vergoß.


Laß hier dein Licht und geh! Ich bleib allein

Und brüte die Geburten meiner Rache.


Der Diener steckt seine Fackel in einen Ring neben der Türe und entfernt sich.


DER KÖNIG einen Schritt nach vorn machend.

Was regt sich dort? Ist hier noch Leben übrig?

Gebt Antwort!

ISAAK.

Gnädiger Herr Missetäter,

Verschont uns, edler Mörder!

KÖNIG.

Du bists, Alter.

Erinnre mich nicht dran, daß sie dein Kind.

Es minderte ihr Bild in meiner Seele.

Und du bist Esther, nicht?[508]

ESTHER.

Ich bin es, Herr.

KÖNIG.

Und ists geschehn?

ESTHER.

Es ist.

KÖNIG.

Ich wußt es wohl,

Seit ich das Schloß betrat. Drum keine Klagen!

Glaub, das Gefäß ist voll, was man noch zugießt,

Fließt ab vom Rand und schwächt des Inhalts Gift.

Als sie noch lebte, wollt ich sie verlassen.

Nun, da sie tot, verläßt sie nimmer mich.

Und dies ihr Bild auf dieser meiner Brust,

Es gräbt sich ein und schlägt nach innen Wurzel.

Denn war nicht selber ichs, der sie getötet?

Blieb sie mir fern, sie spielte noch, ein Kind,

Sich selbst zur Lust und anderen zur Freude.

Vielleicht – Ob das zwar nicht! Ich sage nein!

Kein andrer durfte ihre Hand berühren,

Und niemands Lippen nahen ihrem Mund,

Kein frecher Arm – Sie war des Königs Eigen,

Ob nie gesehn, gehörte sie doch mir,

Der Reize Macht dem Mächtgen auf dem Thron.

ISAAK.

Spricht er von Rahel?

ESTHER.

Wohl, von eurer Tochter.

So sehr der Schmerz verlornen Wert verdoppelt,

Sag ich euch doch: ihr schlagt zu hoch sie an.

KÖNIG.

Meinst du? Ich sage dir, wir sind nur Schatten,

Ich, du, und jene andern aus der Menge.

Denn bist du gut; du hast es so gelernt,

Und bin ich ehrenhaft; ich sahs nicht anders,

Sind jene andern Mörder, wie sies sind,

Schon ihre Väter warens, wenn es galt.

Die Welt ist nur ein ewger Widerhall,

Und Korn aus Korn ist ihre ganze Ernte.

Sie aber war die Wahrheit, ob verzerrt,

All, was sie tat, ging aus aus ihrem Selbst,

Urplötzlich, unverhofft und ohne Beispiel.

Seit ich sie sah, empfand ich, daß ich lebte,

Und in der Tage trübem Einerlei

War sie allein mir Wesen und Gestalt.
[509]

So wie man sagt, daß in Arabiens Wüsten

Der Wandrer, der sich lang im Sand geplagt,

Der Sonne Brand ertragen glühnden Haupts,

Mit einemmal ein blühend Eiland trifft,

Umbrandet von der See der trocknen Wellen,

Da blühen Blumen, winkt der Bäume Schatten,

Der Kräuter Hauch steigt mildernd in die Luft

Und wölbt sich unterm Himmel als ein zweiter.

Zwar ringelt sich die Schlange unterm Busch,

Ein reißend Tier, von gleichem Durst gequält,

Fand etwa seinen Weg zur kühlen Quelle.

Doch jubelt auf der Wandrer, wegemüd,

Und saugt mit giergem Mund den Labetrank

Und wirft sich in des Grases üppgen Wuchs.


Den üppgen Wuchs. Fürwahr! Ich will sie sehn,

Noch einmal jenen stolzen Bau der Glieder,

Den Mund, der Atem sog und Leben hauchte,

Und der, nunmehr auf immerdar verstummt,

Mich anklagt, daß ich sie so schlecht beschützt.

ESTHER.

Tus nicht, o Herr! Da's nun geschehn,

Laß es geschehen sein. Uns sei der Jammer.

Du trenne dich nicht, Herr, von deinem Volk.

KÖNIG.

Meinst du? Ich bin der König, weißt du wohl?

Nicht nur an ihr, an mir hat man gefrevelt.

Gerechtigkeit und Strafe jeder Schuld

Hab ich geschworen an dem Krönungstag

Und will es halten bis an meinen Tod.

Dazu muß ich mich stärken, mich verhärten,

Denn alles, was dem Menschen hoch und wert,

Wird man entgegenstellen meinem Grimm,

Erinnerung aus meiner Knabenzeit,

Des Mannes erste bräunliche Begegnung,

Die Freundschaft und die Dankbarkeit, die Milde,

Mein ganzes Leben, schroff in eins geballt,

Wird mir genüberstehn in Waffenrüstung

Und mich zum Kampfe fordern mit mir selbst,

Drum muß ich von mir selbst mich erst entfernen.[510]

Ihr Bild, wie es vor mir steht hier und dort,

An jeder Wand, in dieser, jener Ecke,

Zeigt mir sie nur in ihrer frühern Schönheit,

Mit ihren Schwächen, die so reizend auch.

Ich will sie sehn, zerstört, versehrt, mißhandelt,

Versenken mich im Greuel ihres Anblicks,

Vergleichen jedes Blutmal ihres Leibes

Mit ihrem Abbild hier auf meiner Brust

Und lernen Unmensch sein genüber gleichen.


Da Esther aufgestanden ist.


Sprich mir kein Wort! Ich will! Und diese Fackel

Soll mich begleiten, flammend wie ich selbst,

Nur leuchtend, weil zerstörend und zerstört.

Sie ist in jenem letzten, innern Zimmer

Wo ich so oft –?

ESTHER.

Sie ist. Sie war. Sie bleibt.

KÖNIG hat die Fackel ergriffen.

Mir deucht, ich sehe Blut auf meinem Weg.

Es ist der Weg zum Blut. – O Nacht der Greuel.


Er geht in die Seitentüre links.


ISAAK.

Wir sind im Dunkeln.

ESTHER.

Wohl im Dunkel rings,

Umgeben von des Unglücks grauser Nacht.

Allein der Tag bricht an. Laß mich versuchen,

Ob ich die Glieder trage bis dahin.


Sie tritt zum Fenster und zieht den Vorhang.


Der Morgen dämmert schon, sein bleicher Schein

Schaut, wie entsetzt, die Greuel der Zerstörung,

Den Unterschied von gestern und von heut.


Auf die am Boden zerstreuten Schmucksachen.


Da liegen sie, die Trümmer unsers Glücks,

Der bunte Tand, um dessentwillen wir,

Ja wir, nur wir; nicht er, der dort sich schuld gibt,

Die Schwester opferten, dein töricht Kind.

All, was geschieht, ist recht. Wer sich beklagt,

Verklagt sich selbst und seine eigne Torheit.

ISAAK der sich in den Stuhl gesetzt hat.

Hier will ich sitzen. Seit der König da,[511]

Fürcht ich sie nicht und alle, die noch kommen.


Die Mitteltüre öffnet sich. Manrique und Garceran, hinter ihnen die Königin, ihr Kind an der Hand führend, und mehrere Große treten ein.


MANRIQUE.

Kommt hier herein und stellt demnächst euch auf.

Wir haben an dem König uns versündigt,

Das Gute wollend, aber nicht das Recht.

Wir wollen uns dem Rechte nicht entziehen.

ESTHER auf der andern Seite, eines Ruckes den umgestürzten Tisch emporhebend.

Verwüstung, ordne dich! Laß sie nicht glauben,

Daß wir erschrocken oder daß wir feig.

KÖNIGIN.

Hier sind sie, jene andern!

MANRIQUE.

Immerhin!

Sie traf bereits, was uns vielleicht bedroht.

Stellt euch in Reih und Ordnung, wenns beliebt.

KÖNIGIN.

Mich laßt voran, ich bin die Schuldigste.

MANRIQUE.

Nicht also, edle Frau! Ihr spracht das Wort.

Doch als es kam zur Tat, habt ihr gezittert,

Euch widersetzt und Schonung anbefohlen,

Obgleich umsonst, denn Not war uns Gebot.

Auch wünscht ich nicht, daß sich sein erster Grimm

Entlüde auf die Häupter, die uns hoch,

Zunächst nach ihm die Hoffnung unsers Throns.


Ich selber tats. Zwar nicht mit meiner Hand,

Allein mit Rat, mit furchtbar ernstem Mitleid.

Ich trete vor euch hin. Und du, mein Sohn,

Hast du den Mut, als Mann auch zu vertreten,

Was du gehindert nicht, wenn nicht gefördert,

So daß dein Streben, wieder gutzumachen,

Und deine Rückkehr selbst nicht ohne Schuld?

GARCERAN.

Seht mich bereit. Ich tret an eure Seite,

Und treffe mich des Königs erster Zorn.

ESTHER herüberrufend.

Ihr dort, obgleich ihr Mörder seid gesamt

Und würdig jeden Tods und jeder Strafe,

Genug des Unheils ist bereits geschehn,

Ich wünschte nicht die Greuel noch vermehrt.

Der König ist dort drin bei meiner Schwester.

Und vorher schon ergrimmt, wird ihn ihr Anblick[512]

Aufstacheln zu vermehrter, neuer Wut.

Auch dauert mich das Weib dort und ihr Kind,

Unschuldig halb und halb auch, halb nur schuldig.

Drum geht, weil es noch Zeit. Begegnet nicht

Dem Rächer, der zum Richter noch zu heiß.

MANRIQUE.

Weib, wir sind Christen.

ESTHER.

Nun, ihr habts gezeigt.

Ich lobe mir die Jüdin, weiß es Gott!

MANRIQUE.

Als solche abzubüßen auch bereit,

Was wir gefehlt, uns willig unterwerfend.

Legt eure Schwerter ab. Hier ist das meine.

Die Wehr an Mannes Seite spricht von Schutz.

Schon unsre Anzahl streitet mit der Demut,

Sie teilt die Schuld, die doch in jedem ganz.


Alle haben die Schwerter vor Manrique auf den Boden gelegt.


So harren wir. Vielmehr geh einer hin

Und trete fördersamst den König an.

Des Landes Not erheischt, daß er sich fasse,

Ob so, ob so; und wärs auch nur bereuend

Zu rasche Tat, von der wir selbst das Opfer.

Geh du, mein Sohn!

GARCERAN der einige Schritte gemacht, umkehrend.

Seht, hier der König selbst.


Der König stürzt aus dem Seitengemache. Nach ein paar Schritten wendet er sich um und sieht starr nach der Türe.


KÖNIGIN.

O Gott im Himmel!

MANRIQUE.

Ruhig, gnädge Frau.


Der König geht nach vorn. Er bleibt mit untergeschlagenen Armen vor dem alten Isaak stehen, der wie schlummernd im Sessel liegt. Drauf geht er nach dem Vorgrunde.


ESTHER zu dem Alten.

Schau, deine Feinde zittern. Freust du dich?

Ich nicht. Die Tote wacht doch nimmer auf.


Der König, im Vorgrunde, betrachtet seine beiden Hände und streift daran, wie reinigend, mit der

einen über die andre. Hierauf dieselbe Bewegung über den Oberleib. Zuletzt fährt er nach dem Halse, die Hände und den Umkreis desselben bewegend. In dieser letzten Stellung, die Hände noch immer am Halse, bleibt er stehen und sieht starr vor sich hin.


MANRIQUE.

Erlauchter Fürst und König! Gnädger Herr!

KÖNIG emporfahrend.

Ihr seids? Ihr kommt zurecht. Euch sucht ich eben.[513]

Und alle. Ihr erspart mir manche Müh.


Er tritt vor sie hin, sie mit zornigen Blicken messend.


MANRIQUE auf die am Boden liegenden Waffen zeigend.

Wir haben unsre Wehr von uns gelegt –

KÖNIG.

Ich sehe Schwerter. Kommt ihr, mich zu töten?

Vollendet euer Werk. Hier meine Brust.


Er öffnet sein Kleid.


KÖNIGIN.

Er hats nicht mehr!

KÖNIG.

Wie meint ihr, schöne Frau?

KÖNIGIN.

Das böse Bild ist fort von seinem Halse.

KÖNIG.

Ich gehe, es zu holen.


Er macht ein paar Schritte gegen die Seitentüre und bleibt dann stehen.


KÖNIGIN.

Gott, noch immer!

MANRIQUE.

Wir wissen wohl, wie sehr wir, Herr, gefehlt;

Vor allem: nicht die Rückkehr zu dir selbst,

Dir selbst und deinem edlen Sinn vertrauend.

Allein die Zeit war dringender als wir.

Es bebt das Land. Der Feind an unsern Grenzen,

Er fordert auf zu Wehr und Widerstand.

KÖNIG.

Und Feinde muß man strafen, oder nicht?

Ihr mahnt mit Recht; umringt bin ich von solchen.

He, Garceran!

GARCERAN.

Meint ihr mich, hoher Herr?

KÖNIG.

Ich meine dich. Du hast mich zwar verraten,

Allein du warst mein Freund. Komm her zu mir.

Sag mir, was hältst du von dem Mädchen dort?

Nun – die du morden halfst – doch davon später.

Was hieltst du von ihr, da sie lebte noch.

GARCERAN.

Herr, sie war schön.

KÖNIG.

So! Und was weiter noch?

GARCERAN.

Doch auch verbuhlt und leicht, voll arger Tücken.

KÖNIG.

Und das verschwiegst du mir, als es noch Zeit?

GARCERAN.

Ich sagt es euch.

KÖNIG.

Und ich habs nicht geglaubt?

Wie kam das? sag nur an!

GARCERAN.

Die Königin,

Sie rät auf Zauberei.

KÖNIG.

Das ist der Aberglaube ,[514]

Der nachglaubt, was er erst sich vorgeglaubt.

GARCERAN.

Zum Teil wars freilich wieder auch natürlich.

KÖNIG.

Natürlich ist zuletzt nur, was erlaubt.

Und war ich nicht ein König, mild, gerecht?

Der Abgott meines Volks und all der Meinen.

Nicht leer an Sinn und blind auch nicht vor allem.

Ich sage dir: sie war nicht schön.

GARCERAN.

Wie meint ihr?

KÖNIG.

Ein böser Zug um Wange, Kinn und Mund,

Ein lauernd Etwas in dem Feuerblick

Vergiftete, entstellte ihre Schönheit.

Betrachtet hab ich mirs und hab verglichen.

Als ich dort eintrat, meinen Zorn zu stacheln,

Halb bange vor der Steigrung meiner Wut,

Da kam es anders, als ich mirs gedacht.

Statt üppger Bilder der Vergangenheit

Trat Weib und Kind und Volk mir vor die Augen.

Zugleich schien sich ihr Antlitz zu verzerren,

Die Arme sich zu regen, mich zu fassen.

Da warf ich ihr ihr Bild nach in die Gruft

Und bin nun hier und schaudre, wie du siehst.

Nun aber geh! Hast du mich doch verraten,

Fast tut mir leid, daß ich euch strafen muß.

Tritt hin zu deinem Vater, zu den andern.

Kein Unterschied, denn alle seid ihr schuldig.

MANRIQUE mit starker Stimme.

Und ihr nicht auch?

KÖNIG nach einer Pause.

Der Mann hat recht; ich auch.

Allein was ist die Welt, mein armes Land,

Wenn niemand rein und übrall nur Verbrecher?

Doch hier mein Sohn. Tritt du in unsre Mitte,

Du sollst der Schutzgeist sein von diesem Lande,

Ob uns ein höhrer Richter dann verzeiht.

Führt Doña Klara, ihr ihn an der Hand,

Euch hat ein günstiges Geschick verliehn,

In Unbefangenheit bis diesen Tag

Das Leben zu durchziehn; ihr seid es wert,

Die Unschuld einzuführen unter uns.[515]

Doch halt! Hier ist die Mutter. Was sie tat,

Sie tat es für ihr Kind. Ihr ist verziehn.


Da die Königin vortritt und ein Knie beugt.


Madoña, straft ihr mich? Wollt ihr mir zeigen

Die Stellung, die mir ziemte gegen euch.

Kastilier, seht her! Hier euer König,

Und die Regentin hier an seiner Statt,

Ich bin nur der Feldhauptmann meines Sohns.

Denn wie die Pilger mit dem Kreuz bezeichnet

Zur Buße hinziehn nach Jerusalem,

So will ich, meiner Makel mir bewußt,

Euch führen gegen jene Andersgläubgen,

Die an der Grenze fern aus Afrika

Mein Volk bedrohn und dies mein stilles Land.

Kehr ich dann wieder, und wills Gott, als Sieger,

Dann sollt ihr sagen, ob ich wieder wert,

Das Recht zu schützen, das ich nun verletzt.

Euch, jeden trifft die Strafe so wie mich,

Denn in die dichtsten Haufen unsrer Feinde

Sollt ihr mir folgen, ihr gesamt, zunächst.

Und wer dann fällt, er hat gebüßt für alle.

So straf ich euch und mich. Hier meinen Sohn,

Setzt ihn auf einen Schild, gleich einem Thron,

Denn er ist heut der König dieses Landes,

Und so geschart, laßt gehn uns vor das Volk.


Man hat einen Schild gebracht.


Ihr Frauen beide, reicht dem Kind die Hand,

Sein erster Thron ist schlüpfrig – wie der zweite.

Du, Garceran, du bleibst an meiner Seite,

Wir haben gleichen Leichtsinn zu vertreten.

Wir wollen kämpfen wie mit einer Kraft.

Und hast du dich gereinigt, so wie ich,

Vielleicht hält jene Stille, Sittigreine

Dich ihrer Huld und ihres Auges wert.

Ihr sollt ihn bessern, Doña Klara! doch, um Gott!

Macht ihm die Tugend nicht nur achtungswert,

Nein, liebenswürdig auch. Das schützt vor vielem.


Trompeten aus der Ferne.
[516]

Hört ihr? sie rufen uns. Die ich beschieden

Als Beistand gegen euch, sie sind bereit

Zur Hilfe gegen unser aller Feind,

Den grimmen Mauren, der den Grenzen droht,

Und den ich senden will mit Schmach und Wunden

Rück in sein heimisch dürres Wüstenland,

Auf daß das unsre frei von Unbill

Nach innen und nach außen wohl bewahrt.

Voraus! Voran! Geliebt es Gott: zum Sieg.


Der Zug hat sich schon früher geordnet. Voraus einige Vasallen, dann das Kind auf dem Schilde, das die Frauen zu beiden Seiten an den Händen halten. Dann der Rest der Männer. Zuletzt der König, sich vertraulich auf Garceran stützend.


ESTHER zu ihrem Vater gewandt.

Siehst du, sie sind schon heiter und vergnügt

Und stiften Ehen für die Zukunft schon.

Sie sind die Großen, haben zum Versöhnungsfest

Ein Opfer sich geschlachtet aus den Kleinen

Und reichen sich die annoch blutge Hand.


In die Mitte des Theaters tretend.


Ich aber sage dir, du stolzer König:

Geh hin, geh hin in prunkendem Vergessen.

Du hältst dich frei von meiner Schwester Macht,

Weil abgestumpft der Stachel ihres Eindrucks,

Und du von dir warfst, was dich einst gelockt?

Am Tag der Schlacht, wenn deine schwanken Reihen

Erschüttert von der Feinde Übermacht,

Und nur ein Herz, das rein und stark und schuldlos,

Gewachsen der Gefahr und ihrem Drohn,

Wenn du emporschaust dann zum tauben Himmel,

Dann wird das Bild des Opfers, das dir fiel,

Nicht in der üppgen Schönheit, die dich lockte,

Entstellt, verzerrt, wie sie dir ja mißfiel,

Vor deine zagend bange Seele treten.

Dann schlägst du wohl auch reuig an die Brust,

Dann denkst du an die Jüdin von Toledo.


Den Alten an der Schulter fassend.


Kommt, Vater, kommt! Wir haben dort zu tun.


Auf die Seitentüre zeigend.
[517]

ISAAK wie aus dem Schlafe erwachend.

Doch such ich erst mein Gold.

ESTHER.

Denkt ihr noch des?

Im Angesicht des Jammers und der Not.

Dann nehme ich rück den Fluch, den ich gesprochen,

Dann seid ihr schuldig auch, und ich – und sie.

Wir stehen gleich jenen in der Sünder Reihe.

Verzeihn wir denn, damit uns Gott verzeihe.


Die Arme gegen die Seitentüre ausgestreckt.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 2, München [1960–1965], S. 505-518.
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